Noch immer ist die Kategorie 6A nicht vollständig spezifiziert. Auch gibt es noch keine Messverfahren nach ISO/IEC, die weltweit gültig wären und anhand derer man überprüfen und sicherstellen könnte, dass die gewählten und installierten Komponenten auch wirklich für die Übertragung von 10 Gigabit Ethernet geeignet sind. Der Prozess, die Werte für die Kategorie 6A und geeignete Messvorschriften festzulegen, braucht seine Zeit, weil die zugrunde liegende Physik deutlich schwieriger und anspruchsvoller ist, als manche Werbeabteilung es gerne hätte.
Die ersten beiden Teile der Artikelserie weisen immer wieder auf das Kernproblem von 10GBase-T, der 10-Gigabit-Ethernet-Variante für Twisted-Pair-Verkabelungen, hin: die Physik der Signalübertragung. Dieser dritte und letzte Teil der Serie beleuchtet genau dieses Thema.
Die Verkabelung ist das Fundament, auf dem die gesamte IT eines Unternehmens steht. Interessanterweise ist sie im ISO-Schichtenmodell nicht enthalten, sondern wird dort stillschweigend vorausgesetzt. Hilfsweise spricht man hin und wieder von einer "Schicht 0" als "Verkabelungsschicht".
Auch die Normungsgremien bei IEEE 802.3, die die verschiedenen Ethernet-Varianten spezifizieren, machen um das Thema Verkabelung einen Bogen und geben auf PHY, der physikalischen Ebene, nur vor, was unbedingt festgelegt werden muss. Für eine praxisrelevante Spezifikation der Verkabelungskomponenten reicht das jedoch bei weitem nicht aus. Dabei ist gerade die Verkabelung ein bestimmender Faktor bei Hochgeschwindigkeitsnetzen. Nur wenn die Qualität der Verkabelung stimmt, stimmt auch die Qualität der Datenübertragung.
Je höher die Datenrate eines Systems ist, desto schneller muss das System zwischen verschiedenen elektrischen Spannungswerten (Pegelstufen) hin- und herschalten können und desto näher müssen die Pegelstufen beieinander liegen, damit sie rechtzeitig erreicht werden können. Lagen die Pegel am Empfänger bei 100 MBit/s noch 1 Volt auseinander, waren es bei 1 GBit/s nur noch 0,5 Volt. Bei 10 GBit/s sind es nur noch 130 Millivolt. Das bedeutet, dass die Empfangselektronik sehr viel empfindlicher arbeiten muss, um die immer feiner werdenden Unterschiede noch zuverlässig erkennen zu können. Dies macht sie jedoch anfälliger für Störungen von außen.
Bestimmender Faktor ist dabei der S/N-Wert (Signal/Noise Ratio), also der Signal-Rauschabstand. Er besagt, wie stark die Störungen im Vergleich zum übertragenen Datensignal sind.
Bei Verkabelungen für 10GBase-T müssen drei Störfaktoren dafür addiert werden:
Störungen innerhalb eines Kabels: Da bei 10GbE Daten über alle vier Aderpaare eine Kabels gleichzeitig und in beide Richtungen übertragen werden, sind in einem Kabel acht Datenströme zur selben Zeit unterwegs.
Störungen durch benachbarte Kabel: Die Empfänger sind so empfindlich, dass sich auch geringe Störungen durch benachbarte Kabel bemerkbar machen (Alien Next, siehe Teil 2 dieser Serie).
Störungen von außen durch Fremdsysteme.
Durch entsprechende Formeln lässt sich nachweisen, dass sich bei 10GbE bereits Störungen mit 0,6 Millivolt (das ist das 1/2500 einer Taschenlampenbatterie) bemerkbar machen. Im Vergleich zu GbE wurde die Signalstärke der zu übertragenden Daten auf ein Hundertstel reduziert.
Störungen innerhalb desselben Kabels können heute elektronisch beseitigt werden, denn die Elektronik weiß, was sie soeben gesendet hat, und rechnet die dadurch verursachten Einflüsse auf die am selben Kabelende empfangenen Daten heraus.
Störungen von außen können aber nicht herausgerechnet werden, denn der Empfänger kann nicht zwischen den ursprünglich ausgesendeten Signalen und Störsignalen unterscheiden. So müssen konstruktive Maßnahmen an den Komponenten solche Störungen minimieren.
Doch eine maximal zulässige Fehlerrate von 10-12 bedeutet bei 10 GBit/s, dass alle 100 Sekunden nur ein einziger Fehler zulässig ist. Dem kann nur durch entsprechenden Aufwand bei Forschung und Entwicklung Rechnung getragen werden. Und dieser Aufwand kostet nicht nur Geld, sondern auch Zeit und stellt dadurch den Ansatz mancher Anbieter infrage, die bereits Produkte anbieten, lange bevor die relevanten Normen und Standards konkrete und vor allem verlässliche Formen annehmen. Mehr als ein Hersteller musste schon zu früh angebotene Komponenten beim Kunden austauschen, weil sie nicht über die notwendigen, praxisrelevanten Reserven verfügten.
Dabei ist das alleinige Pochen auf hohe MHz-Werte nicht entscheidend für gute Übertragungsleistungen. 10GBase-T arbeitet im Frequenzbereich zwischen 1 und 500 MHz. Auch wenn Kabel eingesetzt werden, die bis 1200 oder 1500 MHz getestet wurden, ist letztlich immer das Zusammenspiel aller Komponenten innerhalb der Übertragungsstrecke entscheidend. Die 400 PS des gerade gekauften Sportwagens bringen dem Fahrer nicht viel, wenn dieser jeden Morgen im Berufsverkehr im Stau steht. Auch ein Kabel mit 1500 MHz geprüfter Übertragungsleistung bringt zusammen mit Anschlussdosen, die schlecht darauf abgestimmt sind, sehr viel weniger als ein 500-MHz-Kabel mit perfekt darauf abgestimmten Dosen und Buchsen. Dies ergaben bereits zahlreiche Tests beispielsweise an der FH Reutlingen sowie von unabhängigen Testinstituten wie der GHMT oder 3P Third Party Testing.
Das Zusammenspiel ist entscheidend. Und gerade für dieses Zusammenspiel ist es unabdingbar, dass spezialisierte Hersteller sich mit den Fachbereichen der anderen Hersteller im Detail auseinandersetzen und auch hier über entsprechendes Know-how verfügen. Nur wenn die einzelnen Komponenten aufeinander abgestimmt sind und zudem über entsprechende Reserven für reale Installationsbedingungen verfügen, bekommt der Anwender ein System, das tatsächlich 10GbE zuverlässig übertragen kann.
Teil 1 "Die nationalen und internationalen Normen" erschien im LANline Spezial Verkabelung im August 2008 auf Seite 16 ff, www.lanline.de/kn31585047.
Teil 2 "Die neuen Varianten für Verkabelungsstrecken" erschien im LANline Spezial RZ-Ausstattung im Oktober 2008 auf Seite 56 ff, www.lanline.de/kn31647881.