KVM over IP (Keyboard, Video, Mouse via IP) erlebte in den letzten Jahren durch Preisverfall und den Trend zur Fernadministration ein explosionsartiges Wachstum. Manche sagen, KVM over IP würde traditionelle KVM-Umschalter verdrängen. Dies ist übertrieben. Denn tatsächlich hängt es vom Einsatzfall ab, über welche Technik der Administrator einen entfernten Server am besten anspricht. Denn jede dieser Techniken hat ihre spezifischen Stärken und Schwächen.
Die KVM-Technik lässt sich in drei Varianten unterteilen: Konventionelles und
Kategorie-5-basiertes KVM-Switching übertragen die Signale out-of-band über ein eigens dafür
vorgesehenes Kabel, während KVM over IP in-band überträgt und an das vorhandene Netzwerk
angeschlossen wird. Die Bezeichnungen "analog" und "digital" zur Unterscheidung klassischer
KVM-Systeme und KVM over IP sind irreführend, weil sowohl IP- als auch Kategorie-5-basiertes
KVM-Switching reine Extender-Techniken bezeichnen (Punkt-zu-Punkt-Übertragungen). Und die
Kategorie-5-Übertragung über ein Datenkabel kann sowohl analog als auch digital geschehen. In allen
Fällen erfolgt das eigentliche Switching heute noch fast ausnahmslos analog.
Die Vorteile von KVM over IP sind beim Remote-Management unumstritten. Tatsächlich ist diese
Technik nicht neu, da vergleichbare Remote-Managementsoftwarelösungen schon lange auf dem Markt
sind. Für KVM over IP werden diese Lösungen meist nur in eine externe Hardware gegossen, damit der
Zielrechner keine spezielle Software benötigt und auch in der Boot-Phase erreichbar ist. Außerdem
kann der Administrator jetzt bei einigen Lösungen mittels Zusatzhardware den Zielrechner bei
Absturz durch Entzug der Stromversorgung neu booten.
Die Achillesferse von KVM over IP ist der hohe Bandbreitenbedarf im Netzwerk. Daraus resultieren
die wesentlichen Schwachpunkte dieser Technik. Während die Übertragung von Maus- und
Tastatursignalen nur eine geringe Bandbreite benötigt, kann die zu übertragende Datenmenge beim
Bildschirminhalt immens sein. Sie ist proportional zum Produkt aus vertikaler mal horizontaler
Bildschirmauflösung mal Farbtiefe und resultiert in einer – je nach verfügbarer Bandbreite –
deutlichen Verzögerung des Bildschirmaufbaus. Die Hersteller versuchen, diesen Schwachpunkt durch
mehr oder weniger aufwändige Kompressionstechniken zu mildern. So wird beispielsweise die Farbtiefe
auf 256 oder 64 Farben reduziert, um die Datenmenge zu verkleinern. Für den typischen textlastigen
Administratorbildschirm ist das akzeptabel. Grafiken jedoch werden dadurch drastisch verfälscht.
Eine weitere Kompressionsmethode überträgt nur die veränderten Bildschirminhalte. Doch auch diese
Technik verhindert nicht, dass die aktuelle Position des Mauszeigers beim entfernten Benutzer mit
erheblicher Verzögerung sichtbar wird.
Diese Mausproblematik ist fast noch gravierender als der verzögerte Bildschirmaufbau, weil der
Benutzer wie gewohnt die Bewegung der Maus ständig visuell überprüfen und korrigieren möchte.
Verzögert sich das visuelle Feedback, wird die Mausbewegung zunehmend unkontrollierbar. Um das zu
vermeiden, bieten die meisten Hersteller die Möglichkeit, auf der Benutzerseite einen zweiten
virtuellen Mauszeiger anzuzeigen. Dieser folgt unmittelbar den Mausbewegungen des Bedieners und "
prognostiziert" die künftige Position des Mauszeigers. Der tatsächliche Mauszeiger auf dem
Zielrechner folgt dann mehr oder minder schnell dem "virtuellen" Mauszeiger. Dennoch handelt es
sich dabei nur um eine Prognose, denn das KVM-over-IP-System kann nicht wissen, wo die Maus auf dem
Zielrechner momentan tatsächlich steht. Daraus ergeben sich zwei Konsequenzen:
Der Benutzer muss abwarten, bis beide Mauszeiger kongruent sind, sonst besteht
bei einem Mausklick die Gefahr einer Fehlbedienung.
Das Sytem synchronisiert beide Mauszeiger ab und zu miteinander. Beim
Umschalten zwischen den Rechnern – deren Mauszeiger naturgemäß unterschiedliche Positionen haben –
muss sich der KVM-Switch dazu die jeweilige Mausposition merken und wieder abrufen.
Der große Bandbreitenhunger von KVM over IP stellt zudem eine Belastung für das Netzwerk dar.
Diese kann in Spitzen – je nach Gerätetyp, Auflösung, Farbtiefe und Bildschirmaktivität – durchaus
20 bis 60 MBit/s pro Arbeitsplatz erreichen. Bei mehreren Arbeitsplätzen bietet sich ein separates
Netzsegment für diesen Arbeitsbereich an. Zudem schützt diese Segmentierung vor einem allgemeinen
Ausfall des Netzes. Der Administrator gibt dabei jedoch einige der Vorteile von KVM over IP wieder
auf. Der Zugriff über Modem (manche Geräte haben hierfür einen zusätzlichen Anschluss) ist nur für
Notfälle gedacht und bietet eine dafür gerade noch zumutbare Performance.
KVM over IP ist somit prädestiniert für typische Administratortätigkeiten mit weitgehend
textorientierten Bildschirmen – insbesondere für das Remote-Management.
Entgegen einem häufigen Missverständnis ist KVM over IP für die täglichen Arbeiten am PC oder
gar für grafische und multimediale Anwendungen nicht konzipiert. Es würde darüber hinaus eine
erhebliche Ausweitung der Netzwerkkapazitäten erfordern. Für solche Fälle bieten sich die
traditionellen Out-of-Band-Techniken an.
Herkömmliche KVM-Switches übertragen die Signale von Monitor, Maus und Tastatur unverändert und
schalten direkt um. Diese "Mutter der KVM-Technik" ist schon über 20 Jahre alt und entsprechend
ausgereift. Kompatibilitätsprobleme gibt es kaum, die Bildqualität ist hervorragend. Die Palette
reicht vom kostengünstigen Switch für das Home-Office bis hin zu aufwändigen und sehr speziellen
Geräten, beispielsweise für Multimedia-Anwendungen oder Trading-Floor-Lösungen mit mehreren
Bildschirmen. Die Schwäche dieser Technik liegt in der Verkabelung. Abgesehen von der auf zirka 20
Meter begrenzten Länge sind die Kabel dick und sperrig. Selbst mit dünneren, aber auch teureren
Spezialkabeln wird die Verkabelung eines Schranks schnell zum unübersichtlichen Gewirr, bei dem
sich ungewollt auch einmal ein PS/2-Stecker lösen kann. Flexibilität im Sinne von einfachem
Umstecken eines Kabels ist hier nicht zu erwarten.
So liegt die Stärke der konventionellen KVM-Technik bei kleineren, unkomplizierten Anwendungen
mit hohen Anforderungen an die Bildschirmqualität und begrenzter Ausdehnung. Hochkomplexe Lösungen
lassen sich allein mit dieser Technik nicht realisieren, aber der Anwender kann sie als lokales
Cluster durchaus in solche Lösungen einbinden.
Das so genannte Kategorie-5-basierte KVM-Switching wandelt die Signale von Bildschirm, Maus und
Tastatur um und sendet sie differenziell über die vier Paare eines einzigen
Kategorie-5-Datenkabels. Auch höherwertige Kabel der Kategorien 6 und 7 sind möglich. Durch die
differentielle Übertragung erhöht sich die maximale Kabellänge auf bis zu 300 Meter. Ferner
benötigt der Anwender für alle drei Signale nur ein einziges Kabel, welches zudem deutlich dünner
und flexibler ist als die typischen KVM-Kabel. Das schafft Übersicht bei der Verkabelung. Dafür hat
die hier notwendige Signalwandlung ihren Preis. Der reduzierte Verkabelungsaufwand kann dies
teilweise kompensieren, zumal wenn der Anwender eine schon vorhandene strukturierte Verkabelung
dafür einsetzt. Die Verteilung über Patch-Felder verleiht diesen Systemen eine enorme Flexibilität
bezüglich der Platzierung von Arbeitsstationen und Rechnern. Weil die übertragenen Signale
proprietär sind, können sie jedoch nicht über Hubs und Switches übertragen werden.
Die Bildschirmübertragung ist bis 100 Meter noch fast unverfälscht. Sie erfolgt in Echtzeit,
ebenso wie die Übertragung von Maus und Tastatur. Kompatibilitätsprobleme sind hier selten. Auch
DDC-Support (Display Data Channel) sollte bei professionellen Systemen kein Problem sein. Audio-
oder Multi-Head-Anwendungen unterstützen derzeit nur wenige Lösungen.
Bei der Multiplattformfähigkeit jedoch sind die meisten Kategorie-5-KVM-Lösungen den anderen
Varianten deutlich überlegen. Das liegt an der Struktur dieser Switches, die bei fast allen
Herstellern gleich ist: Ein Datenkabel verbindet den Benutzer über eine User-Station mit dem
zentralen Switch. Dieser schaltet den betreffenden Benutzer – wiederum über ein Datenkabel – auf
ein zigarettenschachtelgroßes Interface, das am jeweiligen Zielrechner hängt. Fast alle Hersteller
solcher Systeme bieten Schnittstellen für unterschiedliche Zielplattformen an wie PC, SUN und USB
(Apple und andere). Einfacher und kostengünstiger ist eine Plattformerweiterung oder ein Wechsel
nicht zu realisieren.
Bei aller Flexibilität hat Kategorie-5-KVM-Switching auch einige wenige Nachteile. So kosten
diese Lösungen mehr als die anderen Varianten, und die Unterstützung von Multi-Head sowie Audio ist
noch dürftig. Außerdem muss der Anwender die Bildschirmqualität bei längeren Kabeln fein justieren
und benötigt am Arbeitsplatz ein Steckernetzteil.
Darüber hinaus gibt es Lösungen, bei denen die zu administrierenden Server Kategorie-5-basiert
angeschlossen sind und mehrere Administratoren über diese Technik auf die Server zugreifen können.
Parallel dazu erhalten lokale Administratoren einen konventionellen KVM-Switch-Zugriff darauf. Und
schließlich erlauben sie auch noch den Zugang über KVM over IP. Unterstützt die Lösung dann auch
noch Audio- und Multi-Head-Anwendungen, sind alle Anwendungsmöglichkeiten abgedeckt.
Durch den Trend zu zentralisiertem Remote-Management wächst der Markt für KVM over IP derzeit
rasant, wird aber auf mittelfristige Sicht das traditionelle KVM-Switching nicht verdrängen können.
Die Auswahl hängt allein von der Anwendung ab. In vielen Fällen ist es ratsam, mehrere Techniken zu
kombinieren.