Der Referenzprozesses
Um die Voraussetzungen dafür zu verbessern, hat das Projekt Engineering Change Management (ECM) die Empfehlung VDA4965-1 entwickelt. Zum Projekt gehörten Vertreter des ProSTEP iViP e.V. und Arbeitskreises CAD/CAM des VDA (Verband der Automobilhersteller). Die Empfehlung wurde Juni 2005 verabschiedet. Sie beschreibt ein Verfahren, mit dem die unterschiedlichen firmeninternen Änderungsantragsprozesse (Engineering Change Requests, ECRs) aufeinander abgestimmt und IT-gestützt über gezielte Kommunikationsschritte synchronisiert werden können. Das Verfahren ist mit den Industrieprojektpartnern abgestimmt und basiert auf internationalen Standards wie ISO10303-214 (STEP AP214) und OMG (Open Management Group) PLM (Product Lifecycle Management) Services. Es wurde im ProSTEP iViP e.V. entwickelt und durch die Object Management Group als Standard anerkannt. Zu den Projektpartnern gehören unter anderem BMW, DaimlerChrysler, Delphi und Magna Steyr, welche die spezifizierten Lösungen Projekt begleitend umgesetzt und validiert haben. Ihre Erfahrungen sind direkt in die VDA Empfehlung 4965-1 eingeflossen.
Der ECR-Referenzprozess ist Kernstück der gemeinsam erarbeiteten Lösung für kooperatives Änderungsmanagement. In einem Änderungsvorhaben ist der Coordinator der Prozesstreiber. Er präsentiert sich entsprechend dem Referenzprozess. Durch die dort standardisierten Interaktionen und Nachrichten (Messages) wird der Partner (Participant) eingebunden, der seinerseits eine Umsetzung auf die eigenen Abläufe und Daten vornimmt. Typische Änderungsinformationen sind die Identifikation der betroffenen Projekte, Baureihen und Module, detaillierte Änderungsbeschreibungen und Lösungsvorschläge mit betroffenen Bauteilen und Dokumenten, geschätzte und/oder tatsächliche Einflüsse auf Gewicht, Ent-wicklungs-, Investitions-, Material- und Fertigungskosten sowie Termine.
Bedarfsabhängig werden die in den Änderungs- und Entscheidungsprozess involvierten Personen und Organisationen identifiziert, um im Tagesgeschäft schnell reagieren zu können. Weil es sich nur um ein einfaches, bilaterales Regelwerk handelt, unterstützt es auch große Kooperationsnetzwerke, ohne für jede Beziehung individuelle Lösungen vorhalten zu müssen. Informationen und Anwendungskontext lassen sich mit Hilfe des Referenzprozesses klar zuordnen. Zum Beispiel wird in der technischen Analysephase eine Liste relevanter Bauteile über die betroffenen Partner hinweg konsolidiert. In der Kommentierungsphase ist sie dann Grundlage für die Stellungnahmen.
Flexible Umsetzung
Flexible und erweiterbare Interaktionsszenarien unterstützen die unterschiedlichen Anforderungen individueller Prozessabstimmungen. Mit Hilfe von Referenzprozess und Interaktionsszenarien vereinbaren die Partner Verantwortlichkeiten, Prozessschritte und erwartete Nachrichten sowie welche Änderungsinformationen geliefert werden sollen. Diese Informationen lassen sich in den beteiligten Systemen und Schnittstellen konfigurieren.
Missverständnisse können so vermieden, es entstehen weniger Fehler und Abstimmungslücken werden frühzeitig erkannt. Wenn Projekte modular aufgesetzt und die Referenzmodelle angewandt werden, sinkt in neuen Projekten und Partnerschaften der Abstimmungsbedarf um etwa 60 Prozent. Vorkonfigurierte Komponenten wie ECM Prozessbeschreibungen, weite Teile der Lieferantenvereinbarungen, Schnittstellen oder Kommunikationstools sind wieder verwendbar oder lassen sich dynamisch anpassen.
Es gibt verschiedene Wege, den Einsatz des Referenzprozesses, der empfohlenen Interaktionsszenarien und spezifizierten Nachrichten zu realisieren: die relevanten Systeme lassen sich synchron koppeln, man kann aber auch Web-Client-Technologie oder asynchronen Datenaustausch verwenden.
Die Projektpartner schätzen, dass eine Zeitersparnis von bis zu 43 Prozent allein im Teilprozess ECR möglich ist, wenn die Abläufe auf einer harmonisierten Lösung basieren. Die im Vereinsprojekt ECM (Engineering Change Management) definierten Prozessbausteine mit klar definierten Synchronisationspunkten und Informationsumfängen auf Basis von Standards definieren klar, wer was wann wissen muss. Sie entsprechen der hohen Variabilität und Dynamik in heute üblichen Kooperationen und integrieren sich in die existierenden Systemumgebungen.
Abgestimmte, partnerübergreifende ECM Prozesse unterstützen so digital die komplexen Kooperationsnetzwerke im Automotive-Bereich und tragen dazu bei, sie zu beherrschen. Besonders wichtig sind diese Netzwerke während der Entstehung neuer Modelle und beim schnelleren und störungsfreieren Serienanlauf. Der ist mit dem ECR-Prozess noch längst nicht beendet: Als nächsten Teilprozess ist die Entwicklung entsprechender Empfehlungen und Vorgehensweisen für die ECO (Engineering Change Order) geplant.
Andresa Trautheim ist Leiter des Competence Center Consulting bei der Prostep AG