IEEE 802.3an: 10GbE über 100 Meter Kupfer

Alien-Crosstalk-Schutz per Konstruktion

13. Februar 2007, 0:25 Uhr | Yvan Engels/jos Yvan Engels ist Leiter Produkt Management IKT Kabel und Systeme bei Kerpen.

Die Expertendiskussion über das Fremdnebensprechen (Alien Crosstalk) bei 10GBase-T geht offenbar in eine weitere Phase: Will der Endkunde schwierige und damit kostspielige Feldmessungen vermeiden, kommt ihm das Versprechen der Hersteller sehr gelegen, mit dem passenden System seien alle Probleme gewissermaßen per Produktdesign gelöst. Unterstützung erfährt diese Argumentationskette durch die einschlägigen Normen, insbesondere die IEEE 802.3an

Im Juni 2006 verabschiedete das zuständige Gremium die Norm IEEE 802.3an als Standard für die
Übertragung von 10 GBit/s über symmetrische Kupferdatenverkabelungen. Dabei überträgt jedes der
vier Adernpaare eine Datenrate von 2,5 GBit/s bidirektional. Bei 10GBase-T einigten sich die
Experten auf die PAM16-Kodierung, wodurch sich eine Schwerpunktübertragungsfrequenz von 417 MHz
ergibt (siehe dazu zum Beispiel LANline 11/2006). Die größte technische Herausforderung bei der
Übertragung von 10GBase-T ist die Unterdrückung oder das Vermeiden des so genannten Alien
Crosstalks.

Bei geschirmten Verkabelungssystemen ist es – vor allem nach Einschätzung der Verfechter dieser
Bauform- nicht nötig, Alien Crosstalk in der Installation zu messen, wenn definierte Anforderungen
an die Kopplungsdämpfung der Verkablungsstrecke erfüllt sind. Aufwändige und kostspielige
Feldmessungen entfallen damit.

Wie in Bild 1 dargestellt, ergeben sich durch das aufwändige PAM16-Kodierungsverfahren
wesentlich kleinere Spannungsunterschiede zwischen den einzelnen logischen Zuständen als
beispielsweise bei 100Base-T oder 1GBase-T. Dies führt zu einer deutlich höheren Empfindlichkeit
des Signalwegs gegenüber eingekoppelten Störsignalen. Störsignale haben auf dem Signalweg der
betreffenden Übertragungsstrecke ihren Ursprung insbesondere in benachbarten Datenkabeln oder
Steckverbindern, zusätzlich jedoch auch in systemfremden Quellen.

Bei den hohen Frequenzen ist das gesendete 10GBaseT-Signal zudem um etwa 40 dB (Faktor 100)
gedämpft. Die digitalen Signalprozessoren (DSPs) müssen deshalb empfangsseitig in der Lage sein
Spannungspegel von etwa 1 mV zu erkennen.

Für eine sichere Übertragung kommen deshalb nur Verkabelungssysteme mit spezifizierten
Anforderungen für Dämpfung, PSNEXT, PSFEXT und RL (Return Loss) bis mindestens 500 MHz in Frage.
Gleichzeitig muss das Verkabelungssystem einen hohen Signal-Rauschabstand und eine hohe
Fremdnebensprechdämpfung (Alien Crosstalk) aufweisen.

Bild 2 zeigt die Alien-Crosstalk-Problematik und das Übertragungsmodell bei 10GBaseT: Das
Fremdnebensprechen beschreibt die unerwünschte gegenseitige elektrische Beeinflussung von parallel
nebeneinander liegenden Kabelstrecken im Installationskanal und im Bereich der Verteilerfelder.
Störbeeinflussungen durch Alien Crosstalk lassen sich – anders als bei NEXT und Dämpfung –
elektronisch nicht kompensieren.

Das Fremdnebensprechverhalten von Kabel zu Kabel oder von Übertragungsstrecke zu
Übertragungsstrecke hat durch die geschilderten Probleme massiv an technischer Bedeutung gewonnen.
Der aktuelle Entwurf der ISO/IEC 11801 Amendment 1 (Generic Cabling for Customer Premises) trägt
diesem Umstand durch entsprechende Vorgaben für die neuen Übertragungsklassen EA (500 MHz) und FA
(1000 MHz) Rechnung. Einzelheiten finden sich in den Tabellen auf der folgenden Seite.
Fremdbeeinflussungen durch benachbarte Übertragungskanäle lassen sich durch die Doppelschirmung von
S/FTP-Kabeln und durch eine modulare geschirmte Anschlusstechnik vermeiden oder unterdrücken. Als
Produktbeispiel können die "Mega-Line-Net"-S/FTP-Verkabelungen von Kerpen dienen, die nach Angaben
des Herstellers die Anforderungen an das Alien Crosstalk mit großen Reserven erfüllen. Die Dämpfung
des Alien Crosstalks beträgt dabei mehr als 100 dB, also mehr als den Faktor 100.000. Diese
Eigenschaften sind per Design vorhanden und ändern sich in der Installationsumgebung nicht mehr.
Geschirmte Verkabelungen gelten in der IEEE 802.3an folglich als bevorzugte Lösung.

Die Kopplungsdämpfung bewertet das gesamte EMV-Verhalten eines Kabels oder einer einzelnen
Verkabelungsstrecke. Die Kopplungsdämpfung setzt sich aus der Schirmdämpfung und
Unsymmetriedämpfung zusammen. Sie definiert das Maß der Reduzierung von elektrischen
Beeinflussungen auf einem Signalweg. Tabelle 3 fasst die Anforderungen an die Kopplungsdämpfung für
die Verkabelungsklassen D bis FA. zusammen.

In diesem Kontext gelang Experten der internationalen und nationalen Normierung der theoretische
und messtechnische Nachweis, dass bei einer geschirmten Kupferverkabelung folgende zusätzliche
Aussage getroffen werden kann: Ist die Kopplungsdämpfung für Übertragungsstrecken der Klasse EA und
F 10,0 dB beziehungsweise für Übertragungsstrecken der Klasse FA 25,0 dB besser als in Tabelle 3,
dann sind die Werte für die Parameter Power Sum Alien NEXT (PS ANEXT) und Power Sum Alien ACR-F (PS
AACR-F) "konstruktionsbedingt" eingehalten und müssen somit nicht explizit nachgewiesen werden.

Vor dem Hintergrund der diskutierten Zusammenhänge hat Kerpen die Firma GHMT beauftragt, diverse
Mega-Line-Net-Verkabelungssysteme herstellerneutral zu prüfen und zu bewerten. Des Weiteren wurde
vereinbart, dass die in ISO/IEC 11801 Amendment 1 eingefügte Klausel der konstruktionsbedingten
Einhaltung auch messtechnisch nachzuweisen und bei positivem Messergebnis durch ein Zertifikat zu
bestätigen ist. Im Rahmen der Untersuchungen wurde im ersten Schritt die Kopplungsdämpfung der
Übertragungsstrecke nach EN 50289-1-15:2004 mit dem Absorberzangenverfahren ermittelt. Anschließend
erfolgte eine messtechnische Untersuchung (worst case) des Fremdnebensprechens mit der Anordnung
von sechs benachbarten "kurzen" Übertragungsstrecken (Disturbing Channels) und einer "langen"
Übertragungsstrecke (Disturbed Channel).

Alle modular oder einzeln geschirmten Verkabelungssysteme haben die erweiterten Anforderungen an
die Kopplungsdämpfung nach Klasse EA erfüllt. Die Produkte Eline 1200 EC7 und Variokeystone 4K7
haben sogar die Anforderungen gemäß Klasse FA erfüllt. Die Gutachten ließen sichdaraufhin mit
entsprechenden Zertifizierungen abschließen.

Bei Einhaltung erweiterter Anforderungen an das EMV-Verhalten (Kopplungsdämpfung) von
geschirmten Verkabelungsstrecken ist die Vermeidung wechselseitiger Beeinflussung (Alien Crosstalk)
von benachbarten störenden Verkabelungsstrecken "per Design" und somit unabhängig von der
Installationsumgebung garantiert. Durch den Einsatz von entsprechend geprüften und zertifizierten
Verkabelungssystemen spart der Investor aufwändige und kostspielige Feldmessungen sowohl bei der
Abnahme als auch bei späteren Erweiterungen oder Änderungen der Netze.


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