»Persönliche Kontakte unverzichtbar«
»Persönliche Kontakte unverzichtbar« Seit Neuestem machen spektakuläre Aufkäufe und Beteiligungen indischer IT-Firmen an deutschen Unternehmen von sich reden. Dr. Peter M. Heij, Senior Vice President und für das kontinentaleuropäische Geschäft beim indischen IT-Outsourcingspezialisten Satyam Computer Services zuständig, sprach mit Ariane Rüdiger, freie Mitarbeiterin bei InformationWeek, über die Gründe dieser Entwicklung.

Herr Heij, Ihr Wettbewerber Tata Consulting Services beteiligt sich mit zehn Prozent an T-Systems. Ist das ein ungewöhnlicher Schritt, oder muss man in Zukunft mit mehr solchen Deals rechnen, zum Beispiel auch seitens Ihres Unternehmens? Ich möchte mich hier nicht über die Strategie anderer Unternehmen äußern. Grundsätzlich sind Aufkäufe in den etablierten Industrieländern durch IT-Player aus Indien oder China durchaus sinnvoll.
Warum? Der Käufer erwirbt doch dadurch Mitarbeiter, die den bisher wichtigsten Vorteil dieser Anbieter, nämlich ihre günstigen Preise, aushebeln. Man muss solche Expansionsschritte auf dem Hintergrund der gesamten Marktentwicklung sehen. Das Outsourcing-Geschäft fing in den USA an. Indische IT-Spezialisten von Satyam gingen in den 90ern nach USA und überzeugten John Deere, einen Hersteller von Landmaschinen, davon, dass sich bestimmte IT-Aufgaben genau so gut wie von nebenan auch über 64-KBit-Satellitenverbindungen in Indien erledigen ließen. Das war die erste Welle. Konsequenterweise mussten die Dienstleister später ihre Services den internationalen Kunden überall anbieten, wo diese präsent waren, nicht nur in den USA. So kamen indische Outsourcer in andere Länder, insbesondere nach Europa und speziell England. Mittlerweile geht es aber nicht mehr nur um die globalen Player als Kunden, sondern um die europäischen Ländermärkte.
Und dafür brauchen Sie eine neue Strategie? So ist es. Wir brauchen eine eigene Strategie für jedes Land. Die indischen Manager in Europa fühlen sich nämlich, unter anderem aus Sprachgründen, in England und besonders London am wohlsten. Einen deutschen Mittelständler, wir reden hier von Firmen mit Umsätzen zwischen 500 Millionen und zwei Milliarden Euro, können Sie aber nicht ausschließlich auf Englisch adressieren. Diese Firmen sind insgesamt viel stärker in ihrem Heimatmarkt und dessen Kultur verwurzelt. Dazu kommen zwei unterschiedliche europäische Kulturen.
Welche? Sie haben einmal den Norden, die Niederlande, Großbritannien, Irland… Hier genügt es, wenn man einen Business Case und Referenzen irgendwo vorweisen kann. Dann sind die Leute im Zweifel bereit, einen Anbieter unter Vertrag zu nehmen, egal, ob sie ihn kennen oder ob er ihre Sprache spricht. Im Süden und Osten, auch schon in Süddeutschland, ist das ganz anders: Hier brauchen Sie unbedingt Referenzen möglichst nah dran, am besten vor Ort, etwa in derselben Stadt, und jemanden, der mit den Leuten so redet, wie sie es gewohnt sind oder den sie kennen. Sonst bekommen Sie keine Aufträge.
Outsourcer kaufen sich also den Marktzugang, wenn sie hiesige IT-Dienstleister erwerben? Richtig. Ob es dabei immer sinnvoll ist, sich an sehr großen Firmen zu beteiligen, ist eine diskussionswürdige Frage. Satyam zielt eher auf mittelgroße IT-Spezialisten, die auf bestimmten lokalen oder vertikalen Märkten besonderes Know-how mitbringen. Sie generieren für uns neue Kunden, an die wir allein wegen des fehlenden persönlichen Kontakts kaum herangekommen wären.
Dadurch konkurrieren Sie plötzlich mit ganz normalen deutschen IT-Dienstleistern. Natürlich, und längst nicht mehr nicht nur mit denen, die einfachere Aufgaben übernehmen. Die Zeiten, in denen man nur Commodity-Aufgaben nach Indien verlagern konnte, sind längst vorbei. Wir suchen heute nach Aufgaben in Augenhöhe mit Anbietern wie Accenture.
Nochmals: Wo bleiben bei diesem Ansatz Ihre spezifischen Vorteile? Einmal ist bei uns und ähnlichen Unternehmen der Offshoring-Gedanke schon in der Struktur verankert. Es gibt zum Beispiel bei Satyam eine von vorn herein global ausgerichtete Delivery, die aus Indien gesteuert wird, statt der auf Ländermärkte ausgerichtete Strukturen, zu denen dann eine globale Delivery, die der Kunde möchte, mehr oder weniger quer liegt. Wir können ohne Rücksicht auf Ländermärkte da entwickeln, wo das am günstigsten ist. Weltweit haben wir 25 Delivery-Center, in Europa zum Beispiel in London und Budapest. Das Top-Management ist nur für den Umsatz verantwortlich.
In Deutschland wird nicht entwickelt? In Ungarn gibt es sehr viele gute Entwickler, die Deutsch sprechen, aber für erheblich weniger Geld arbeiten. Deshalb wird die deutsche Delivery teilweise von dort gehandhabt. In Deutschland beschäftigen wir 250 Mitarbeiter, die bis auf 20 in den Büros in Wiesbaden und München alle direkt bei unseren Kunden sitzen. Wenn wir bei Satyam deutsche oder europäische Firmen aufkaufen, werden sie nicht direkt integriert, sondern behalten durchaus ihre Identität.
Wer durch Zukäufe schnell wächst, kann deswegen Probleme bekommen. Wir wachsen sowieso rasant. In den letzten 14 Monaten wuchs die Belegschaft von 30000 auf 40000 Mitarbeiter weltweit, und zwar bei einer mittleren Fluktuationsrate zwischen 11 und 16 Prozent, wie sie in Indien üblich ist. Das heißt, wir müssen pro Jahr mindestens 18000 Leute integrieren, weil wir so viele für neue Projekte brauchen. Wir haben keine Reserven, weil alle Leute in Projekten sitzen und man für manche Dinge, etwa SAP-Management einfach Erfahrung haben muss. Allerdings können wir neue Mitarbeiter, entsprechendes fachliches Know-how vorausgesetzt, global zu jedem Kunden schicken, ohne dass gemurrt wird. Hier liegt einer unserer Vorteile, die wir auch weiter geltend machen werden. Für die engen lokalen Kontakte und bestimmte damit verbundene Aufgaben können wir auch Mitarbeiter aus Firmen einsetzen, die wir hier oder in anderen Märkten einkaufen.
Woher holen Sie ausreichend qualifizierte Führungskräfte, um die Strukturen zu festigen? Das ist in der Tat ein Problem. Wir sind inzwischen dazu übergegangen, unser Management durch ein von uns finanziertes spezielles Institut, die Satyam School of Leadership, selbst auszubilden.
Das Global-Delivery-Konzept mag gut sein, es lässt sich aber kopieren. Richtig, doch unser Vorsprung wird noch eine Weile halten.
Wie lange? Das lässt sich so nicht sagen. Am Ende, in zehn oder zwanzig Jahren, wird es darauf hinauslaufen, dass man Satyam oder TCS genau so selbstverständlich in Ausschreibungen in Europa mit einbezieht wie zum Beispiel SIS, IBM Global Services oder einen spezialisierten örtlichen Dienstleister. Unsere europäischen Konkurrenten werden bis dahin übrigens genau so selbstverständlich eine indische Workforce beschäftigen wie wir, sie tun es ja heute schon. Und dieser Wettbewerb auf Augenhöhe ist auch, was wir anstreben.