Kopf der Woche: Ludwig Erhard
Soziale Marktwirtschaft ist prima, weil sie Wohlstand schafft. Es muss ja nicht gleich für alle sein, wie der Vater des Wirtschaftswunders irrtümlich meinte. Ludwig Erhard ist aus aktuellem Anlass unser Kopf der Woche.

Am 20.Juni nähert sich zum 60. Mal die Geburtsstunde der Wirtschafts- und Währungsreformen, die Deutschland von der Planwirtschaft zu einer freien, dem Wettbewerb verschriebenen Ökonomie führte. Der Vater dieser Reformen war Ludwig Erhard, der den Begriff der Sozialen Marktwirtschaft aufgegriffen hat und als Vater des Wirtschaftswunders in Geschichtsbüchern gefeiert wird. Und nicht nur da. Schon seit geraumer Zeit wirbt die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) in Zeitungsanzeigen für grundlegende Reformen und beruft sich auf Erhards Thesen. Der Wirtschaftsminister und Bundeskanzler Ludwig Erhard würde sich wohl in seinem Grab am Bergfriedhof in Gmund am Tegernsee umdrehen, müsste er feststellen, dass seine von der INSM publizierten Zitate in keiner Weise mehr der heutigen Wirklichkeit entsprechen.
Dabei muss man nicht einmal Erhards Forderung hernehmen, dass er von Unternehmenslenkern ein höchstes Maß an Verantwortungsgefühl verlangt. Diese Forderung ist und bleibt ein frommer Wunsch, der damals wie heute nicht ernst genommen wurde und wird. Ein weiteres wieder in Erinnerung gerufenes Statement von Erhard könnte man fast schon als unverschämten Zynismus bezeichnen, wüsste man nicht, dass sich durchaus respektable Zeitgenossen für die INSM-Kampagne hergeben. »Marktwirtschaft ermöglicht gerechten Lohn«, wird Erhard zitiert. Nun gut, Heiner Brand muss man entschuldigen. Der Handball-Weltmeister-Macher kann es sich aus nahe liegendem Grund nicht vorstellen, dass es in Deutschland immer mehr Werktätige gibt, die durch ihre Hände Arbeit keine Familie ernähren können.
Der INSM-Botschafter und Ex-Ministerpräsiden Lothar Späth hingegen kennt Menschen, die arbeiten und trotzdem Bezieher von Transferleistungen sind. Erhards Buchs »Wohlstand für alle« suchen sie im Regal utopische Romane, neben dem Werk »Sonnenstaat« von Tommaso Campanella. Mit solcher Sozialromantik hat »Cleverle« Späth (»Mehr Mut zur Ungleichheit«) nichts am Hut. Wie überhaupt alle Aushängeschilder der INSM sich nicht gerade gerne hinunterbeugen in die Niederungen der von der Marktwirtschaft abgekoppelten Kreise. Im Gegensatz zu Ludwig Erhard, der Seitenweise Briefe besorgter Bürger gelesen und zitiert hatte.
Doch wer beschäftigt sich heute noch mit Prekariatsforschung? Ein Hinweis, dass »offensichtlich das Thema soziale Gerechtigkeit wieder Hochkonjunktur hat«, wie ihn der ehemalige Bundesbankpräsident Prof. Dr. Hans Tietmeyer in seiner Festrede zu »60 Jahre Soziale Marktwirtschaft« hatte anklingen lassen, muss genügen. Schließlich steigt der Wohlstand, »auch wenn viele daran nur sehr unterschiedlich teilnehmen«. Gut, dass Tietmeyer, Vorsitzender des INSM-Kuratoriums, nicht alle Thesen Erhards kennt. Er wäre erschrocken darüber, dass Erhard Arbeitgebern dingend rät, freiwillig und ohne Druck der Gewerkschaften für echte Reallohnerhöhnungen zu sorgen.