Ab Juni 2025 müssen viele digitale Angebote barrierefrei gestaltet sein. Doch die wenigsten Unternehmen sind vorbereitet. Warum gerade Webverantwortliche und IT-Abteilungen jetzt gefordert sind.
Ab Mitte 2025 gilt europaweit: Digitale Produkte und Dienstleistungen müssen barrierefrei zugänglich sein – auch im privatwirtschaftlichen Kontext. In Deutschland wird dies durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) geregelt, das auf einer EU-Richtlinie basiert. Ziel ist es, die gleichberechtigte Teilhabe am digitalen Leben sicherzustellen, insbesondere für Menschen mit Behinderungen. Doch obwohl die Frist näher rückt, unterschätzen viele Unternehmen die Tragweite – oder wissen schlicht nicht, dass sie betroffen sind.
Die Vorgaben gelten für zahlreiche digitale Angebote, darunter Online-Shops, Kundenportale, digitale Buchungssysteme, Lernplattformen, mobile Apps und cloudbasierte Tools für Endverbraucher. Auch Agenturen, Webdesigner und Freelancer, die Websites für Dritte erstellen, müssen künftig sicherstellen, dass ihre Produkte barrierefrei nutzbar sind. Nicht betroffen sind lediglich Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Jahresumsatz unter zwei Millionen Euro – alle anderen sind verpflichtet, die Anforderungen bis spätestens 28. Juni 2025 zu erfüllen.
Die gesetzlichen Anforderungen richten sich nach der europäischen Norm EN 301 549, die wiederum auf den international anerkannten Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1 auf Level AA basiert. Demnach müssen Inhalte visuell und auditiv erfassbar, verständlich, bedienbar und robust gegenüber technischen Umgebungen sein. Dazu zählen unter anderem ausreichende Farbkontraste, Alternativtexte für Bilder, skalierbare Schriftgrößen und klar strukturierte Formulare. Auch Videos müssen mit Untertiteln versehen sein. Die Bedienung der Seite muss zudem ohne Maus möglich sein, etwa per Tastatur oder Sprachsteuerung. Ebenso wichtig: Die Inhalte sollen auch mit assistiven Technologien wie Screenreadern oder Braillezeilen problemlos nutzbar sein.
Welche Unterschiede barrierefreie Gestaltung in der Praxis macht, zeigt sich oft erst beim Perspektivwechsel: Wer versucht, eine komplexe Website ausschließlich mit Tastatur und Screenreader zu bedienen, stößt schnell an Grenzen – etwa bei der Navigation, der Orientierung oder dem Ausfüllen von Formularen. Solche Erfahrungen prägen den Blick auf Usability und zeigen, wie weit viele digitale Oberflächen noch von echter Inklusion entfernt sind. Für UX-Designer bedeutet das: Verantwortung beginnt dort, wo formale Standards auf reale Nutzung treffen – und Design barrierefrei gedacht werden muss.
Diese technischen Anforderungen betreffen nicht nur Neuentwicklungen. Auch bestehende Websites und Apps müssen überarbeitet werden, sofern sie ab Mitte 2025 weiterhin online sind und unter die Regelung fallen. Eine Übergangsfrist gibt es nicht. Wer die Anforderungen nicht erfüllt, riskiert rechtliche Konsequenzen – etwa Bußgelder oder Abmahnungen.
Wie weit die Realität von den Anforderungen entfernt ist, zeigt eine Studie von Buzzmatic: 99 Prozent der untersuchten Online-Shops in Deutschland erfüllen die Vorgaben aktuell nicht. Die größten Defizite finden sich bei Alternativtexten für visuelle Inhalte, mangelnder Tastaturbedienbarkeit und unzureichendem Farbkontrast. Auch in Behördennähe wird auf die Dringlichkeit hingewiesen – etwa durch die Bundesfachstelle Barrierefreiheit, die klare Kriterien und Hilfestellungen bereitstellt.
Neben fehlendem Know-how sind es häufig die falschen Werkzeuge, die die Umsetzung erschweren. Vor allem standardisierte Website-Baukästen oder CMS-Vorlagen lassen sich nur eingeschränkt anpassen – etwa wenn semantisch korrekte HTML-Strukturen fehlen, Formularfelder nicht barrierefrei gestaltet sind oder die Tastaturzugänglichkeit nicht aktivierbar ist. Zwar ermöglichen viele Systeme heute eine grundlegend barrierefreie Struktur und Navigation, doch gerade bei komplexeren Elementen wie Formularen bestehen weiterhin Lücken. Entscheidend ist deshalb nicht nur die Tool-Auswahl, sondern auch deren barrierearm gestaltete Konfiguration, laufende Weiterentwicklung und die Kompetenz der Umsetzenden. Die Zuständigkeiten sind meist diffus: Während sich die IT-Abteilung um die technische Infrastruktur kümmert, verantwortet das Marketing Inhalte, Design und Pflege.