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Theoriefest

Grundsätze, so berichtet uns Mark Twain, haben keine wirkliche Macht, außer man habe gerade gut gegessen. Oder sich mit hübschen Brasilianerinnen auf Firmenkosten vergnügt, während man zuvor noch schnell ein paar Bescheidenheitsfloskeln über das Fußvolk gießt.

Autor:Redaktion connect-professional • 11.10.2006 • ca. 1:30 Min

Aber man muss nicht Peter Hartz studieren, um auf eine augenfällige Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis aufmerksam zu machen. Schließlich steckte schon der Philosoph Jean-Jacques Rousseau seine eigenen fünf Kinder ins Findelhaus, was ihn nicht davon abgehalten hatte, einen unter Pädagogen viel gerühmten Erziehungsroman zu verfassen. An dieser Stelle sei endgültig Schluss mit einem immer noch weit verbreiteten Irrtum: Botschaften sind immer an ihrem Träger zu messen, vor allem dann, wenn sie messianisch vorgetragen werden. Denn Theorien sind noch lange nicht widerlegt, nur weil ihre Verfechter damit in der Praxis vorbildlich scheitern. Das war schon immer so und wird immer wieder bestätigt

Siemens-Handys haben eine glänzende Zukunft, hatte sich Siemens- Chef Klaus Kleinfeld beim Lesen seiner Strandlektüre »Lügen, die von Herzen kommen«, gedacht, was schließlich Eingang in die Pressemitteilung vom Juni letzten Jahres gefunden hatte: »Mit dieser Partnerschaft haben wir eine nachhaltige Perspektive für unser Mobiltelefongeschäft gefunden.« Theoretisch ist an diesem Satz ja bis heute nichts auszusetzen, wenn man mit »wir« eben die Vertragspartner Siemens und Benq meint. Beide Konzerne stampfen ein stetiges Verlustgeschäft ein, womit sowohl der Zeitraum als auch die Perspektive beschrieben sind: Insolvenz, und zwar sofort. Dass Kleinfeld – praktisch beschämend – einräumen muss, man hätte wohl bei der Wahl eines Partners genauer hinschauen sollen, wird ihm nicht den Kopf kosten.

Kopflos rennt auch Jürgen Thumann in diesen Tagen nicht herum, obwohl der BDI-Chef allen Grund dazu hätte. Sein Haupt braucht der Verbandschef nämlich immer dann, wenn er erklärt, was theoretisch zu tun wäre, was ihn als Unternehmer nicht hindert, seine Speditionsfirma vor die Wand fahren zu sehen. So bräuchten beispielsweise viele familiengeführte Unternehmen für ihre Investitionsentscheidungen schnell klare politische Signale, fordert Thumann immer wieder. Und setzt seine Botschaft in die Tat um. Investiert wurde bei der Dehnhardt-Spedition in Meinerzhagen schließlich immer schon sehr viel: nämlich in Reparaturen des sechs Jahre alten Fuhrparks. Praktisch gesehen sind jetzt knapp 70 Beschäftigte von einer drohenden Insolvenz betroffen und »unserem Gesellschafter geht das alles am Arsch vorbei«, zitiert der »Westfälische Anzeiger« einen langjährigen Mitarbeiter auf einer Betriebsversammlung.