Die DSGVO bereichert fast täglich das Kuriositätenkabinett um viele skurrile Fälle. Verlage, Schulen und Lehrer, die Kirche, Vermieter, ein Weinhändler: Sie alle fürchten »die Bratenwender der Gesetze« - also Anwälte. Schuld an der großen Unklarheit sind ausgerechnet jene, die eigentlich für Klarheit sorgen sollen.
Einschulung ohne Fotos der ABC-Schützen, weil Schulen das Fotografieren verbieten, die Erzdiözese Freiburg stoppt alle Übertragungen von Gottesdiensten im Internet, der Eigentümerverband Haus&Grund rät, wie bereits in Wien geschehen, auch hierzulande Namen auf Klingeln durch Nummern zu ersetzen. Die DSGVO sollte eigentlich Klarheit und Sicherheit schaffen im Umgang mit personenbezogenen Daten. Stattdessen bereichert die Europäische Datenschutzgrundverordnung jedes Kuriositätenkabinett. Dieses wächst nahezu täglich um neue skurrile Fälle.
Der für CRN zuständige Datenschützer wird von Jan Z. aufgefordert, einen Online-Artikel aus dem Jahr 2010 zu löschen, der seinen vollständigen, einer damaligen Pressemitteilung entnommenen Namen enthält. Jan Z. wurde als neuer Mitarbeiter einer Firma präsentiert, in deren Interesse und dem Interesse einer Fachleserschaft CRN diese Personalie damals veröffentlichte - wie viele andere auch. Eine Motivation für sein Anliegen nennt Jan Z. nicht, allein sein Verweis auf die EUDSGVO müsse wohl ausreichen, meint er. Ist das berechtigt? Der Datenschützer überlässt die Antwort in diesem Fall der Fachabteilung.
Die fragt sich: Hier fordert doch nicht etwa ein verurteilter Mörder, der als Gesellschafter seinen Geschäftsführer erschossen hatte, von einer Publikation sein Recht auf Vergessenwerden ein? Mit diesem außergewöhnlichen Einzelfall war CRN schon lange vor Inkrafttreten der DSGVO konfrontiert worden. Wie aber ist die Rechtslage bei Jan Z. im neuen DSGVO-Zeitalter? Würde er sich zu recht auf dieses Gesetz berufen können, würde auf Verlage wohl unzumutbar viel Arbeit zukommen: Hunderttausende älterer Artikel müssten womöglich nachträglich anonymisieren werden. Wer schützt hier eigentlich wen?
Und wer schützt einen Weinhändler aus dem bayerischen Schwandorf, der es ja gut meinte, als er seine neue Sortimentsliste mit dem Hinweis versah, seine Kundendaten seien auf der Festplatte seines Computers gespeichert, und dieser, »verehrte Kunden, hängt nicht am Internet«. Außerdem, heißt es weiter, verzeichne er seine Kunden noch ganz analog auf Karteikarten. Prompt wollte ein Anwalt unter Bezug auf die DSGVO von ihm wissen, wie er denn Rechner und Karteikasten gegen Diebstahl schütze?
Es fällt einem der feine Sprachwitz eines Heinrich Heine ein, der über »Advokaten« sagte, sie seien »die Bratenwender der Gesetze, die diese solange wenden und anwenden, bis ein Braten für sie abfällt«. Die DSGVO scheint aktuell und wohl noch für lange Zeit ein ganz besonderer Festtagsbraten zu sein. Ein Glücksfall, wie gemacht für diese geschäftstüchtige und bisweilen auch für ihre Schamlosigkeit berüchtigte Abmahnzunft, mit der man besser nicht aneinander geraden will.