Offener Brief an unsere Kollegen bei unseren Distributoren

Brandbrief an die Distribution

21. Dezember 2015, 18:40 Uhr | Martin Fryba
Immer mehr Fachhändler bestellen Amazon statt bei der Distribution. Ein Trend, den CRN schoin seit Jahren beobachtet
© Amazon

Sterben die ITK Händler aus? Oder ist es nicht vielmehr so, dass Amazon oder Media Markt die zukünftigen Lieferanten eines sehr wohl vitalen ITK-Fachhandels werden, wenn sie es nicht schon längst sind?

Stirbt der IT-Fachhandel in Deutschland wirklich, wie manche Distributoren das immer wieder behaupten? Wie kann es eigentlich sein, dass die Zahl der IT-Händler hierzulande massiv sinken soll, wenn gleichzeitig die Umsätze mit physischen Produkten – Hardware und Software, TK-Endgeräte – zulegen? Die Erlöse steigen freilich nicht mehr zweistellig, wie in den Boom-Zeiten der Informationstechnologie. Aber sie legen dennoch zu - und zwar Jahr für Jahr. Dass eine Bechtle aufgrund ihres überragenden Volumens noch gutes Geld im IT-Handel verdient, das Systemhaus Meier um die Ecke dagegen längst nicht mehr, steht auf einem anderen Blatt.

Das »Händlersterben« jedenfalls deckt sich nicht mit der Entwicklung dieses langsam aber stetig wachsenden ITK-Marktes. Ist es nicht eher so, dass manchen Distributoren seit Jahren schon die Kundenbasis wegbricht, die angebliche Konsolidierung und das vermeintliche Sterben des Fachhandels also nichts anderes ist, als ein individuelles Problem einzelner Grossisten, die eine Verlagerung der Einkaufsströme ihrer einstigen Kunden beobachten müssen? »Die Kunden laufen uns davon«, heißt es in einer Krisensitzung der 0815-Bank. Es heißt nicht »Die Kunden sterben«. Ersteres ist eine Folge des Wettbewerbs, es ist die Stunde der Konkurrenten einer hilflosen 0815-Bank, die ihre Kunden nicht mehr erreicht. Und schlimmer noch: nicht mehr zu erreichen versucht.

Letzteres wäre legitim. Wenn sich Distributoren von einem Teil ihrer Klientel verabschieden wollen, wenn sie ihr Geschäftsmodell ändern, weil sie mit kleineren Kunden nichts mehr verdienen können und sich daher auf Großkunden verlegen – große Retailer, umsatzstarke E-Commerce-Player wie Amazon, große Systemhäuser und IT-Dienstleister – wäre dies eine klare Strategie. Man sollte zu diesem Weg, auch im Interesse fairer Geschäftsbeziehungen, stehen und ihn kommunizieren. Klare Worte finden dagegen die vielen IT-Händler gegenüber CRN, die ihrem Ärger über manche Grossisten Luft machen.

Patrick Ruppelt, Geschäftsführer von pr itk solutions GmbH, spricht in seinem offenen Brief an die Distributoren viele Punkte an, die uns andere Fachhändler bestätigen. Auch wenn es viele Beispiele gibt, wie ITK-Distributoren vorbildlich ihre Fachhandelspartner betreuen, wollen wir mit dieser sehr persönlichen Kritik eines Reseller eine Diskussion anstoßen, die aus unserer Sicht dringend notwendig ist. Im Interesse des Fachhandels, der Distribution und nicht zuletzt der ITK-Hersteller.

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Offener Brief an unsere Kollegen bei unseren Distributoren

Patrick Ruppelt, Geschäftsführer von pr itk solutions GmbH

Ich kann es nicht mehr hören. Die Klagen, das Wehleiden. Euch geht es ja so schlecht. Eure Kunden - wir, die Fachhändler - kaufen mittlerweile so wenig bei euch ein und ihr versteht überhaupt nicht, wieso. Groß und breit von euch angeprangert. In der Fachpresse diskutiert.

Alle paar Wochen bekomme ich von irgendwelchen eurer Werkstudenten Umfragen dazu geschickt mit der Bitte um Teilnahme. Ich gebe reges Feedback, gemeldet hat sich bei mir darauf aber noch nie jemand. Fach- und Hausmessen können aus Kostengründen nicht mehr abgehalten werden. Wir kaufen uns unsere Schulungen direkt beim Hersteller seit es von euch nichts Brauchbares mehr gibt. Persönliche Ansprechpartner gibt es nur noch für Konzernkunden oder solche, die täglich bei euch großen Umsatz machen.

Da wollen wir aber gar nicht hin. Wir verkaufen eigentlich gar keine Geräte, machen es halt, wenn es der Kunde wünscht. Bei uns ist der Kunde König. Und ja: ich würde oft lieber bei euch bestellen, wenn ich dann doch mal Ware benötige.

Aber: ihr seid selbst schuld an der Misere. Wacht auf und kapiert das endlich mal. Ihr bietet miserablen Support. Ihr seid unflexibel. Bei euch zahle ich sogar für per E-Mail verschickte Lizenzen noch Umweltpauschalen - zusätzlich zu den ohnehin völlig überzogenen Versandkosten. Für eine E-Mail - und das ist auch noch seit Jahren bekannt und liegt angeblich an einem Systemproblem, das aber nicht behoben werden kann. Umtausch-/Rückgaberecht für gewerbliche Kunden Fehlanzeige. Persönliche Ansprechpartner: nix. Kompetente Ansprechpartner: no way. Es geht nur noch darum, das zu verkaufen, was am meisten Cash Back und Rebate-Punkte bringt.

Meine Kunden kommen heute in unser Geschäft, drücken uns das bei Media Markt gekaufte neue Notebook in die Hand. Ob wir das einrichten könnten, auch wenn es nicht bei uns gekauft wurde. Aber bei Media Markt war das Gerät billiger als unser Einkaufspreis bei Techdata. Der Kunde hat ja zuerst bei uns gefragt, so ist es ja nicht. Also, klar machen wir das. Wir leben ja schließlich vom guten Service. Der originale Lieferaufkleber von Techdata an Media Markt klebt noch auf der Schachtel des Notebooks. Traurig! So macht ihr über Umwege ja doch noch Umsatz mit uns.

Ein weiteres Beispiel

Ein Kunde fragt uns nach einem Preis. Gleiches Spiel: Mit den Preisen kann und will ich nicht mithalten. Von irgendwas müssen meine Angestellten ja auch leben, da interessiert es mich nicht, ein 2.000 Euro teures Premium-Notebook mit 50 Euro Deckungsbeitrag »durchzuschieben« und dafür auch noch der Depp zu sein, wenn das Gerät irgendwann kaputt geht. Und das Geld wochenlang vorzufinanzieren? Lächerlich.


Am nächsten Tag trudelt auch schon das neue Notebook bei uns ein, welches der (gewerbliche) Kunde bei Amazon mit Rückgaberecht bestellt hatte. Der originale Lieferaufkleber von Also Actebis an Amazon klebt auch hier auf diesem Paket.

Also, liebe Kollegen. Was sagt ihr dazu? Versteht ihr immer noch nicht, wieso euch der Fachhandel seit Jahren immer mehr den Rücken zukehrt? Vermutlich nicht. Das, was man nicht sehen will, das wird man auch nicht sehen.

Und damit wünsche ich dann auch euch und unseren Kunden ein paar angenehme, ruhige Weihnachtstage. Vielleicht denkt ihr ja mal drüber nach.

Lieben Gruß
Patrick Ruppelt


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