Serie IT-Standort Bochum

Das Ruhrgebiet vernetzen: Ein Plädoyer für mehr Zusammenarbeit

10. Dezember 2024, 7:30 Uhr | Interview: Diana Künstler
Dr. Carsten Willems, CEO und Mitgründer von VMRay
© Lutz Leitmann/Stadt Bochum

Bochum als unterschätzter Tech-Hub? Wir lassen in einer Serie unterschiedliche Vertreter aus Industrie und Forschung hinter die Kulissen des IT-Standortes im Herzen des Ruhrgebietes schauen. Den Auftakt macht Cybersicherheitsexperte Dr. Carsten Willems von VMRay.

Dr. Carsten Willems ist ein renommierter Cybersicherheitsexperte und Vorreiter im Bereich Malware-Sandboxing. Mit einem Diplom in Informatik der RWTH Aachen und einer Promotion in Cybersicherheit der Ruhr-Universität Bochum hat er zahlreiche Auszeichnungen für seine akademische Arbeit erhalten. Schon während seines Studiums gründete Willems sein erstes Unternehmen und entwickelte CWSandbox, eine innovative Malware-Erkennungslösung. 2013 gründete er zusammen mit Ralf Hund VMRay, das Technologien zum Schutz vor hochentwickelten digitalen Bedrohungen anbietet.

Im Interview mit connect professional zeigt Willems auf, warum die Stadt Bochum mit ihrer starken IT-Community, Spitzenforschung und dynamischen Start-up-Kultur mehr Aufmerksamkeit verdient –  über die Chancen und Herausforderungen einer unterschätzten Region.

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Carsten Willems, VMRay
Dr. Carsten Willems: „Bochum hat sich in den letzten Jahren stark digital entwickelt. Es gibt ein flächendeckendes Glasfasernetz, und die öffentlichen Dienstleistungen laufen komplett digital.“
© Lutz Leitmann/Stadt Bochum

connect professional: Welche spezifischen Standortvorteile bietet Bochum für IT-Unternehmen im Vergleich zu anderen Städten in Deutschland oder sogar international?

Carsten Willems: Allen voran ist hier die Ruhr-Universität Bochum zu nennen, die einen starken Fokus auf IT-Sicherheit hat und gut ausgebildete Studierende, Weltklasse-Forschung und Kooperationen bietet. Bochum profitiert zudem von der hohen Hochschuldichte im Ruhrgebiet und dem dynamischen Ökosystem aus Universitäten, etablierten Firmen, Startups, Scale-ups sowie der engagierten Stadt und Wirtschaftsförderung. Nicht zuletzt ist Bochum eine sympathische, digitale und bodenständige Stadt, eingebettet in eine Millionenmetropole. Sie bietet günstige Lebenshaltungskosten, exzellente Infrastruktur und ein vielfältiges Kultur- und Freizeitangebot. Für uns als wachsendes, global agierendes Deep-Tech-Security-Unternehmen ist es der ideale Standort.

connect professional: Die dynamische Schadsoftware-Erkennung ist eine hochspezialisierte Nische. Welche Vorteile bietet Bochum als Standort für die Weiterentwicklung solcher spezialisierten Cybersecurity-Technologien, insbesondere im internationalen Vergleich? 

Willems: Wir sind ein Spin-off der Universität, was bedeutet, dass wir unsere innovative Technologie in einer idealen Umgebung entwickeln konnten. Von Anfang erhielten wir wertvolle Unterstützung durch die Universität, das Land und aber auch den Bund, was uns einen großartigen Start ermöglichte. Der Zugang zu Studierenden und Absolventen ist entscheidend. In den ersten Jahren kamen 100 Prozent unserer Belegschaft von der Ruhr-Universität. Heute ist sie eine wichtige, aber nicht die einzige Quelle. Zudem sind die im Vergleich geringen Lebenshaltungskosten in Bochum von Vorteil, auch wenn viele Mitarbeiter nicht mehr direkt vor Ort sind. Besonders hervorzuheben sind die engagierte und aktive Stadtverwaltung und die strategisch agierende Wirtschaftsförderung.

connect professional: Diesen Vorteilen zum Trotz ist von Bochum allerdings selten die Rede, wenn es um die besten Tech Hubs in Deutschland1 geht. Oft werden hier eher Berlin, München oder Karlsruhe genannt. Was meinen Sie, woran das liegt?

Willems: Inzwischen gibt es aktuellere und bessere Zahlen für Bochum. Dennoch bleibt das Problem der Kirchturmmentalität im Ruhrgebiet: Städte grenzen sich oft voneinander ab, obwohl die Region gemeinsam deutlich stärker wäre. Jede Stadt hier ist kleiner als München oder Berlin, weshalb wir mehr regional denken sollten. Die Bodenständigkeit im Ruhrgebiet führt dazu, dass wir weniger über Erfolge sprechen – gerade im Deep-Tech-Bereich sind hiesige Unternehmen oft zurückhaltender. Dabei gibt es hier viele Hidden Champions, deren Erfolgsgeschichten im Rampenlicht stehen sollten. Um den Tech-Hub im Ruhrgebiet zu fördern, ist ein stärkeres Zusammenspiel von Universitäten, Unternehmen und Kapital notwendig.

connect professional: Bochum als geografische Mitte des Ruhrgebietes: Welche Synergien ergeben sich Ihrer Meinung nach durch diese Lage und die Nähe zu Städten wie zum Beispiel Dortmund, Düsseldorf und Aachen?

Willems: Unsere geografische Lage bietet einen Zugang zu einem äußerst breiten Angebot. Das umfasst eine hervorragende Infrastruktur, ein vielfältiges Freizeit- und Kulturangebot sowie eine starke Vernetzung in der Region. Zudem profitieren wir von einem großen Einzugsgebiet: Wenn wir hier Security Meet-ups veranstalten, kommen regelmäßig Teilnehmer aus Städten wie Münster, Dortmund, Aachen und Bonn. Besonders von den Bonnern höre ich oft, dass sie es schade finden, dass es solche Events nicht auch bei ihnen vor Ort gibt.

connect professional: Wie bewerten Sie die Entwicklung von Bochum als IT-Standort in den letzten Jahren und welche Schlüsselereignisse haben Ihrer Meinung nach den größten Einfluss auf diese Entwicklung gehabt?

Willems: Bochum hat sich in den letzten Jahren stark digital entwickelt. Es gibt ein flächendeckendes Glasfasernetz, und die öffentlichen Dienstleistungen laufen komplett digital. Selbst alltägliche Dinge wie die Parkhaus-Nutzung sind digital gestaltet – komfortabel für Bürger und Unternehmen gleichermaßen. Ein Schlüsselereignis war die Ansiedlung des Max-Planck-Instituts für IT-Sicherheit (MPI) in Bochum. Ebenso wichtig ist das Projekt MARK 51°72, das auf die Bündelung von Sicherheitskompetenzen an einem Standort setzt. Hier kommen das MPI, Scale-ups, Startups und etablierte Unternehmen wie Bosch und VW zusammen. Obwohl noch viel Potenzial für Synergien besteht, ist dies ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

connect professional: Welche Rolle spielen die Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Bochum bei der Förderung von Innovationen und der Ausbildung von IT-Fachkräften?

Willems: Die Ruhr-Universität Bochum und das Horst-Görtz-Institut spielen eine zentrale Rolle, um die uns viele beneiden. Es gibt in Rankings zur Spitzenforschung in Europa drei große Akteure: die ETH Zürich, das CISPA in Saarbrücken und eben die Ruhr-Universität in Bochum. Mit über 1.000 Studierenden im Bereich IT-Sicherheit ist Bochum europaweit führend und bietet Zugang zu Spitzenforschung, vielfältigen Kooperationsprojekten und hervorragend ausgebildeten Talenten. Zahlreiche Spin-offs entstehen hier, und ein Inkubator fördert Gründungen. So tragen die Hochschulen in Bochum entscheidend zur Innovation und Ausbildung von IT-Fachkräften bei.

connect professional: Inwiefern beeinflussen lokale Förderprogramme, politische Entscheidungen oder städtische Initiativen Ihre Entscheidung, in Bochum zu investieren oder den Standort weiter auszubauen?

Willems: Besonders zu Beginn haben wir stark von der direkten und indirekten Unterstützung im Umfeld der Ruhr-Universität profitiert. Außerdem haben wir lokale Förderprogramme in Anspruch genommen, wie zum Beispiel das Regionale Wirtschaftsförderungsprogramm (RWP)3. Heute spielen sich jedoch die meisten Förderungen auf Bundesebene ab, wie beispielsweise im Rahmen des Forschungszulagengesetzes4. Unser Hauptquartier befindet sich in Bochum, und das wird auch so bleiben. Diese Entscheidung basiert jedoch nicht auf Förderungen oder lokalen politischen Maßnahmen.

„Eine der Herausforderungen für Bochum ist die fehlende Sichtbarkeit, besonders wenn es um Kapital und Investoren geht.“

connect professional: Wie wichtig sind für Ihr Unternehmen die Vernetzung und Zusammenarbeit mit anderen IT-Unternehmen in Bochum und der Region? Sehen Sie hier noch Ausbaupotenzial?

Willems: Wir sind ein Anbieter von Expertenprodukten, und unsere Kunden und Partner sind weltweit verteilt. Daher ist die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern für uns zunächst nicht entscheidend – schön, aber nicht ausschlaggebend. Wovon wir jedoch stark profitieren, ist das lokale IT-Security-Ökosystem, insbesondere der Erfahrungsaustausch mit anderen Startups und Scale-ups sowie vor allem mit Forschern. Das ist für uns von größerer Bedeutung und trägt maßgeblich zur Weiterentwicklung unseres Unternehmens bei.

connect professional: Wie bewerten Sie die Lebensqualität in Bochum für Fachkräfte im IT-Bereich? Ist die Stadt attraktiv genug, um Top-Talente anzuziehen und zu halten?

Willems: Das hängt stark von der Zielgruppe ab – geht es um Techies oder kommerzielle Rollen? Sind es Absolventen, junge Eltern, oder ältere Personen? In unserer Branche herrscht heute eine vollständige Remote-Arbeitskultur, die den Arbeitsplatz vom Firmenstandort entkoppelt. Persönlich schätze ich als IT-Fachkraft die Region für ihre Offenheit, Direktheit, Bodenständigkeit, das vielfältige Angebot, die zentrale Lage und die ideale Größe. Unsere rund 130 Mitarbeiter mit 29 Nationalitäten arbeiten teils remote, teils vor Ort. Die Offenheit gegenüber anderen Kulturen ist hier ein großer Vorteil und wird seit Jahrzehnten gelebt – ein klarer Pluspunkt für unsere Region.

connect professional: Welche Herausforderungen sehen Sie für Bochum, um sich langfristig als attraktiver IT-Standort zu positionieren?

Willems: Eine der Herausforderungen für Bochum ist die fehlende Sichtbarkeit, besonders wenn es um Kapital und Investoren geht. Nicht nur die Stadt, sondern auch die Region hat Schwierigkeiten, ihre Attraktivität hervorzuheben. Viele haben noch veraltete Vorstellungen und denken, dass hier die Luft schmutzig sei –  und sind überrascht, wie grün es in Bochum tatsächlich ist, welches vielfältige Kultur- und Freizeitangebot und  die gute Infrastruktur hier geboten wird. Zudem gibt es Hürden bei der Anwerbung ausländischer Fachkräfte –ein bundesweites Problem. Hier muss zügig etwas passieren, um es Fachkräften zu erleichtern, hierherzukommen und auch ihre Familien in ihrer Heimat ohne bürokratische Hürden besuchen zu können.

connect professional: Welche zukünftigen IT-Trends und -Technologien könnten Bochum besonders beeinflussen oder sogar aus der Stadt heraus gefördert werden? Und wie stellen Sie sich auf diese Entwicklungen ein?

Willems: Bochum ist natürlich vor allem für IT-Sicherheit bekannt, aber mittlerweile auch in anderen Bereichen wie dem Gesundheitswesen gut aufgestellt. Gerade im Bereich IT-Sicherheit gibt es verschiedene spannende Themen. Hier sind beispielsweise die Expertinnen und Experten vom Horst-Görtz-Institut (HGI) für Kryptografie und IT-Sicherheit die besseren Ansprechpartner, besonders wenn es um spezialisierte Themen wie OT/IoT-Sicherheit geht. In der Breite bin ich da jedoch nicht der Experte.

1 https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2019/heft/10/beitrag/tech-hub-index-deutsche-staedte-im-vergleich.html
2 https://www.mark51-7.de
3 https://www.wirtschaft.nrw/das-regionale-wirtschaftsfoerderungsprogramm-rwp
4 https://www.gesetze-im-internet.de/fzulg/BJNR276310019.html


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