Mitel nach Restrukturierung und CEO-Wechsel auf Kurs
Mitel setzt nach Restrukturierung und CEO-Wechsel auf Kontinuität und Innovation. Martin Bitzinger, Senior Vice President of Product Management, erklärt im Gespräch, welche Rolle hybride Modelle, KI und neue Fertigungsstrategien künftig spielen.

Im Rahmen der Mitel Galaxy Tour 2025 im ESO Supernova Planetarium & Visitor Centre in Garching sprach connect professional mit Martin Bitzinger, Senior Vice President Product Management. Die Roadshow führte Mitel durch mehrere Städte in Deutschland, Österreich und der Schweiz – München war der vorletzte Halt, bevor das Finale in Luzern am 1. Oktober stattfand. Ziel: Endkunden wieder stärker in den direkten Austausch einzubinden.
Bitzinger verantwortet das weltweite Produkt- und Serviceportfolio, das sich in vier Hauptsäulen gliedert: UC-Lösungen, Contact-Center-Angebote, Hardwaregeräte sowie vertikale Branchenlösungen. Besonders hervor hebt er die Flexibilität bei der Bereitstellung: „Unsere Lösungen können On-Prem, in der Cloud oder in beliebigen Hybridmodellen betrieben werden – sogar verteilt über mehrere Public Clouds.“ Mit dem Launch der neuen Customer-Experience-Plattform Mitel CX unterstreicht das Unternehmen seine Ambitionen im Contact-Center-Markt. Auch Hardware wie Multi-Cell-DECT-Systeme, WLAN-Telefone oder branchenspezifische Lösungen für Gesundheitseinrichtungen, Leitstellen oder den Finanzsektor bleiben Teil des Angebots.

Frontline-Worker im Fokus
Während viele Wettbewerber vor allem klassische Office-Umgebungen adressieren, zielt Mitel auf Branchen mit hohem Anteil an sogenannten Frontline-Workern – etwa im Gesundheitswesen, in Behörden, bei Energieversorgern oder im produzierenden Gewerbe. „Das Beratungsunternehmen mit 500 Consultants war nie unsere Kernzielgruppe“, sagt Bitzinger. Stattdessen geht es um Kommunikation für Krankenschwestern, Polizisten oder Produktionsmitarbeiter – dort, wo Prozesse ohne zuverlässige Sprach- und Datenverbindungen ins Stocken geraten.
Die Partnerlandschaft ist breit: Im DACH-Raum arbeitet Mitel mit einer knapp vierstelligen Zahl an Systemhäusern, Integratoren und Distributoren. Während das Direktgeschäft nur sehr große Kunden mit mehreren tausend Nutzern betrifft, sorgt der Channel für die Breite im Mittelstand.
Resilienz, Sicherheit und KI als Treiber
Mit Blick auf Markttrends benennt Bitzinger drei zentrale Treiber:
- strenger werdende Regulatorik,
- die wachsende Bedeutung von Resilienz
- und die Chancen durch Künstliche Intelligenz.
Vorschriften wie DORA oder NIS2 setzen Unternehmen unter Zugzwang. Gleichzeitig wächst das Bewusstsein, Abhängigkeiten zu vermeiden. „Niemand kann ernsthaft auf nordamerikanische Cloud-Anbieter verzichten. Entscheidend ist, keine singuläre Abhängigkeit zu haben.“
Auch die Diskussion um Cloud versus On-Prem hat sich gewandelt. Viele Kunden setzen längst auf hybride Szenarien – nicht zuletzt aus praktischen Gründen wie Latenzanforderungen. Flughäfen etwa betreiben Gesichtserkennungssysteme lokal, weil Sekundenbruchteile pro Passagier entscheidend sind.
Sicherheit bleibt ein Dauerbrenner: Am Beispiel einer jüngsten Lücke bei „MiCollab“ schildert Bitzinger die Praxis. Zwar könne Mitel schnell Patches liefern, doch „kritisch wird es, wenn Kunden noch auf uralten Versionen unterwegs sind“. Ein erheblicher Teil der Entwicklungsressourcen fließe heute kontinuierlich in Security.
KI gilt als entscheidender Hebel, insbesondere für die Prozessautomatisierung. Bitzinger verweist auf Szenarien im Handel oder Gastgewerbe, wo Voicebots Routineaufgaben übernehmen, oder im Möbelhandel, wo Verkäufer zwischen Online- und Vor-Ort-Kunden wechseln. „KI bringt natürliche Sprachkommunikation als Benutzeroberfläche zurück. Das senkt Trainingsaufwände und steigert Akzeptanz.“ Mit MCX verfolgt Mitel dabei einen offenen Ansatz: Unternehmen können eigene Modelle integrieren und die Lösung sowohl in Public Clouds als auch On-Prem betreiben.
Neue Fertigungsstrategien und personelle Weichenstellungen
Ein weiterer strategischer Schritt ist die geplante Rückverlagerung von Hardwareproduktion nach Europa, konkret nach Deutschland. Dank neuer Robotik-Technologien könne Mitel auch kleinere Stückzahlen effizient automatisieren. „Früher war eine Fertigung hierzulande schlicht nicht möglich. Heute können wir Endgeräte weltweit aus Deutschland beliefern.“ Details dazu will das Unternehmen in den kommenden Wochen bekanntgeben. Neben der Produktion rückt Mitel auch kommunikativ näher an die Kunden; Formate wie die Galaxy Tour sollen den direkten Draht stärken.
Bitzinger: „Mit intelligenter Robotik holen wir die Hardwarefertigung zurück nach Deutschland.“
Der Abschluss des Chapter-11-Verfahrens im Juni 2025 habe im operativen Geschäft keine großen Spuren hinterlassen. „Für den DACH-Markt war es weitgehend business as usual“, so Bitzinger. Entscheidend sei jedoch die Signalwirkung: Mitel konnte 1,15 Milliarden US-Dollar an Verbindlichkeiten abbauen, die Zinslast deutlich senken und neue Mittel sichern. „Die gestärkte Kapitalstruktur verschafft uns die Basis, Wachstum gezielt voranzutreiben.“
Auch personell wurden die Weichen neu gestellt. Im September trat Mike Robinson die Nachfolge von Tarun Loomba als CEO an. Robinson bringt jahrzehntelange Führungserfahrung und spezifisches Know-how in Post-Restrukturierungsphasen mit. „Es wird kein kompletter Umbruch – eher ein Feintuning an wichtigen Stellen“, beschreibt Bitzinger dessen Rolle. Kontinuität sei gewährleistet, da Robinson zuvor bereits im Board of Directors aktiv war. Parallel wurde das Führungsgremium durch erfahrene Branchenpersönlichkeiten wie Tony Abate, Marc Lefar, Marika Lulay und Carl Wiese verstärkt. Damit will Mitel nicht nur seine Strategie absichern, sondern auch zusätzliche Schlagkraft gewinnen, um den wachsenden UC-Markt aktiv mitzugestalten.