Er war einer der besten Kenner der Netzkriminalität und staatlicher Cyberattacken. Die Versprechen der eigenen Industrie konterte er mit Sarkasmus und erfrischender Ironie. Wo andere wegschauten, lenkte Raimund Genes stets den Blick auf eine unbequeme Realität.
Am Dienstag, 21. März 2017, hielt Raimund Genes auf der CeBIT in Hannover vor großem Publikum – wie so oft – einen spannenden Vortrag. Der Titel, »Gut versus Böse«, stand für das, wofür der gefragte IT-Sicherheits-Experte Zeit seines Berufslebens leidenschaftlich kämpfte: Die Eindämmung cyberkrimineller Bedrohungen, die nicht allein von organisierten Verbrecherkartellen ausgehen. Staatliche Nachrichtendienste sind Teil dieser milliardenschweren Bedrohungsindustrie. Erpressung, Sabotage, Wirtschaftsspionage, vor der Ära Snowden nie vorstellbare behördliche Abhörmaschinerien rund um den Globus, die den Rechtsraum demokratischer Bürgergesellschaften längst verlassen haben und ein bis zum heutigen Tag gefährliches Eigenleben führen.
Gut versus Böse: Genes hätte auch den Titel »Wahrheit gegen Lüge« wählen können. Unmittelbar nach seinem Vortrag auf der CeBIT übergab er das Wort an Edward Snowden, der live aus seinem Moskauer Exil zugeschaltet wurde. Der bekannteste Whistleblower der Welt und der geschätzte Experte für IT-Sicherheit und CTO bei Trend Micro, Raimund Genes, waren Brüder im Geiste der Wahrheit, obwohl sie aus ganz unterschiedlichen Motiven gegen die »Bad Guys« in der digital vernetzten Welt kämpften.
Das Verdikt eines Nestbeschmutzers traf beide. Als Genes 2008 erstmals die Sicherheit von Antivirenprodukten pointiert und scharf anprangerte, war der Aufschrei in der Branche und in Teilen der eigenen Belegschaft groß. Die drastische Sprache, deren sich die Medien damals bedienten (»AV Industrie sucks«), dürfte ihm gefallen haben. Sich in trügerischer Sicherheit wähnen, nur weil die eigene Industrie mit ungenügendem punktuellen IT-Schutz noch immer gutes Geld verdiente: Mit dieser gefährlichen Illusion zu brechen, bedurfte es damals noch provozierender Worte, um Aufmerksamkeit weit über die eigene Branche hinaus zu erregen. Die IT-Security-Industrie brauchte eine ganze Weile, um Genes Recht zu geben. Übrigens auch beim angeblichen Schutz des Perimeters – auch so ein Mythos der IT-Sicherheits-Industrie.
Das ist lange her und seit Populisten überall in bellender Sprache Untergangsszenarien zeichnen, greift auch die kalkulierte Provokation nicht mehr. Genes, der neben Technologie auch stets den Blick auf den Vertrieb und das Marketing bei Trend Micro hatte, erkannte die verblassende Kraft der Sprachverrohung. Er setzte rhetorisch sympathischere Waffen ein, die besser zu seinem Wesen passten.