Seit jeher findet man höchste Datenraten und die damit einhergehende Infrastruktur zuerst in Rechenzentren, anschließend im Backbone und zuletzt am Arbeitsplatz. Man könnte sagen, die Technik im RZ von heute ist die Technik im Backbone von morgen. Somit sollte das, was sich im Rechenzentrum bewährt, auch unter den künftigen Einsatzmöglichkeiten im Backbone betrachtet werden.
Traditionell werden neue Ethernet-Versionen zuerst für Glasfasern spezifiziert und umgesetzt. 10
Gigabit Ethernet (10GbE) ist da keine Ausnahme. Und wie bei den älteren Ethernet-Varianten ist der
Betrieb über Standard-Singlemode-Fasern problemlos möglich. Bei Multimode-Fasern sieht die Sache
schon anders aus: Nachdem die laseroptimierte Multimode-Faser die herkömmliche G50-Faser bei 1GbE
abgelöst hatte, stellte man fest, dass10GbE höhere Anforderungen an eine Faser als nur ein
optimiertes Brechungsindexprofil stellt: Die OM3-Faser war geboren, gemäß Standard für
Leitungslängen bis 300 Meter. Mittlerweile gibt es viele Anbieter, deren Fasern laut Datenblatt
10GbE über 550 Meter oder mehr übertragen, aber aus gutem Grund äußern sich die Hersteller der
aktiven Netzwerkkomponenten dazu meist zurückhaltend. Nur wenige dieser Fasern kommen in der Praxis
an 500 Meter heran, geschweige denn an 550 Meter. Die überwiegende Mehrzahl aller Verkabelungen in
Rechenzentren liegt jedoch im Bereich unter 100 Metern, was den Einsatz günstigerer VCSELs
(Vertical Cavity Surface Emitting Laser) in Kombination mit Multimode-Fasern ermöglicht.
10GbE setzte den Trend zu kleineren, Platz sparenden Glasfasersteckern fort. Die Platzersparnis
ist beachtlich, besonders wenn man die aktuellen Stecker mit den historischen vergleicht: Vom
Escon/FDDI-Stecker ging es über den SC Duplex zum heute gebräuchlichen LC Duplex. Technisch wären
noch kleinere Stecker möglich, limitierender Faktor ist mittlerweile der Mensch: Man muss die
Stecker noch handhaben können, und Finger haben nun einmal eine gewisse Größe. Spezielle Pinzetten
und Zangen, mit denen man Stecker auch dort noch ein- und ausstecken kann, wo die menschlichen
Finger schon zu dick sind, können helfen, sind aber nicht jedermanns Sache.
Um trotz der Beschränkungen der menschlichen Hand hohe Packungsdichten mit möglichst viel
Rechnerleistung auf kleinem Raum zu erreichen, begann man, mehrere Fasern in einem Stecker
zusammenzufassen. Mittlerweile hat sich der MPO-Stecker etabliert, der in Ausführungen mit vier,
acht, zwölf und bis zu 72 Fasern für Multimode- und für Singlemode-Fasern erhältlich ist. Meist
wird die Ausführung mit zwölf Fasern gewählt. Zwölf Fasern, die in einer Kunststoffferrule eng
beieinander liegen, exakt gleich zu schleifen, ist jedoch eine Kunst, die nicht jeder beherrscht.
Gerade bei "Billigprodukten" kann es vorkommen, dass die äußeren Fasern so stark beschliffen sind,
dass sie zu weit zurückstehen, während die inneren Fasern zu weit vorstehen. Mit weitreichenden
Folgen: Die zurückstehenden Fasern sind zu weit auseinander, um Lichtsignale zuverlässig von einer
in die andere Faser zu leiten, während die vorstehenden Fasern sich gegenseitig beschädigen können.
Abhilfe schaffen hier nur qualitativ hochwertige Produkte, deren Eignung ein beiliegendes
Prüfprotokoll dokumentiert. Führende Hersteller liefern auf Anfrage auch schon einmal eine
spezielle mikroskopische Aufnahme der Steckeroberflächenbeschaffenheit sowie der
Stirnflächengeometrie (so genanntes Interferometerbild). Der MTP-Stecker ist übrigens vollkommen
kompatibel mit dem MPO. MTP ist jedoch ein eingetragenes Warenzeichen der US Conec Ltd., während
MPO eine frei verwendbare Bezeichnung ist.
Der weitere Schritt zu vorkonfektionierten Gesamtlösungen war naheliegend. Zwar sind
Rechenzentren als Orte ständiger Erneuerung bekannt, gerade dabei bedeuten jedoch jegliche
Installationsarbeiten ungeliebte Einschränkungen bis hin zu Betriebsunterbrechungen – von den
Risiken temporärer Ausfälle ganz zu schweigen. Folglich sind Lösungen, die aufwändige Arbeiten
vermeiden, stets gern gesehen.
Vorkonfektionierte Systeme lassen sich zu beliebigen Zeiten verlegen. Spezialisten für die
Vor-Ort-Konfektionierung sowie teures Werkzeug und Mess-Equipment sind nicht nötig, die relativ
flexiblen Mehrfaserleitungen können vom eigenen, geschulten Personal meist problemlos verlegt
werden; genauso lassen sich die vorkonfektionierten Verteilfelder oder Verteilfeldmodule einfach in
den Schränken und den Racks montieren. Zum Zeitpunkt X steckt man alles zusammen – fertig. Bei
qualitativ hochwertigen Lösungen, die bereits im Werk geprüft und mit einem Prüfprotokoll versehen
sind, entfällt sogar das aufwändige Messen der einzelnen installierten Strecken.
Auch die Materialwirtschaft hat sich dieser Idee angepasst. Führende Hersteller bieten die
Möglichkeit, mittels Online-Konfigurator zu jeder beliebigen Tages- und Nachtzeit (und die kommt im
Rechenzentrum häufiger vor, als einem lieb ist) die benötigten Komponenten schnell und einfach zu
konfigurieren. Gerade bei Data-Center-Projekten muss es oft schnell und unbürokratisch gehen.
Schon länger ist mit 10GBase-CX4 eine 10GbE-Variante für Kupferleitungen verfügbar. CX4 nutzt
die in den Infiniband-Netzen bewährten Stecker und Twinax-Leitungen. Einziger Nachteil: CX4 ist auf
eine Leitungslänge von 15 Metern beschränkt. Dies ist zur Verbindung von Switches innerhalb eines
Racks mehr als genug, reicht für mittlere und größere Rechenzentren jedoch nicht aus.
Allen Unkenrufen zum Trotz haben es Twisted-Pair-Leitungen und sogar der aus der Telefontechnik
stammende RJ45-Stecker (für Puristen: der Stecker nach IEC 60603-7) auch bis 1GbE geschafft.
10GBase-T ermöglicht eine maximale Link-Länge von 100 Metern (90 Meter Permanent Link plus 2 x 5
Meter Patch-Kabel), wenn die Vorgaben der zugehörigen Verkabelungsstandards eingehalten werden. In
den USA ist dies ANSI/TIA/EIA 568-B.2 Addendum 10. Dort sind alle Werte für die gesamte
Übertragungsstrecke, für die Verkabelungsstrecke sowie für die einzelnen Komponenten genormt.
Der weltweit gültige Standard ist jedoch ISO/IEC 11801:2002. In Addendum 1 aus dem Jahr 2008 ist
jedoch nur die Klasse EA für den gesamten Link definiert. Die Normierung der dafür notwendigen
Komponenten der Kategorie 6A lässt noch immer auf sich warten, genau wie die Vorgaben für das
anzuwendende Messverfahren. Beides soll noch in Addendum 2 veröffentlicht werden. ISO/IEC hat
jedoch angekündigt, dass zumindest einige Werte strenger sein werden als die der TIA. Die
Schwierigkeit: Bei 10GBase-T sind die 10 GBit/s auf vier Kanäle zu je 2,5 GBit/s aufgeteilt. Die
Pegelstufen (Spannungswerte) sind mit 130 Millivolt (vergleiche dazu 1Volt bei 100 MBit/s und 0,5
Volt bei Gigabit Ethernet) mittlerweile so eng, dass die vier Datenströme, die gleichzeitig in
beide Richtungen übertragen werden, sich besonders in Steckern und Buchsen gegenseitig stören
können. Stecker und Buchse müssen daher zwingend aufeinander abgestimmt sein, was besonders bei
Patch-Kabeln zu beachten ist. Damit nicht genug: Durch den geringen Pegel müssen die Receiver der
empfangenden Geräte so empfindlich sein, dass sogar Datenströme auf benachbarten Kabeln zu
Störungen (Alien Nearend Crosstalk, kurz: ANEXT) führen können. Die Übertragungstechnik für
10GBase-T ist alles andere als einfach. Dennoch sind bereits Verkabelungssysteme verfügbar, die
10GBase-T ermöglichen – mit entsprechenden Garantien des Herstellers.
Natürlich ist mit 10GbE nicht Schluss. Der Trend zu mehr Bandbreite und immer höheren
Übertragungsraten hält an.
Seit den 70er-Jahren findet Moore?s Law "Every five years add a zero" ("alle fünf Jahre
verzehnfacht sich die Übertragungsbandbreite") ihre Bestätigung. Und dies ist keine Prognose,
sondern ein Rückblick. 40- und 100GbE sind längst dem Reißbrett entwachsen. Genormt werden sie
durch die Standardisierungsvereinigung "Institute of Electrical and Electronics Engineers" unter
IEEE 803.2ba bis Mitte/Ende 2010, doch befasst sich das IEEE zurzeit ausschließlich mit Anwendungen
über Glasfasern. Dort sind jedoch erstmals grundlegende Unterschiede in der Übertragungstechnik für
Singlemode- und Multimode-Fasern getroffen.
Für Singlemode-Fasern ist weiterhin die serielle Übertragung mit Wavelength Division
Multiplexing (WDM) vorgesehen, also 40 GBit/s oder 100 GBit/s über nur eine Faser je
Übertragungsrichtung.
Als Stecker könnte wieder der LC Duplex zum Einsatz kommen, um den Formfaktor des Transceivers
zu minimieren. Für eine Standard-Singlemode-Faser entsprechend G.652C/D (OS2) scheint dies zurzeit
problemlos, und auch Fasern nach OS1 dürften recht gute Ergebnisse liefern. Einziger Nachteil: Die
Elektronik ist aufwändig und teuer, und zudem ist in den meisten Rechenzentren keine Singlemode-,
sondern eine Multimode-(OM3-)Infrastruktur vorhanden.
Diese Fasern könnte man zumindest teilweise nutzen, wenn man das gleiche Prinzip wie bei
10GBase-T anwendet, das als Parallel Optics bezeichnet wird: Mit Kanalbündelung könnte je Faser ein
Kanal von 10 GBit/s in eine Richtung übertragen werden. Bei 40GbE wären das vier Kanäle zu 10
GBit/s in beide Richtungen, also insgesamt acht Fasern. Dies lässt sich mit einem MPO-Stecker
realisieren.
Bei 100GbE werden je zehn Fasern mit 10 GBit/s in eine Richtung benötigt, zusammen also 20
Fasern, und Kleinst-Transceiver mit MPO-Interface.
Die Übertragung könnte mit zwei Zwölffaser-MPO-Steckern pro 100GbE-Link oder einem
24-Faser-MPO-Stecker realisiert werden. Nachteile bestehen auch hier: Zum einen müssen hochwertige
Fasern mit geringer Dispersion zum Einsatz kommen, damit die Signale ohne "Skew" (Bitversatz)
möglichst gleichzeitig am Empfänger ankommen. Zum anderen kommen mit dieser Lösung schnell mehrere
Tausend Fasern pro Schrank/Rack zusammen. Und da 100GbE höchste Anforderungen an die
Übertragungstechnik und die Verkabelung stellen wird, ist ein hervorragendes Kabel-Management
sowohl im Schrank als auch außerhalb unabdingbar.
Die serielle Übertragung ist also auch bei Multimode-Fasern wünschenswert. Als minimales Ziel
für OM3-Fasern hat IEEE sich bei 40 und 100 GBit/s mindestens 100 Meter Link-Länge mit einer
minimalen effektiven modalen Bandbreite (EMB) von 2.000 MHz x km gesetzt. Dies reicht für viele
Anwendungen, wie beispielsweise in kleineren Rechenzentren, jedoch nicht für alle.
Für Längen jenseits der 100 Meter wird bei Multimode-Anwendungen eine neue, noch
leistungsfähigere Faser benötigt: OM4. Sie ermöglicht Link-Längen von 250 Meter durch eine minimale
EMB von 4.700 MHz x km bei 850 nm. Bei einer Wellenlänge von 850 nm sind dementsprechend auch
kostengünstige Lichtquellen (etwa VCSEL) verwendbar. Die OM4-Faser soll als Nachfolgetyp der
OM3-Faser zum Ende des Jahres normiert werden. Bei ISO/IEC soll diese Faser voraussichtlich A1a.3
heißen und voraussichtlich sogar eine Link-Länge von 300 Metern bieten. Es wird also weiterhin pro
Ethernet-Art (Ethernet, Fast Ethernet, Gigabit Ethernet, 10 Gigabit, 100 Gigabit) einen neuen
Multimode-Fasertyp geben. Auch wenn die Norm für die OM4-Faser noch nicht verbindlich
veröffentlicht ist, ist sie in vielen innovativen Lösungen bereits im Einsatz.