»Wir konzentrieren uns auf den Lebenszyklus«
»Wir konzentrieren uns auf den Lebenszyklus« Tod Nielsen, Chef des Software-Herstellers Borland, legt im Gespräch mit InformationWeek-Redakteur Werner Fritsch dar, wie er sein Unternehmen umbaut.

Herr Nielsen, seit Sie im November 2005 die Leitung des Software-Herstellers Borland übernommen haben, hat sich einiges verändert. Ja. Ich habe mich für eine Fokussierung auf das Gebiet Application Lifecycle Management, kurz ALM genannt, eingesetzt. ALM-Werkzeuge erlauben es, einen Prozess zu etablieren, um Software effizienter zu entwickeln. Die Industrie bürdet den Anwendern immer mehr Laufzeitumgebungen auf, was denen die Software-Entwicklung erschwert. Deshalb sind jetzt Unternehmen gefragt, die sich auf den Betrieb und die Bereitstellung von Software konzentrieren.
Das angestammte Geschäft mit Entwicklungswerkzeugen wurde inzwischen separiert. Ja, es trägt den Namen Code Gear und gehört als Tochtergesellschaft weiterhin zu Borland. Im Fokus stehen dort die einzelnen Entwickler. Unlängst sind neue Versionen von JBuilder und Delphi auf den Markt gekommen. Mein Ziel ist, dieses Geschäft zu stabilisieren; nächstes Jahr kommt ein Verkauf in Betracht.
Was passiert mit Borlands Java-Applikationsserver und dem Corba-Broker? Die Middleware wird bis auf weiteres bei Borland bleiben, das ist im Unterschied zu den Code-Gear-Produkten keine Channel-Sofware. Wir werden die Kunden weiterhin zufriedenstellen, aber hier keine Offensive gegen den Wettbewerb starten.
Borland hat viele Krisen durchgemacht. Wie steht das Unternehmen heute wirtschaftlich da? Wir rechnen 2007 mit einer Gewinnmarge von 10 Prozent. 2006 haben wir uns auf die Steigerung des Umsatzes konzentriert und uns besser aufgestellt. Borland gibt es seit 24 Jahren, so dass sich da einiges angesammelt hatte. Zum Beispiel hatten wir zwei Verkaufsbüros in Neuseeland. Unsere Kernländer in Europa sind Deutschland, Frankreich, die Benelux-Staaten und Großbritannien. Da haben wir Niederlassungen, ansonsten arbeiten wir jetzt mit Partnern. 2007 müssen wir uns um unser Backoffice kümmern. Zum Beispiel haben wir sieben verschiedene ERP-Systeme. Wir haben rund 1000 Mitarbeiter und fast genauso viele Server. Wir haben 23 juristische Einheiten: jede hat ihre eigene Kostenrechnung und Compliance-Anforderungen. Unser neuer CFO und ich, wir wollen diese Komplexität deutlich verringern.
Was sind ihre finanziellen Ziele? Unser Wachstum sehen wir im ALM-Geschäft. Im vergangenen Jahr konnten wir da um 60 Prozent zulegen. In diesem Jahr besagen die Prognosen, dass der Markt um etwa 10 Prozent wachsen wird, und wir wollen mindestens doppelt soviel erreichen. Mittel- bis langfristig möchte ich in jedem Quartal mit ALM 100 Millionen Dollar machen. Wir überlegen noch, wie wir diese nächste Stufe des Erfolgs erreichen können. Im vergangenen Jahr haben wir mit ALM insgesamt ungefähr 100 Millionen umgesetzt, mit Code Gear etwa 75 Millionen.
Ihre Strategie ist, sich auf das ALM-Geschäft zu konzentrieren. Glauben Sie, dass Ihre Produkt-Suite bereits vollständig ist, oder sehen Sie noch Lücken und Ergänzungsmöglichkeiten? Bei den Kernkomponenten – Anforderungsanalyse, Portfolio- und Änderungsmanagement, Qualität – haben wir starke Angebote. Unsere Suite ist solide. Wir müssen allerdings noch die Interoperabilität der einzelnen Werkzeuge verbessern. Mit kleineren Akquisitionen können wir auch noch Technologien hinzufügen, zum Beispiel ein Dashboard, Messverfahren oder mehr Klebstoff. Unsere Kunden wollen in allen Phasen des Lebenszyklus Transparenz.
Was meinen Sie mit Klebstoff? Eine gemeinsame Arbeitsumgebung für die einzelnen Werkzeuge: von der Benutzerschnittstelle über das Repository bis zu den Workflows. Ähnlich wie das in den 90er Jahren mit Microsofts Büropaket Office passiert ist.
Die einzelnen Werkzeuge Ihres ALM-Pakets wurden ursprünglich von verschiedenen Firmen entwickelt, die Borland dann übernommen hat. Ja. Das Anforderungswerkzeug Caliber und das Konfigurations- und Änderungsmanagement Starteam rühren noch von dem Hersteller Starbase her, das Projekt- und Portfoliomanagement Tempo von Legadero, die Testwerkzeuge namens Silk von Segue.
Wie ordnen Sie die UML-Software von Togethersoft ein, eine weitere Firma, die Borland übernommen hat? Unsere Kunden sehen sie als einen Faden, der sich durch die einzelnen Komponenten zieht. Unser Anforderungswerkzeug verwendet UML-Modelle. Die Benutzer müssen aber deshalb nicht UML-Experten sein. Ein Fachbereichsanwender kann durchaus seine Anforderungen damit darstellen.
Gibt es für Borland im Software-Lebenszyklus eine Phase von Analyse und Design, für die UML ja ursprünglich gedacht war? Manche IT-Abteilungen entwerfen ihre Software mit UML, andere jedoch nicht. Wir unterstützen mit unseren ALM-Werkzeugen den Prozess, den die Organisation hat. Sie sind zum Beispiel mit modifiziertem RUP, mit iterativen Methoden, weiterhin mit dem alten Wasserfallmodell und auch mit den neueren agilen Vorgehensweisen kompatibel.
Gibt es Schwerpunkte bei der Nachfrage? Die meisten Kundenanfragen betreffen weltweit das Testen und die Erfassung der Anforderungen. Das verbreitetste Werkzeug zur Anforderungserfassung ist übrigens immer noch Microsoft Word. Davon ausgehend können wir dann weitere Möglichkeiten erschließen, den Lebenszyklus mit Werkzeugen zu unterstützen.
Die Anwender kaufen also weiterhin meistens einzelne Werkzeuge, aber nicht Ihre ganze Suite? Ja, so ist das derzeit typischerweise. Wir arbeiten daran, dann mehr aus unserer Palette zu verkaufen. Wir haben noch nicht viele Kunden, die alle unsere Werkzeuge einsetzen. Das müssen wir noch zusammenführen.
Was ist Ihre Vision für den Software-Lebenszyklus? Wir wollen den Kunden helfen, aus der Software-Entwicklung einen steuerbaren Geschäftsprozess zu machen. Da wollen wir hin, das ist unsere Vision. Die Unternehmen wollen IT wie einen normalen Geschäftsprozess behandeln und frühzeitig gewarnt werden, wenn etwas aus dem Ruder zu laufen droht, so dass sie noch Gegenmaßnahmen treffen können. Der Schmerz bei den Anwendern ist da so groß, dass wir gute Chancen haben, sie mit einem Proof-of-Concept zu überzeugen.
Ist das nur eine Frage der Werkzeuge? Gehören da nicht auch bewährte Vorgehensweisen dazu? Werkzeuge und Technologien gehören dazu, aber auch Prozesse und Personen. Wir haben auch Berater, die den Kunden helfen, ihre Entwicklungsprozesse und Methodologien in diesem Sinn zu definieren. Vor zwei Jahren haben wir die Firma Teraquest übernommen, die auf das Management und die Qualität von Software-Entwicklungsprozessen spezialisiert war und Know-how bei dem Prozessmodell CMMI hatte.
Sind Ihre ALM-Werkzeuge stärker in der Java-Welt vertreten oder in .Net-Umgebungen? Das ist ungefähr gleich, die meisten Kunden haben ohnehin beides. Einer unserer größten Kunden, EDS, will mit dem Entwicklungsprozess und den ALM-Werkzeugen unabhängig bleiben von der Zielumgebung – ob die nun Java heißt oder .Net oder Mainframe. Das ist durchaus wesentlich und typisch. Die Kunden wollen neutral bleiben. Eine der entscheidenden Punkte bei Borland ist außerdem Offenheit. Wir wollen unsere Kunden nicht einsperren. Wenn sie mit den Testwerkzeugen von HP oder mit dem Anforderungsmanagement von Telelogic arbeiten wollen, dann soll das gehen. Wir sind interoperabel und unterstützen beliebige Prozesse, Plattformen und Werkzeuge – im Unterschied zu Anbietern wie Microsoft oder IBM, die die Kunden auf einen bestimmten Weg drängen wollen.
Wie realisieren Sie die Neutralität und Offenheit Ihrer Suite, von der Sie sprechen? Wir richten uns nach den Anforderungen der Kunden. Zum Beispiel unterstützt unser neues, zugekauftes Qualitätssicherungsprodukt Gauntlet unser Konfigurationswerkzeug Starteam, aber auch Produkte anderer Hersteller: Subversion von Collabnet, PVCS von Serena und Clearcase von IBM. Es sind Punkt-zu-Punkt-Integrationen, aber wir verwenden eine Abstraktionsschicht, um das zu erleichtern. Wir sind dabei, einen entsprechenden Framework zusammenzustellen, den die Entwickler dann bei allen Produkten verwenden können.
Mit Eclipse gibt es doch einen Standard und quelloffene Software zur Integration von Entwicklungs- und Verwaltungswerkzeugen. Welche Rolle spielt Eclipse bei Borland? Bei Code Gear unterstützen wir Eclipse mit unserem Java-Programmierwerkzeug JBuilder: die neue Version ist auf dem Framework von Eclipse aufgebaut. Bei ALM wäre es theoretisch auch möglich, aber wir haben nicht viele Kunden, die danach fragen. Eclipse ist mehr auf die Entwicklungswerkzeuge ausgerichtet. Bei ALM gibt es neben den Entwicklern weitere Personengruppen bis hin zu den Fachanwendern. Die haben keine Eclipse-Kenntnisse und wollen einfache Benutzerschnittstellen. Wir haben Eclipse deshalb derzeit nicht in unserer Planung für die ALM-Produktlinie.
Wie sehen Sie den Wettbewerb? Unser Hauptwettbewerber ist IBM. IBM und wir haben eine breite ALM-Suite. Wenn wir IBM im Wettbewerb begegnen, sind es oft größere Deals mit mehreren Produkten, bei den anderen Anbietern im ALM-Bereich geht es meist nur um einzelne Werkzeuge. Telelogic etwa ist mit Doors stark bei der Anforderungsanalyse, Serena ist vor allem beim Änderungs- und Konfigurationsmanagement wichtig. Ansonsten ist der Markt fragmentiert, da gibt es viele Anbieter mit nur einem einzigen Produkt.
Und Microsoft? Microsoft sehen wir kaum. Einige ALM-Produkte haben sie inzwischen, andere fehlen noch, zum Beispiel für das Testen und auch zur Modellierung. In den kommenden zwei Jahre werden sie außerdem vollauf mit Vista und Office beschäftigt sein.
Wie wirkt sich die Akquisition des Testmarktführers Mercury durch HP aus? HP bewegt sich nicht so sehr in Richtung ALM, sondern sucht Synergien mit der Systemmanagement-Software. Zurzeit gewinnen wir Kunden, die ein Testwerkzeug suchen und durch diese Übernahme verunsichert sind.