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Autonome KI-Agenten in Unternehmens- und Verwaltungsstrukturen

Sind Unternehmen bereit für Agentische KI?

Agentische KI ist kein weiterer Automatisierungsschritt, sondern eine neue Organisationsform. Sie fordert uns heraus, Führung, Lernen und Zusammenarbeit neu zu denken, damit Technologie nicht nur effizient, sondern menschlich bleibt. Ziel muss es sein, agentische KI verantwortlich nutzbar zu machen, indem sie den Menschen unterstützt, anstatt ihn zu ersetzen. Und Das Leitbild: Innovation ohne Kontrollverlust.

Autor: Florian Disson / Redaktion: Diana Künstler • 12.12.2025 • ca. 3:15 Min

Agentic AI
© Wanan Wanan – shutterstock.com

Was sind KI-Agenten und wie funktionieren sie?

KI-Agenten sind autonome digitale Akteure, die selbstständig planen, entscheiden und handeln. Es geht also um mehr als um Chatbots oder das Kopieren von Inhalten. Um mehrstufige Aufgaben zu erfüllen, kombinieren sie Large Language Models und Datenplattformen, die über Schnittstellen (APIs) angebunden werden. Technologisch basieren sie auf modernen Cloud-Umgebungen sowie auf zwei zentralen Architekturprinzipien:

  • Ereignisarchitekturen: Systeme reagieren in Echtzeit auf Ereignisse. Das sind sog. Events wie z. B. neue Daten, Kundenaktionen oder Prozessänderungen. Dadurch wird die gesamte Organisation reaktionsfähig und skalierbar.
  • Vektorbasierte Speicher: Sie ermöglichen es KI-Systemen, Informationen semantisch zu verstehen. Texte, Bilder oder Dokumente werden als Zahlenvektoren gespeichert, wodurch die KI Bedeutung und Zusammenhänge erkennen kann.

Beispiel: Eine Stadtverwaltung erhält täglich Bürgeranfragen. Ein KI-Agent durchsucht mit Hilfe eines Vektormodells nicht nach Schlagworten wie „Müll“, sondern erkennt, dass „Tonne“, „Abfall“ und „Entsorgung“ denselben Sachverhalt meinen – eine sogenannte unscharfe Suche, durch die er Anliegen automatisch der richtigen Fachstelle zuordnen kann, und dies schneller, präziser und verständiger als mit jeder klassischen Suche. So entsteht eine technische Grundlage, auf der Agenten zielgerichtet, sicher und kontinuierlich lernend handeln können. 

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KI-Agenten verändern Geschäftsprozesse, indem sie Koordinationsaufwand reduzieren. Bislang bestehen Prozesse im Kundenservice, bei der Koordinierung von Lieferketten, in der Personalplanung oder im Bereich von Finanzanalysen aus einzelnen, nacheinander ablaufenden manuellen Arbeitsschritten Diese Prozessketten werden jetzt End-to-End automatisiert. Voraussetzung dafür sind saubere Datenpipelines, standardisierte Schnittstellen und klare Governance. Technische Reife ist eine Voraussetzung, dass dies funktioniert, sie muss aber verbunden werden mit organisationaler Lernfähigkeit, sonst bleibt das Potenzial ungenutzt.

Was unterscheidet diese Welle von früheren Automatisierungen?

Klassische RPA-Lösungen (Robotic Process Automation) automatisieren einzelne, klar definierte Arbeitsschritte; etwa das Auslesen von Rechnungen aus E-Mails und das Eintragen in ein ERP-System. Agentische KI dagegen denkt zielorientiert und passt sich kontextabhängig an. Sie kann selbst entscheiden, welche Schritte nötig sind, um ein Ziel zu erreichen, auch über mehrere Systeme hinweg. Technologisch entsteht damit eine neue Schicht aus RAG-Pipelines, Vektorspeichern und autonomen Entscheidungszyklen. Organisational spiegelt sie die Logik selbstorganisierter Teams wider: adaptiv, vernetzt, entscheidungsfähig.

Damit wird Technologie zum Spiegel einer lernenden Organisation. Die effektive Nutzung agentenbasierter Lösungen erfordert jedoch ein tiefes Verständnis des Menschen und Kenntnisse der Verhaltenswissenschaften. Wenn KI-Agenten unbeaufsichtigt bleiben, können sie Risiken verursachen. KI-Agenten können neue Agenten generieren – und so möglicherweise eine „Agentenarmee“ schaffen.

Verantwortung und Geschäftsverständnis rücken dadurch in den Mittelpunkt. Die größte Herausforderung liegt nicht in der Technik, sondern in der Struktur und Kultur. Unternehmen brauchen Governance-Frameworks, Beobachtbarkeit, Zugriffs- und Identitätsmanagement, aber auch psychologische Sicherheit für Teams. Führung muss neu definiert werden und bedeutet künftig: Verantwortung teilen, Transparenz fördern, Lernräume öffnen. KI-Agenten funktionieren nur nachhaltig, wenn Menschen verstehen, wann sie eingreifen und warum.

Drei zentrale Fallstricke

Zum einen darf nicht überschätzt werden, was technisch überhaupt machbar ist. Viele Agenten-Prototypen scheitern an fehlenden Datenstandards, nicht integrierten Altsystemen oder begrenztem Kontextzugriff. Ohne ein robuste Datenarchitektur entstehen „Pseudo-Agenten“, die nur auf der Oberfläche autonom wirken. Folge: Frustration in den Teams und Vertrauensverlust in KI-Initiativen.

Unterschätzt werden auf der anderen Seite oft Kosten und Skalierung. Jeder Agent verbraucht Rechenleistung, Monitoring und Governance-Kapazität. Ohne klares Lifecycle-Management entstehen versteckte Betriebskosten, insbesondere bei Cloud-Usage, API-Aufrufen und Sicherheitsprüfungen. Viele Unternehmen bauen zu früh zu komplexe Systeme, anstatt besser mit wertorientierten Pilotdomänen zu starten.

Besonderes Augenmerk muss schließlich auf Ethik und Verantwortung liegen – Themen, die bei der KI-Nutzung gerne vernachlässigt werden, weil die dahinter stehenden moralischen Fragen noch gar nicht hinreichend beantwortet sind. Das Grundproblem besteht darin, dass Agenten Entscheidungen treffen (können), die nicht mehr eindeutig auf Menschen zurückführbar sind. Ohne klare Richtlinien zu Transparenz, Fairness und Eingriffspflicht gibt es zum einen ein moralisches Problem, gleichzeitig drohen Compliance-Risiken oder Vertrauensverlust bei Mitarbeitenden. Die größte Gefahr ist ein System, das technisch funktioniert, aber sozial und organisatorisch nicht akzeptiert wird.

Wo liegen die größten Chancen auch für wenig digitalisierte Organisationen?

Agentische KI bringt sofortigen Mehrwert, auch dort, wo digitale Reife gering ist. Es geht hier nicht um Hightech-Showcases, sondern um alltägliche Aufgaben, die bisher zu viel Zeit, Papier und Koordination verschlingen. Beispiele:

  • In der Kommunalverwaltung prüft ein Agent Förderanträge automatisch, fordert fehlende Dokumente an und priorisiert Fälle nach sozialem Nutzen. Oder er analysiert Bürgeranfragen über verschiedene Kanäle, erkennt Muster und liefert Entscheidungsgrundlagen für Politik und Verwaltung.
  • Im mittelständischen Produktionsbetrieb erkennt ein Agent Maschinenstillstände, erstellt Wartungsaufträge und bestellt Ersatzteile direkt im ERP-System.
  • Vereine und Bildungseinrichtungen können Agenten zur Planung von Trainings, Verwaltung von Zuschüssen und Erstellung von Abrechnungen einsetzen.
Florian Disson, Solita
Der Autor Florian Disson ist Executive Vice President Germany von Solita.
© Solita