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Open Source: Der Pinguin setzt seinen Siegeszug fort

Open Source: Der Pinguin setzt seinen Siegeszug fort. Der Open-Source-Markt wächst weiter zweistellig. Zugleich dehnt sich der Einsatzbereich der Software allmählich von der Infrastruktur in Richtung unternehmenskritischer Anwendungen aus. Bei den Anbietern ist eine zunehmende Professionalisierung in Marketing, Vertrieb und Service zu beobachten. Dienstleistungen versprechen in diesem Jahr die größten Zuwachsraten.

Autor:Michael Hase • 15.2.2006 • ca. 5:05 Min

Open Source: Der Pinguin setzt seinen Siegeszug fort

Wie ein Schlauchboot erhebt sich die Allianz-Arena im Münchner Norden. Die Außenhaut besteht aus 3.000 transparenten Kissen. Von der Geometrie her sind nur maximal zwei Elemente identisch. Für Planung und Logistik bedeutete das eine immense Herausforderung. Um den Aufwand zu vertretbaren Kosten bewältigen zu können, stellte der Spezialanbieter Covertex zentrale Teile seiner IT von Windows auf Linux um. Ebenso migrierte die Investment-Bank Dresdner Kleinwort Wasserstein ihre Riskmanagement-Systeme von Solaris auf Linux. Ziel war es, die Applikationen kostengünstiger und effizienter zu betreiben.

So wie diese beiden Unternehmen entscheiden sich immer mehr Anwender für den Einsatz von Open-Source-Lösungen. Allein im vergangenen Jahr nahm die Verbreitung von Linux auf dem Server in Deutschland nach Zahlen des Kasseler Marktforschungsinstituts Techconsult um 21 Prozent zu. Bei ziemlich genau einem Drittel aller Unternehmen läuft das Betriebssystem, dessen Emblem der Pinguin Tux ist, auf Netzwerkrechnern.

Und das Wachstum ist ungebrochen. Dabei beschränkt sich der Open-Source-Einsatz längst nicht mehr nur auf die Betriebssystem-Ebene. Als feste Größe hat sich quelloffene Software in der Infrastruktur etabliert ? bei Web-Servern, Firewalls oder File- und Print-Servern. In diesem Segment sehen Beobachter nach wie vor die höchsten Wachstumsraten.

Darauf setzen auch Technologie-Anbieter wie IBM. Mit einem Wachstum des Open-Source-Markts von 20 bis 30 Prozent rechnet Harald Neumann, Leiter des Linux-Competence-Teams von IBM für dieses Jahr. Dabei beobachtet der Manager, dass sich das Geschäft hin »zu höherwertigen Lösungen« entwickelt. Dabei werde der Open-Source-Einsatz zunehmend bei unternehmenskritischen Anwendungen akzeptiert.

Tatsächlich erweitert sich das Angebot über Datenbank- und Middleware-Lösungen, unter denen My-SQL und J-Boss zu den prominentesten Anbietern zählen, sukzessive in Richtung der Anwendungsfelder Collaboration, Content-Management, CRM oder ERP. Von einem sich entfaltenden Open-Source-Segment, das »am Anfang eines Reifeprozesses steht«, spricht Techconsult-Analyst Denis Mrksa.

Bereits heute sind in fast allen Kategorien, in denen kommerzielle Software angeboten wird, entsprechende Open-Source-Alternativen verfügbar. Allerdings »in unterschiedlicher Qualität und mit unterschiedlichem Anspruch«, schränkt Carlo Velten, Senior Advisor bei der Ismaninger Experton Group, ein. Diese Heterogenität spiegelt sich in der meist noch niedrigen Verbreitung wider. Bei den Applikationen konzentriert sich die Nachfrage laut Experton Group derzeit vor allem auf Collaboration-Software wie etwa Open Xchange, Univention oder Scalix. Bis ERP-Lösungen auf Open-Source-Basis eine relevante Rolle am Markt spielen, dürften indes noch Jahre vergehen.

Nichtsdestotrotz wächst durch die Gründung von mehr als 100 Open-Source-Firmen innerhalb der vergangenen zwei Jahre nach Veltens Worten die Auswahlmöglichkeit für Anwender. Zugleich beobachtet der Berater bei dieser »zweiten Gründungswelle« eine deutliche Professionalisierung. In der ersten Open-Source-Phase zwischen 1997 und 2001 wurde die Software mitunter laienhaft vermarktet und ohne durchgehenden Support angeboten. Die jüngere Generation von Start-Ups werde dagegen meist von erfahrenen Managementteams geleitet, die professionelle Strukturen in Marketing, Vertrieb und Service aufbauen, erläutert Velten.

Getrieben wird die Entwicklung vom US-Markt, wo Risikokapitalgeber mit ihren Investments für die Gründungswelle sorgten. Allein im vergangenen Jahr flossen schätzungsweise 400 Millionen Dollar Venture Capital (VC) in Open-Source-Start-Ups. Experten rechnen für das laufende Jahr mit einem Kapitalstrom in mindestens dem gleichen Umfang.

In Deutschland zeigt sich der Trend nicht so ausgeprägt. Aber auch hierzulande gibt es Beispiele wie die VC-finanzierte Firma Collax, die im August 2005 gegründet wurde. Sie bietet unter dem Motto »Simply Linux« Server-Software für kleine und mittelständische Unternehmen mit bis zu 250 Arbeitsplätzen an. Implementierung und Betrieb der Lösungen sollen kein tieferes Linux-Know-how erfordern. Zum Management zählen Olaf Jacobi, früherer ACG- und Cobion-Vorstand, sowie Boris Nalbach, ehemaliger CTO von Suse.

Erst dieser Tage nahm der frühere Suse-Chef Richard Seibt ein Engagement bei Collax an. Der langjährige IBM-Manager rechnet damit, dass künftig auch hierzulande mehr Risikokapital in Open-Source-Projekte fließen wird. Zumindest möchte Seibt sein Teil dazu beitragen. Deshalb plant er in Nürnberg ein »Linux Business Camp«, ein Gründerzentrum für Open-Source-Firmen (siehe Interview).

Derweil steht bei Collax der Ausbau des Vertriebsnetzes ganz oben auf der Agenda. Die Zahl der Partner soll sich in diesem Jahr auf etwa 200 verdoppeln. Aus Sicht von Experton-Berater Velten die richtige Strategie. Denn Aufbau und Management eines »Channel-Ökosystems« entscheiden nach seinen Worten langfristig über den Erfolg der Firmen.

Insbesondere im Vertrieb sieht Velten ein Defizit bei den Start-Ups. Zwar setzen sie meist auf strategische Partnerschaften mit großen Anbietern wie IBM, Dell, HP oder Oracle. Doch vielen Anbietern fehle derzeit noch ein flächendeckender Partnerkanal. Der baut sich allerdings nicht von selbst auf. Vor allem sollten Open-Source-Firmen ihre Channel-Partner aktiv dabei unterstützen, den Pre-Sales-Aufwand zu reduzieren und den Sales-Zyklus pro Kunde zu verkürzen, rät Velten. »Nur attraktive Provisionierungssysteme und professionelle Vertriebsunterstützung können langfristig profitable Partnerschaften begründen.«

Andererseits erkennen Anbieter wiederum Defizite im Channel. So wünscht sich IBM-Manager Neumann offenbar ein stärkeres Commitment: Nicht alle Partner würden »moderne Konzepte wie Clustering oder Virtualisierung bereits in Gänze verstehen und so proaktiv anbieten, wie wir das gerne hätten«. Dabei hält es der Kompetenzteam-Leiter für dringend erforderlich, dass sich Integratoren mit solchen Konzepten beschäftigen. Denn Open Source habe »ein zusätzliches Paradigma« in die IT gebracht, mit dem zugleich ein riesiges Marktsegment heranwächst.

Für IBM gehört Linux zu den zentralen technologischen Bestandteilen der On-Demand-Strategie. Durch sein Engagement für das freie Betriebssystem hat der IT-Konzern seit 1999 maßgeblich dazu beigetragen, dass Open Source in den Chefetagen von Banken, Behörden und Industriekonzernen längst salonfähig geworden ist.

Mittlerweile ist Linux für IBM auch zu einer tragenden Säule des Geschäfts geworden. Für »mehrere Milliarden Dollar Umsatz« stehen Neumanns Worten zufolge die Open-Source-Technologien. Von diesen Erlösen wird mehr als ein Drittel durch Partner angestoßen. Etwa 70 Unternehmen ? die »Speerspitze« im Channel ? hat Big Blue im Rahmen des Programms »IBM Leaders for Linux« zertifiziert. Über Linux-Skills verfügen indes laut Aussage von Neumann mehr als 1.000 Partner.

Im diesem Jahr dürften Partner, nicht nur die von IBM, insbesondere vom stark wachsenden Service-Markt profitieren. Nach Zahlen von Techconsult steigt der Umsatz mit Open-Source-Dienstleistungen in Deutschland um 41 Prozent auf insgesamt 127 Millionen Euro. Der Software-Markt legt dagegen laut der Techconsult-Prognose nur um 24 Prozent zu.

Im Service-Geschäft sieht daher auch der Linux-Distributor Novell, der vor etwa zwei Jahren die Nürnberger Firma Suse übernahm, lukrative Umsatzpotenziale für seine Partner. Dabei setzt Robert Schmitz, Director Channel Sales bei Novell, auf »klare und verlässliche Kriterien«, nach denen der Anbieter und seine Reseller sich das Geschäft aufteilen. Den Vertrieb an mittelständische Kunden wickelt Novell ausschließlich über den Channel ab.

300 größere Unternehmen in Deutschland betreut der Anbieter dagegen selbst und verkauft die Lizenzen an diese Kunden direkt. »Aber auch bei diesen Kunden machen wir nicht alles selbst«, versichert Schmitz. Die Services beschränkten sich in der Regel auf das anfängliche Consulting. Die Implementierung übernehmen die Partner. Welches Potenzial der Channel-Manager im Markt sieht, zeigen seine Ziele für 2006. Bis zum Ende des Jahres möchte er das Vertriebsnetz von rund 700 auf 1.000 Partner ausbauen. Das Linux-Geschäft mit dem Unternehmen Covertex, das die Allianz-Arena mit ihrer Außenhaut verkleidete, fädelte im Übrigen mit Netmex ein Novell-Partner ein.