Das Internet der Dinge, Haustechnik und I4.0

Dinge ins Netz

11. August 2015, 6:00 Uhr | Stefan Mutschler/jos

Dinge werden vernetzt, um miteinander interagieren zu können. Wenn dies intelligent passiert, erleichtert es das Leben, erhöht die Effizienz und schont die natürlichen Ressourcen - so jedenfalls die Idee des Internets of Things (IoT). Das Schlagwort "Industrie 4.0" (I4.0) beschreibt den vor allem in Deutschland ausgeprägten Ansatz von IoT, klassische Ingenieurskunst ins digitale Zeitalter zu überführen. Der deutsche Staat und zahlreiche Verbände sehen mit der softwaredefinierten, IT-vernetzten Produktion riesige Zukunftschancen - oder die große Katastrophe, falls das Land den Anschluss verpasst. Ein Blick in die gegenwärtigen Entwicklungen stimmt jedoch optimistisch.

Die Digitalisierung in Form von IoT und I4.0 läuft nun schon eine ganze Weile - mit etwas Abstand betrachtet wird jedoch klar, dass dieser Prozess nach wie vor im Anfangsstadium steht. Aktuelle Schätzungen sagen, dass heute maximal fünf Prozent der Dinge, die vernetzt werden können, tatsächlich schon verbunden sind. Ob Smart Metering, Sicherheitssysteme, intelligente Kühlschränke oder Türen - laut Marktforschern werden bis 2025 25 Milliarden Geräte miteinander kommunizieren und Daten untereinander austauschen.
Was im Bereich des IoT derzeit Stand der Dinge ist, war beispielsweise auf der letzten CeBIT sehr gut zu sehen. Bei Digitalstrom etwa stand das vernetzte Haus im Mittelpunkt. Haussteuerung und Automation durch fernsteuerbare Rollläden oder Energie- und Wärmequellen, zentrale Steuerung der Unterhaltungselektronik in allen Räumen oder über ein per Smartphone bedienbares Beleuchtungskonzept sind für den Hausvernetzer allerdings erst die halbe Miete. Damit aus einem vernetzten Haus auch ein intelligentes Haus wird, postuliert Digitalstrom eine Reihe von Kriterien. So müsse in einem Smart Home jedes an den Strom angeschlossene Haushaltsgerät vernetzt und intelligent sein.
Die Leuchten am Stand beispielsweise signalisierten ihren momentanen Stromverbrauch und gaben Informationen über die Fassung des Leuchtmittels weiter - zusammen mit der Statusmeldung, ob dieses defekt ist oder nicht. Realisiert war dies über eine spezielle Digitalstromklemme, in die ein kleiner Hochvolt-Chip eingebaut war. Der Chip kann Strom schalten, dimmen und messen, verfügt über eigene Rechnerleistung, speichert Daten und kommuniziert über die Stromleitung.
Ein weiteres wichtiges Kriterium für das Smart Home sieht Digitalstrom - ganz im Sinne von "Software-defined" - in der Loslösung der Geräte von einem einzigen Zweck. Das Läuten der Türklingel kann dann zum Beispiel auch als Feueralarm dienen oder als Signalton, wenn im Keller die Waschmaschine durchgelaufen ist. Genauso kann das Licht im Keller durch Blinken signalisieren, dass es an der Haustür klingelt. Diese Art der Mehrfachnutzung ist bereits vom Smartphone bekannt, bei dem zum Beispiel die Leuchte sowohl Blitz als auch Taschenlampe sein kann. Die restlichen Kriterien, die - nicht nur laut Forderung von Digitalstrom - für ein Smart Home Sinn haben:
offene Schnittstellen und eine Verbindung zum Web,
einfache Ergänzung neuer Anwendungen und
Möglichkeit des Taggings mit Zusatzinformationen für alle Geräte.
Grundlage für all diese Funktionen ist eine gute Breitbandvernetzung im Haus. Neben dem schweizer Unternehmen Digitalstrom gab es auf der CeBIT zahlreiche weitere Anbieter. Ebenfalls aus der Schweiz etwa Casacom, die ihr Do-it-yourself-Vernetzungssystem auf Lichtwellenleiterbasis präsentierten. Das "Diy-Kit" ist für die Nachrüstung durch Leerrohre, Wandleisten, unter dem Teppich oder einfach freihängend hinter einem Regal konzipiert. Am Ende lassen sich Wanddosen platzsparend neben einer Starkstromsteckdose als Aufputz installieren. Durch einen sogenannten Klick-und-Fix-Mechanismus soll alles schnell und einfach installiert sein. Für Unternehmen gibt es das System auch als Fiber-to-the-Desk-Lösung mit mehreren Hundert Metern Reichweite. Dank neuer Steckverfahren sollen die Glasfasern zusammen mit dem Stecker durch Leerrohre gezogen werden können. Falls die Rohrlängen vom zentralen Server-Raum bis zum Arbeitstisch auf etwa fünf Meter bekannt sind, soll ein Spleißen nicht erforderlich sein. Die optischen Signale gelangen bidirektional (Hin- und Rückkanal) über die Glasfaser.
Die "Zipabox" des kroatischen Unternehmens Zipato versteht sich als zentrales Bindeglied zwischen dem Internet, mobilen Geräten und den Smart-Home-Komponenten (Sensoren und Aktoren) in einem Haus. Die klassische Haussteuerungslösung kommuniziert auf so ziemlich allen Kanälen, die sich in Hausnetzen typischerweise einsetzen lassen, darunter Z-Wave, Zigbee, KNX, 433 MHz und UPNP sowie DLNA. Per Cloud lassen sich weitere Funktionen für Überwachung, Nachrichtendienst, Wetterdienst und Alarmierung zur Lösung hinzubuchen.
Sicheren Zutritt zu einem Gebäude oder Gelände regelt heute nach wie vor meist ein Schlüsselkonzept. Danalock zeigte ebenfalls auf der CeBIT seinen virtuellen Schlüsselbund, der Türen vom Smartphone aus ent- und verriegelt. Praktisch, aber nicht ungefährlich: Mit aktivierter Auto-Unlock-Funktion öffnet die Danalock-App Türen auch automatisch, wenn man sich ihr nähert. Dies allerdings öffnet auch dem Handy-Dieb ganz neue Möglichkeiten: Dann hilft auch das Protokoll wenig, das aufschlüsselt, wer ein Haus wann betreten und wieder verlassen hat.
Die starke Vernetzung birgt allerdings auch einige Gefahren - ganz abgesehen von unausgegorenen Funktionen wie im Beispiel mit dem virtuellen Schlüssel. Probleme mit dem Datenschutz adressieren die Produkte derzeit noch kaum. Die digitalen Spuren, die jede Aktion und jeder Akteur im IoT hinterlassen, sind im Moment noch Freiwild für Firmen und Organisationen, die daraus ihre Vorteile ziehen. Ebenso sind funktionale Sicherheitsaspekte eine riesige Herausforderung, vor allem für die Softwareentwickler.
Das IoT-Szenario ist sehr komplex mit extrem vielen, unterschiedlichen Gerätetypen und verschiedenen Funkverbindungen wie GSM, WLAN, ZigBee, Bluetooth, NFC und RFID. Zum Umfeld gehören auch Breitbandnetze und mobile Infrastrukturen im weiteren Sinne samt Smartphones, Tablets und App-Stores. Geräteübergreifende Standards fehlen ebenso wie einheitliche Software-Codes. Dies macht die Aufgabe für Entwickler nahezu unmöglich, und Nutzer haben kaum eine Chance, selbst für ein gewisses Maß an Sicherheit zu sorgen.
Letzteres gilt vor allem für die zahlreichen eingebetteten Systeme, die vom Nutzer unbeeinflussbar miteinander kommunizieren. Spezialisten für Softwaresicherheit wie beispielsweise die Synopsis-Tochter Coverity arbeiten an intelligenten Testverfahren für Software, die möglichst schon bei der Produktion stattfinden, um hohe Folgekosten durch nachträgliche Änderungen zu verhindern.
Das Thema Interoperabilität verschiedener Geräte und Prozesse will ein kürzlich gegründetes Unternehmen namens Mozaiq in die Hand nehmen. Dahinter steckt ein Joint Venture mit Cisco, Bosch und ABB. Ziel ist die Entwicklung einer einheitlichen Softwareplattform für das Smart Home, damit die Nutzer von Smart-Home-Lösungen möglichst einfach und reibungslos Anwendungen und Geräte unterschiedlicher Marken miteinander verbinden und zentral verwalten können.
Was allgemein für das IoT gilt, gilt ganz besonders auch für "Industrie 4.0", die das IoT-Konzept speziell für die Fertigung umsetzt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) setzt große Hoffnungen auf diesen Ansatz, ebenso wie Branchenverbände wie Bitkom, VDMA und ZVEI. Das bereits 2011 ins Leben gerufene Zukunftsprojekt Industrie 4.0 des BMBF zielt darauf ab, die deutsche Industrie in die Lage zu versetzen, für die Zukunft der Produktion gerüstet zu sein. Diese ist laut BMBF durch eine starke Individualisierung der Produkte unter den Bedingungen einer hoch flexibilisierten (Großserien-) Produktion gekennzeichnet.
Auch sollen Kunden und Geschäftspartner direkt in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse eingebunden werden. Zudem ist angestrebt, die Produktion mit hochwertigen Dienstleistungen zu verbinden.
Um diese Ziel noch breiter zu unterstützen, feierte auf der Hannover Messe Industrie (HMI) vergangenen April die von Politik, Wirtschaft, Verbänden, Wissenschaft und Gewerkschaft getragene Plattform Industrie 4.0 ihr Debüt. Die Bundesregierung will dabei gemeinsam mit den Partnern und Akteuren der Plattform die Chancen der Digitalisierung der Wirtschaft noch zielgerichteter als bisher nutzen. Der Stellenwert dieser Plattform spiegelt sich sehr schön in der Besetzung seiner Leitung wider: Neben Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Bundesforschungsministerin Johanna Wanka finden sich hier Spitzenvertreter der Industrie und der Industrieverbände sowie der Industriegewerkschaft Metall und der Fraunhofer-Gesellschaft.
Einer der größten Aussteller auf der HMI mit sehr umfangreichem Angebot an konkreten I4.0-Lösungen war allerdings ein Amerikaner: Cisco brachte unter anderem seine "Connected Factory" (ganzheitlich vernetzte Lösung für Fabriken mit umfassenden Funktionen für intelligente Produktion), sein "Field Area Network" (kurz FAN - eine umfassende Lösung für Verteilungsautomation und Smart Metering), seine "Utility Substation Automation" (Automatisierung von Schaltanlagen mit Tele-Schutz und Compliance) und sein "Track and Trace" (Verbindung und Management industrieller Tools, zum Beispiel von Industrieschraubern zur automatischen Auswahl der richtigen Schraube und des richtigen Drehmoments) mit zur Produktschau nach Hannover.
Siemens will die reale und virtuelle Fertigungswelt mit integrierten Lösungen für die Industrie verbinden. Das Angebot umfasst spezielle Industriesoftware, Automatisierungs- und Antriebstechnik sowie Services und Lösungen für Ressourceneffizienz. Ein Highlight von Siemens auf der HMI war sicherlich der Maserati Ghibli. Als einer von vier "Digitalization Showcases" im Siemens-Digitalisierungsforum war dort die Digitalisierung in der Fertigung sehr anschaulich zu beobachten.
Für Siemens ist I4.0 ohnehin bereits heute eine Erfolgsstory: Nachdem das frühere Lokomotivwerk in München Allach nach missglücktem Verkauf zu schließen drohte, blüht es nun als Siemens Mobility neu auf und soll sogar ausgebaut werden. Das Erfolgsrezept besteht in der Übertragung von Industrie 4.0 auf das Eisenbahngeschäft.
Trotz Aufbruchsstimmung gibt es in Sachen I4.0 in Deutschland massive Bedenken. Zum einen scheint das Thema bislang nur bei den Großunternehmen angekommen zu sein. Der Mittelstand, obwohl im Zukunftsprojekt Industrie 4.0 des BMBF explizit adressiert, hat offenbar noch keinen Zugang gefunden. Der zweite Punkt ist, dass I4.0 in großen Teilen ein Softwarethema ist - und in diesem Umfeld ist Deutschland nicht unbedingt für seine große Stärke bekannt. Aber vielleicht sollten die Deutschen einfach einmal das tun, was sie bei den Kollegen im Silicon Valley gerne argwöhnisch beobachten: anpacken.

Der Autor auf LANline.de: ElCorrespondente

Die "Zipabox" des kroatischen Unternehmens Zipato versteht sich als zentrales Bindeglied zwischen dem Internet, mobilen Geräten und den Smart-Home-Komponenten in einem Haus. Foto: Stefan Mutschler

Das Do-it-yourself-Vernetzungssystem "Diy-Kit" von Casacom kommt mit dünnen optischen Kabeln, die sich einfach durch Leerrohre, Wandleisten, unter dem Teppich oder einfach freihängend hinter einem Regal nachrüsten lassen. Foto: Stefan Mutschler

Der virtuelle Schlüsselbundvon Danalock ent- und verriegelt Türen vom Smartphone aus. Foto: Stefan Mutschler

Der Hochvolt-Chip in dieser Digitalstromklemme kann Strom schalten, dimmen und messen, verfügt über eigene Rechnerleistung, speichert Daten und kommuniziert über die Stromleitung. Foto: Stefan Mutschler

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