Im Interview: Dirk Wilhelm von GHMT

Mix and Match für 10GBase-T

11. April 2007, 22:00 Uhr | Dr. Jörg Schröper

Mit der Herstellerkompatibilität der Systeme für 10 Gigabit Ethernet über Kupfer ist es derzeit noch nicht weit her. Dem Endkunden bleibt im Moment nicht viel mehr als die Option, hochwertige, aber entsprechend teure Ware aus einer Hand zu kaufen. Im LANline-Interview kommentiert Dirk Wilhelm, Vorstandsvorsitzender des unabhängigen Zertifizierungsinstituts GHMT, die Situation.

LANline: Wie beurteilen Sie die aktuelle Marktsituation in puncto Mix and Match bei derzeit
erhältlichen Verkabelungssystemen für 10 Gigabit Ethernet über Kupfer?

Wilhelm: Eine Mix-and-Match-Lösung ist zurzeit im Bezug auf Kategorie-6a-Einzelkomponenten nicht
realisierbar. Hintergrund dafür ist, dass noch keine normativen Standards zur Bewertung der
Einzelkomponente dieser Kategorie verfügbar sind. Nur eine Übertragungsstreckenbewertung – also für
den Channel – ist derzeit normativ möglich. Viele Hersteller bieten bereits Systemlösungen oder
Übertragungsstrecken (Channel) für die Klasse EA zur Übertragung von 10 GBit Ethernet über Kupfer
(10GBase-T) an. Erst wenn die Anforderungen an alle Einzelkomponenten der Kategorie 6a in
nationalen wie internationalen Normpapieren definiert und standardisiert sind und damit durch einen
unabhängigen Dritten überprüfbar sind, ist eine eingeschränkte Mix-and-Match-Lösung denkbar.
Eingeschränkt daher, weil die in der Norm beschriebenen mechanischen Größen von den Herstellern
interpretiert und Produkte unterschiedlich ausgelegt werden. Daraus kann es wie bereits in der
Vergangenheit bei Kategorie 5 beziehungsweise Kategorie 6 zu Inkompatibilitäten bestimmter
Beschaltungskombinationen zwischen verschiedenen Herstellern kommen.

LANline: Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrem Labor bei gezielten Untersuchungen zu diesem
Thema gemacht?

Wilhelm: In unserem Haus wurden bereits Anfang 2006 Untersuchungen für die internationale
Normierung zu diesem Thema durchgeführt. Dabei ging es unter anderem um das von der internationalen
Normierung angestrebte Messverfahren "Direct Probing" für die Bewertung von
Kategorie-6a-Komponenten (10 GBit- Ethernet über Kupfer). Zu diesem Zweck sind wir derzeit in enger
Absprache mit den beteiligten Facharbeitskreisen der nationalen und internationalen Normierung, um
die neuen Mess-Ranges für die RJ45-Teststecker festzulegen, die zur späteren Bewertung der
Kategorie-6a-Einzelkomponenten dienen. Des Weiteren führt GHMT bereits seit einem Jahr
Untersuchungen an Übertragungsstrecken der Klasse EA für Hersteller und Anwender durch. Dabei
werden sowohl HF-Parameter sowie neue weitergehende normativ geforderte Parameter wie Alien
Crosstalk und Coupling Attenuation an Übertragungsstrecken geprüft. Gerade der Parameter Coupling
Attenuation ist mit unseren Entwicklungen verbunden und dient unter anderem der Überprüfung des
EMV-Verhaltens an symmetrischem Datenkabeln. Zusätzlich ist man mit diesem Parameter erstmals in
der Lage, gemäß dem Standard EN50289-1-16 die Güte der Schirmung von Datenkabeln nicht nur im
Labor, sondern auch an installierten Anlagen im Feld zu bewerten.

LANline: Ist eine direkte Gegenüberstellung sinnvoll?

Wilhelm: Mehrere Untersuchungen unseres Labors bezüglich Alien Crosstalk versus Coupling
Attenuation ergaben, das der zweite Parameter gegenüber Alien Crosstalk der aussagekräftigere und
praktikablere Wert zur Bestimmung der Störsicherheit für Übertragungsstrecken sowohl im Labor als
auch im Feld ist.

LANline: Welche Rolle spielen die großen Hersteller Ihrer Meinung nach im Moment?

Wilhelm: Die Hersteller durchleben derzeit eine schwierige Phase. Sie unterliegen einerseits
einem ständigen Optimierungszwang und andererseits aufgrund der immer weiter steigenden
Rohstoffpreise, etwa für Kupfer und Erdöl, einem sehr hohen Kostendruck. Parallel müssen sie im
Zuge der Normierung eine zukunftsweisende Richtung mit vorgeben. Dies alles sind Aufgaben, die
erhebliche Ressourcen binden. Trotz all dieser zusätzlichen Anforderungen an die Hersteller müssen
sie dennoch weiterhin die vom Kunden geforderte hohe Produktqualität erzielen. Durch unsere
Dienstleistungen unterstützen wir die Hersteller gewissermaßen bei diesen Aufgaben, und dies
immerhin schon seit 15 Jahren.

LANline: Wagen Sie eine Prognose, ob – und wenn ja wann – eine vollständige Kompatibilität der
Produkte verschiedener Hersteller möglich sein wird?

Wilhelm: Aus unserer täglichen Laborarbeit ist zu erkennen, dass es bei den derzeit verfügbaren
10GBit-Ethernet-Lösungen über Kupfer grundsätzliche Performance- und Layout-Unterschiede zwischen
den Produkten einzelner Hersteller gibt. Eine umfassende Aussage ist daher erst dann möglich, wenn
wie bereits erwähnt alle Einzelkomponenten nach den neuen normativen Standards für die Kategorie 6a
bewertbar sind und anschließend die Kompatibilität durch die Überprüfung der Performance des
betreffenden Links nachgewiesen wird. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass alle Produkte einer
ständigen Entwicklung unterliegen. Nicht immer führen diese Entwicklungen auch zu technischen
Verbesserungen im Sinne des Endkunden.

LANline: Was empfehlen Sie?

Wilhelm: Damit die ursprünglichen, vom Endkunden vorgegebenen Anforderungen an die Produkte auch
dauerhaft eingehalten werden, empfehlen wir Anwendern darauf zu achten, dass die Hersteller mit den
betreffenden Produkten an unserem Premium Verification Program teilnehmen. Bei dieser unabhängigen
Qualitätskontrolle entnehmen wir unangekündigt und ohne Einflussnahme des Herstellers turnusmäßig
Proben am Markt und überprüfen messtechnisch die Produkte auf Konformität mit den vom Hersteller
zugesicherten Eigenschaften. GHMT überprüft als unabhängige Instanz also genau die Produkte, die
der Kunde auf dem Markt auch kaufen kann.

LANline: Die Bedeutung der Installateure nimmt ebenfalls zu.

Wilhelm: Das stimmt. Neben der Produktqualität spielt auch die Qualität der Installation mit
zunehmenden Leistungsanforderungen eine immer größere Rolle. Es zeigt sich, dass die Reserven der
vom Endkunden ausgesuchten – und auch bezahlten – hochwertigen Produkte durch den Kostendruck in
Projekten von den Installateuren nicht immer umgesetzt werden. Die Vorteile hochwertiger Produkte
verschenkt man deshalb häufig in der Installation, da allzu oft als Abnahmekriterium nur das
berühmte "Pass" oder "Fail" zählt. Auch dabei haben wir mit unseren möglichst schon
baubegleitenden, messtechnisch unterstützten Begutachtungen sehr gute Ergebnisse erzielt, da sich
damit insbesondere systematische Fehler bei der Installation frühzeitig erkennen und im weiteren
Projektverlauf vermeiden lassen. Durch die Kombination von visueller Begutachtung und
exemplarischer messtechnischer Überprüfung erhält der Endkunde eine unabhängige Aussage über die
Qualität seiner neuen passiven Netzwerkinfrastruktur. Mithilfe der beiden
Qualitätssicherungsmaßnahmen ist es uns möglich, die höchstmögliche normkonforme Kompatibilität
zwischen verschiedenen Herstellerprodukten für den Endkunden sicherzustellen.

Mit einem Teilnehmer- und Ausstellerrekord setzte das LANline Tech Forum "Verkabelung und
Rechenzentrumsausstattung" Ende Januar in München auch zu Beginn des Jahres 2007 Akzente. Knapp 250
Teilnehmer und fast 25 Aussteller trafen sich zu der zweitätigen Veranstaltung in München, die sich
mittlerweile zu einem regelrechten Branchentreff gemausert hat.

Die Probleme und Veränderungen im modernen Rechenzentrum bildeten den roten Faden des Forums. In
seiner Eröffnungs-Keynote ging Jens Dittrich von Dvt Consulting unter anderem auf das vierstufige
Sicherheitsmodell (4 Tier) für RZs ein und stellte die Verbindung der verwendeten Technik zur
neugeschaffenen Normenreihe EN 50310 und EN 50173-5 her. Dies sei umso wichtiger, als 75 Prozent
aller RZs älter als zehn Jahre seien.

Eine recht kontroverse Diskussion entstand nach diversen Vorträgen zum Thema 10GBase-T und der
Vermeidung von Alien Crosstalk. Die immer wieder aufkommende Debatte um die Vorteile geschirmter
und ungeschirmter Lösungen erhielt dabei durch Beiträge von Andreas Kaufmann (Systimax) und Yvan
Engels (Leoni/Kerpen) neue Nahrung. Die meisten Hersteller und neutralen (deutschen) Experten
scheinen sich allerdings einig zu sein, die geschirmte Variante mit der Zukunftsperspektive nach
Kategorie 7 zu bevorzugen. Manfred Patzke, unabhängiger Sachverständiger aus München wies in seinem
Schlussvortrag auf den Zusammenhang mit einer normgerechten Verlegung und dem Potenzialausgleich
hin.

Die nächsten LANline Tech Foren "Verkabelung und RZ-Ausstattung" finden in Düsseldorf
(20./21.06), Zürich (28.06.), Wien (12.09) und Leipzig (16./17.10) statt. Vertiefende praktische
Informationen bieten die eintägigen Tech Kolloquien zum selben Thema, die die BdNI
(Bildungsinitiative der Netzwerkindustrie) in Kooperation mit der LANline ausrichtet. Mehr dazu
unter www.lanline.de. Dr. Jörg Schröper

Die herstellerunabhängig und neutral agierende GHMT AG - entstanden aus der "Gesellschaft für Hochfrequenz Mess Technik" - berät und forscht seit ihrer Gründung 1992 auf dem anspruchsvollen Gebiet der physikalischen Übertragungssicherheit in Netzwerken, Rechenzentren und Industrieanlagen. Die Dienstleistungen umfassen Analysen, Gutachten und Konzepte ebenso wie Prüfungen, sachverständige Inaugenscheinnahmen und das Erarbeiten von Werkstandards in den Leistungsbereichen "Cabling & Systems" (akkreditiertes Prüflabor und Vorortservice), "Elektromagnetische Verträglichkeit" (Anlagen und Systeme) und "Wireless Applications" (Interoperabilität von Funknetzen und Konzeption). Wirtschaftsunternehmen nutzen die GHMT als Partner über den gesamten Lifecycle eines Projekts von der Planfeststellung, Vorplanung, Planung sowie Bauumsetzung bis hin zur Abnahme.


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