Kommentar: Heutige Netzvirtualisierung ist nur Overlay

Virtualisierung der Vernetzung

17. August 2012, 11:37 Uhr | Mathias Hein, freier Consultant in Neuburg an der Donau
Mathias Hein, Consultant

Um wirklich die Netzwerkwelt revolutionieren zu können, müsste die Virtualisierung im Netzwerkunterbau integriert sein und nicht nur eine andere Art von Overlay-Funktion bieten.

Mit dem Zukauf von Nicira durch Vmware wurden Stimmen laut, die behaupteten, dass damit die Virtualisierung der Vernetzung in eine neue Dimension gebracht wird und die etablierten Netzwerkhersteller dadurch mittelfristig an Bedeutung verlieren. Ein großer Teil dieser Spekulationen entspringen mehr dem Wunsch als der Wirklichkeit. Aber natürlich stecken in solchen Äußerungen neben der Hoffnung auch immer ein Funken Realität. Kann die Virtualisierung der Vernetzung wirklich den Markt umkrempeln?

Die meisten Sachen die wir als virtuelle Vernetzung heute bezeichnen sind in Wirklichkeit kaum mehr als eine Runderneuerung alter Konzepte: Tunnel oder so genannte Pseudowires. Damit lassen sich virtuelle Pfade über fast jede Ebene-2- (Ethernet-) oder Ebene-3- (IP-)Infrastruktur realisieren. Diese virtuellen Pfade wirken gegenüber den Endgeräten beziehungsweise den Anwendungen wie physikalische Verbindungen. Das bedeutet, dass die Routing oder Switch-Logik die Tunnel als Trunks nutzen und dadurch quasi eine Art Huckepack-Netzwerk auf der Basis des realen Netzes aufgebaut wird.

Genau diese Overlay-Funktion ist der kritische Aspekt der Virtualisierung der Netze. Um einen Tunnel zwischen zwei Endpunkten im Netzwerk anlegen zu können, müssen die für den Transport der Datenpakete notwendigen Switches und/oder Router im Datenpfad vorhanden sein. Die Overlay-Netze dienen somit nur der gezielten Steuerung der Datenströme. Die Overlay-Strukturen ermöglichen somit nur die Realisierung von "Sub-Netzwerken", die ihre Dienste auf einer Teilmenge der realen Netzinfrastruktur bereitstellen. Overlay-Netze ersetzen nicht die realen Netze und fügen den Netzstrukturen weder zusätzliche QoS-Funktionen noch andere Fähigkeiten eigenständig hinzu.

Inzwischen wird im Netzwerkmarkt das Märchen von der Virtualisierung der Vernetzung als „unabhängige“ Netzwerkdisziplin erzählt. Märchen sind Prosatexte, die von wundersamen Begebenheiten berichten. Im Unterschied zur Legende sind Märchen frei erfunden und ihre Handlung ist weder zeitlich noch örtlich festgelegt. Charakteristisch für Märchen ist unter anderem das Erscheinen phantastischer Elemente und Zaubereien. Moderne Märchen sind mehr oder weniger skurrile Anekdoten, die meist per E-Mail oder über soziale Netzwerke, weitergegeben werden und deren Quelle sich in aller Regel nicht mehr zurückverfolgen lässt. In seltenen Fällen werden sie auch, bedingt durch unzureichende Recherche, als Nachrichten in den Medien verbreitet. 

Das Märchen von der Virtualisierung der Vernetzung ist eine schöne Geschichte, die sich jedoch nicht unabhängig vom wahren Kern der physikalischen Infrastruktur erzählen lässt.

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