Energiewirtschaftliche Optimierung

Notstromaggregate clever nutzen

1. März 2017, 8:15 Uhr | Von Dr. Hans-Günter Schwarz und Claudius Beermann.

Rechenzentren sichern ihre Stromversorgung zumeist über Notstromaggregate ab. Diese warten im Betrieb jedoch meist nur auf den seltenen Fall eines Netzausfalls und verursachen neben den reinen Investitionskosten zusätzlich auch nicht unerhebliche laufende Kosten. Tatsächlich können Notstromaggregate aber mehr. Eine Nachrüstung mit Fernwirktechnik erlaubt eine Einbindung der Notstromaggregate in den Strommarkt. Sie können Einnahmen erzielen und die Stromkosten reduzieren.

In Deutschland existieren erhebliche Kapazitäten an Notstromaggregaten. Je nach Studie werden diese auf 5 bis 20 GW geschätzt [1]. Allein in deutschen Rechenzentren finden sich Kapazitäten von mindestens 450 MW [2]. Die Aggregate stehen dabei dem Strommarkt meist nicht zur Verfügung. Vielmehr warten sie auf den seltenen Fall eines Stromausfalls. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie betont allerdings explizit die Bedeutung von Notstromaggregaten für die Energiewende. Diese können kosteneffizient zur Deckung der Spitzennachfrage am Spotmarkt beitragen. "Denn die Investitionskosten und fixen Betriebskosten [?] fallen unabhängig von der Vermarkung an" [3]. Durch den Abbau regulatorischer Hemmnisse will die Politik die Vermarktung von Notstromaggregaten künftig vereinfachen [4]. Solange müssen die Betreiber allerdings nicht warten.

Es lohnt sich also, der Frage nachzugehen, wie Betreiber von Rechenzentren mit ihren Notstromaggregaten bereits jetzt Einnahmen erzielen können und wie sie diese Aggregate ergebnisoptimal einsetzen. Dazu steht zunächst die Rolle von Notstromaggregaten in Rechenzentren zur Diskussion. Zudem geht es um die regulatorischen Hemmnissen und die attraktivsten Einnahmequellen. Außerdem gehört zur Betrachtung ein Blick auf den Optimierungsalgorithmus und die Funktionsweise der Steuerungstechnik.

Notstromaggregate im RZ

Eine unterbrechungsfreie Stromversorgung ist durch den Energieversorger nicht jederzeit und an jedem Standort gewährleistet. Die Anbieter schließen in ihren Standardverträgen zudem jegliche Haftung bei Stromausfällen aus. Notstromaggregate sichern in einem solchen Fall den Weiterbetrieb des Rechenzentrums, und zwar unabhängig davon ob die Unterbrechung nur kurz ist oder ob längerfristig überbrückt werden muss. Die Notstromversorgung in Rechenzentren ist häufig redundant aufgebaut (Tabelle 1). In den Rechenzentren verfügen die Aggregate oft über deutlich höhere Kapazitäten, als sie an Maximallast zur Versorgung der Rechnerinfrastruktur benötigen. Laufen die Notstromaggregate auf voller Leistung, produzieren sie mehr Strom als das Rechenzentrum zeitgleich nachfragt. Es kommt zu einer sogenannten Überschusseinspeisung ins Netz. Oft reicht die Kapazität der Anlagen bis in den zwei- oder gar dreistelligen MW-Bereich. Beides zusammen, Überschusseinspeisung plus große Kapazitäten, machen Notstromaggregate von Rechenzentren regelmäßig besonders werthaltig.

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Tabelle 1. Empfohlene Notstromversorgung in Abhängigkeit von zulässigen Ausfallzeiten. Quelle: Bitkom: Betriebssichere Rechenzentren. Leitfaden, Version 2, 2010, S.25 (vereinfacht).

Regulatorischer Rahmen und Restriktionen

Notstromaggregate dürfen außerhalb ihrer eigentlichen Bestimmung (also der Übernahme der Stromversorgung bei einem Ausfall der öffentlichen Stromversorgung) bis zu 15 Stunden monatlich zur Erprobung arbeiten. Aus regulatorischer Sicht lassen sich bisweilen die ohnehin erforderlichen Probebetriebszeiten gleichzeitig für die Erbringung von Netzdienstleistungen nutzen.

Ferner können weitere individuelle zeitliche Beschränkungen bestehen, die sich aus der jeweiligen Genehmigungslage ergeben. In Mischgebieten kann zum Beispiel wegen zu hoher Lärmimmissionen der Probebetrieb in den Nachtstunden untersagt sein. Jede weitere Restriktion schränkt die ökonomische Verwertbarkeit der Anlagen dabei weiter ein und reduziert deren Werthaltigkeit.

Abbildung 1
Prinzip der Spitzenlastkappung.

Notstromaggregate nehmen emissionsrechtlich eine Sonderstellung ein. Ihre Grenzwerte (etwa für staubförmige Emissionen oder Kohlenmonoxid) sind im Vergleich zu konventionell betriebenen Verbrennungsmotoren deutlich weniger ambitioniert [6]. Wollen Betreiber von Notstromaggregaten längere Betriebszeiten realisieren, verlieren diese ihren Status als Notstromaggregat und benötigen eine ausreichende Betriebsgenehmigung. Die höheren emissionsrechtlichen Auflagen machen ein solches Unterfangen dabei in der Regel unwirtschaftlich.

Bei den Vorgaben des jeweiligen Anschlussnetzbetreibers für den netzparallelen Betrieb verhält es sich komplizierter. Sofern die Aggregate über 100 Millisekunden netzparallel laufen [7], und dies ist für den Probebetrieb regelmäßig der Fall, kann der entsprechende Verteilnetzbetreiber gemäß der technischen Richtlinie "Erzeugungsanlagen am Mittelspannungsnetz" [8] dieselben Anforderungen wie an alle anderen Verbrennungsmotoren stellen und auf ein sogenanntes Einheitenzertifikat selbst für Bestandsanlagen bestehen [9]. Dieses testiert, dass die vorliegende Motor-Generatoren-Kombination alle Vorschriften der (heutigen!) oben genannten technischen Richtlinie erfüllt. Kurioserweise verfügt keine Bestandsanlage von vor 2014 über ein solches Einheitenzertifikat. Viele der bestehenden Anlagen erfüllen die heutigen Anforderungen der genannten technischen Richtlinie - zumindest ohne Nachrüstung - nicht. Die etwa 800 Verteilnetzbetreiber [10] in Deutschland gehen mit dem Graubereich sehr unterschiedlich um.

Letztlich kommt es auf den Einzelfall an. Die Überprüfung kann sich aber lohnen. Hinreichend große vermarktbare Kapazitäten, keine zusätzlichen Restriktionen über die 15-Stunden-Regel hinaus und die Möglichkeit der Überschusseinspeisung rechtfertigen regelmäßig den vergleichsweise großen Aufwand der Auseinandersetzung mit den Verteilnetzbetreibern. Oft erzielen beide Seiten (Notstromaggregatbetreiber, Verteilnetzbetreiber) akzeptable Bedingungen. Über ein nachträgliches Anlagengutachten kann die Konformität des Aggregats nachgewiesen werden, soweit es die einschlägigen technischen Vorgaben für den netzparallelen Betrieb erfüllt.

Die Politik hat die Notwendigkeit eines Abbaus regulatorischer Hemmnisse durchaus erkannt. Der netzparallele Betrieb von Notstromaggregaten wird zu deren regelmäßiger Erprobung von den betreffenden Anschlussnetzbetreibern gestattet. Dies geschieht auch ohne den Nachweis der Konformität über das Einheitenzertifikat. Sobald aber eine Vermarktung zum Beispiel für Regelenergie stattfinden soll, wird mitunter auf die oben genannten Regelwerke von VDN und BDEW [11] verwiesen und eine Zertifizierung verlangt. Soweit die optimierte Fahrweise innerhalb des für den Probebetrieb zugelassenen Umfangs stattfindet, ist diese Unterscheidung nicht plausibel. Wünschenswert wäre eine Präzisierung in den einschlägigen Regelwerken. Erst ab einer Einsatzdauer von mehr als 15 Stunden pro Monat sollte eine Zertifizierung notwendig sein. Andernfalls sind Anlagen, die einen Beitrag für das Energieversorgungssystem leisten können, unnötigerweise ausgeschlossen.

Einnahmequellen

Auch im Rahmen des 15-stündigen Probebetriebes pro Monat stehen den Notstromaggregaten verschiedene Einnahmequellen offen. Der erste Punkt ist die

Teilnahme am Regelenergiemarkt. Der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) ist für die Frequenzstabilität verantwortlich. Bei einer Abweichung der Frequenz von ihrem Sollwert (50 Hz) reduziert er entweder den Verbrauch oder erhöht die Produktion. Dies geschieht letztendlich mithilfe von flexiblen Verbrauchern oder Produzenten auf den sogenannten Regelenergiemärkten. Abhängig von der Reservequalität gibt es Unterscheidungen zwischen verschiedenen Regelenergiemärkten [12].

Da sich Notstromaggregate in der Regel jederzeit starten lassen, erfüllen sie zumeist die Bedingungen der sogenannten positiven Sekundärreserve. Allein für die Bereitstellung erhält das Aggregat eine Vergütung (den sogenannten Leistungspreis). Diese lag 2016 durchschnittlich bei etwa 37.000 Euro/MWa [13]. Sollte die Anlage abgerufen werden, erhält sie zusätzlich einen Arbeitspreis, der mindestens die variablen Kosten (wie Brennstoffkosten) deckt.

Punkt 2 ist die Spitzenlastkappung oder dezentrale Einspeisung. Neben den direkten Stromkosten fallen für den Betrieb eines Rechenzentrums auch Kosten für die Nutzung des öffentlichen Netzes an. Für diese Netznutzungsentgelte wird ein Leistungspreis (etwa Westnetz, Mittelspannung, 2016, Tarifzone 2.500 h: rund 82.000 ?/MWa [14]) erhoben. Dieser bezieht sich auf den maximalen Leistungsbezug des Kunden im Kalenderjahr. Soweit die vorhandenen Notstromaggregate dann bei Spitzenlasten zu Einsatz kommen, kann dieses Leistungsentgelt um den abgesenkten Leistungsanteil wirksam reduziert sein. Das Einsparpotenzial ist durchaus beträchtlich. Dem stehen Brennstoffkosten in deutlich geringerem Umfang gegenüber. Dies gilt zumindest im Fall einer hinreichend steilen Lastdauerkurve. In einem solchen Fall ist eine Absenkung der Last mit wenigen Stunden möglich. Gleiches Prinzip gilt für den Einsatz der Notstromaggregate, die als dezentrale Erzeugungsanlagen ihre Überschussleistung (also die Leistung, die den zeitgleichen Bezug übersteigt) in das Verteilnetz einspeisen. Der Verteilnetzbetreiber vermeidet Netznutzungskosten gegenüber der vorgelagerten Netzebene. In diesem Fall profitiert der Einspeiser, denn er erhält die sogenannte dezentrale Einspeisevergütung.

Im Idealfall lassen sich all diese Einnahmequellen realisieren. Dann beläuft sich der erforderliche Einsatzumfang der Notstromaggregate in der Regel auf insgesamt 50 bis 100 Stunden pro Jahr.

Optimierungsalgorithmus

Zusammen mit Pumpspeichern und konventionellen Kraftwerken erfolgt Optimierung der Notstromaggregate als Teil eines virtuellen Kraftwerks. Die Zielfunktion maximiert die Deckungsbeiträge. Die individuellen Restriktionen (wie maximale monatliche oder tägliche Laufzeiten, Nachteinsatzverbote) der Aggregate sind dabei strikt zu berücksichtigen. Dies ist für Kraftwerksbetreiber nichts Neues. Schon immer gehen alle möglichen Arten von (technischen, aber auch regulatorischen) Restriktionen der Kraftwerke in deren Optimierungsalgorithmus (in der Regel als Nebenbedingung) ein. Beispielsweise haben Pumpspeicherkraftwerke nur begrenzte Wasserspeichervolumen.

Notstromaggregate lassen sich standardmäßig im positiven Sekundärregelleistungsmarkt vermarkten. Dort ist die Werthaltigkeit in Bezug auf den Regelenergiemarkt meist am höchsten. Aus den anderen Kraftwerken des Pools entsteht ein Reservevektor, der die vermarkteten Anlagen gegen mögliche Ausfälle absichert.

Abbildung 2
Vereinfachte Darstellung des Lastspitzenprognose-Tools von RWE Supply & Trading.

Um zusätzlich die beim Punkt "Spitzenlastkappung/Dezentrale Einspeisung" erläuterten Einsparungen zu realisieren, ist über intelligente Prognose- und Optimierungsmodelle ein Schwellenwert zu definieren. Wird dieser erreicht, folgt der Einsatz des Notstromaggregats zur Kompensation der betreffenden Lastspitzen. Dazu ist das Prognosemodell dann so parametriert, dass es die individuellen Rahmenbedingungen (insbesondere Netzbetreiber, Netzebene, Lastspitzen, Lastprofil und Betriebsrestriktionen wie Lärmschutzzeiten, Brennstoffmanagement etc.) berücksichtigt und für die Netzersatzanlagen gezielt zu den vorhergesagten Jahresleistungsspitzen einen entsprechenden Fahrplan generiert.

Funktionsweise der Steuerungstechnik

Zur Fernüberwachung und -steuerung der Notstromaggregate dient die sogenannte Fernwirktechnik (zum Beispiel RWE Flex2 Market Box). Die Fernwirktechnik ist der vorhandenen sekundärtechnischen Anlagensteuerung vorgeschaltet. Dies ermöglicht eine externe Zuschaltung, vorausgesetzt die Steuerung des Aggregats lässt die dafür notwendige Betriebsart ("Automatik", "externe Zuschaltung ein" oder Ähnliches) zu. Auch in diesem Modus ist jedoch in der vorhandenen Anlagensteuerung die Netzüberwachung stets vorrangig. Bei einer Netzstörung bleibt also zu jedem Zeitpunkt das Notstromaggregat für den originären Notstrombetrieb vorgehalten. Sollte das Aggregat - wenn der Stromausfall eintritt- nicht in Betrieb sein, wird die integrierte Anlagensteuerung wie gewohnt das Notstromaggregat automatisch zuschalten - unbeeinträchtigt durch die optionale Schaltmöglichkeit über die Fernwirktechnik. Sollte das Aggregat bei einem Stromausfall bereits über die Fernwirktechnik in Betrieb sein, um netzdienliche Leistungen zu erbringen, wird die integrierte Anlagensteuerung automatisch in den Inselbetrieb schalten und für die Versorgung der angeschlossenen Lasten sorgen. Die Anlagensteuerung lässt dann für die Dauer der Netzstörung keine Schaltung mehr über die Fernwirktechnik zu.

Fazit

Notstromaggregate können durch die Nachrüstung mit Fernwirktechnik einen wertvollen Beitrag für den Strommarkt leisten. Noch sind längst nicht alle regulatorischen Hürden von Seiten der Politik beseitigt. Bei guten Bedingungen (wie große Kapazitäten, mögliche Überschusseinspeisung) ist auch heute schon eine Einbindung in den Strommarkt wirtschaftlich attraktiv und häufig auch möglich. Zusätzlich zum Einsatz in den Regelenergiemärkten lassen sich durch Spitzenlastkappung weitere Gewinnoptionen schaffen.

Literatur

[1] R2B: Endbericht Leitstudie Strommarkt. Arbeitspaket Funktionsfähigkeit EOM & Impact-Analyse Kapazitätsmechanismen, Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, Juli 2014, S.58

[2] Ebenda, S.59

[3] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: Ein Strommarkt für die Energiewende. Ergebnispapier (Weißbuch), Berlin, Juli 2015, S.74

[4] Ebenda, S.74

[5] vgl. Bitkom: Betriebssichere Rechenzentren. Leitfaden, Version 2, 2010, S.23

[6] Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft, Vom 24. Juli 2002, S.95/96

[7] VDN: Richtlinie für Planung, Errichtung und Betrieb von Anlagen mit Notstromaggregaten, 5. Auflage 2004, S.11

[8] BDEW: Technische Richtlinie Erzeugungsanlagen am Mittelspannungsnetz, Juni 2008

[9] Ebenda, S.57

[10] Bundesnetzagentur/Bundeskartellamt: Monitoringbericht 2015, S.28

[11] VDN = Verband der Netzbetreiber, BDEW = Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft

[12] www.regelleistung.net/ext/static/market-information

[13] www.regelleistung.net

[14] www.westnetz.de/web/cms/mediablob/de/2955148/data/1625980/4/westnetz/netz-strom/netzentgelte/archiv-netzentgelte/Netznutzungspreise-gueltig-vom-01.01.16-bis-31.12.16-.pdf

Dr. Hans-Günter Schwarz ist Leiter Business Development Asset Management, RWE Supply & Trading () und Claudius Beermann ist Projektleiter Optimierter Einsatz von Notstromaggregaten, RWE Supply & Trading ().

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