Linux auf dem Desktop

27. Juni 2007, 12:49 Uhr |

Linux auf dem Desktop In München proben Fachreferate den Betrieb eines lizenzfreien und quell-offenen Software-Clients. Eine vollständige Ablösung proprietärer Software ist in dem vielbeachteten Migrationsprojekt vorerst nicht vorgesehen.

Peter Hofmann, Projektleiter Limux: »Wir führen schrittweise den Linux-Desktop dort ein, wo es Sinn macht.«
Peter Hofmann, Projektleiter Limux: »Wir führen schrittweise den Linux-Desktop dort ein, wo es Sinn macht.«
Die Stadt München (im Bild: das Rathaus) kommt mit ihrem Migrationsprojekt voran. Bis auf weiteres werden Windows und Linux parallel eingesetzt.
Die Stadt München (im Bild: das Rathaus) kommt mit ihrem Migrationsprojekt voran. Bis auf weiteres werden Windows und Linux parallel eingesetzt.
Terminalrechner und Web Services könnten den Gegensatz zwischen Windows und Linux in zukünftigen IT-Landschaften entschärfen, meint Andreas Zilch, Vorstandsmitglied der Experton Group.
Terminalrechner und Web Services könnten den Gegensatz zwischen Windows und Linux in zukünftigen IT-Landschaften entschärfen, meint Andreas Zilch, Vorstandsmitglied der Experton Group.

Nach gewissen Startschwierigkeiten nimmt die Münchner Stadtverwaltung mit ihrem Linux-Projekt (Limux) Tempo auf. Allerdings ist für die bayerische Landeshauptstadt die Migration von einer durch Windows geprägten IT-Landschaft zu Open Source Software (OSS) drei Jahre nach der Entscheidung noch eine Großbaustelle. Einige Linux-Ge­werke sind zwar fertig, aber zentrale Datei- und Druckdienste nicht. Der referatsübergreifende Roll-out des Formular- und Vorlagenmanagements steckt noch in der Anfangsphase. Nicht zuletzt fehlt plattform­unabhängige Software für rund 170 Fachanwendungen. Die Projektleitung favorisiert deshalb einen weichen Migrationspfad, der noch für einige Jahre den parallelen Betrieb von proprietärer und quelloffener Software, von Windows und Linux vorsieht. Derzeit gibt es in der Verwaltung 600 Linux-basierte Desktop-Arbeitsplätze mit einem Debian-3.1.-Grundsystem und der KDE-3.5.-Benutzeroberfläche. Auf 1100 PCs ist das Büropaket Openoffice.org 2 installiert, das auch unter dem Microsoft-Betriebssystem Windows läuft. Die Mitarbeiter der kommunalen Referate werden in Schulungen auf die neue Benutzeroberfläche eingestimmt. Auf dem Desktop befindet sich der Dateimanager Konqueror, der Web-Browser Firefox, ein Terminkalender und das E-Mail-Programm Thunderbird. Büroprogramme wie Textverarbeitung und Tabellenkalkulation liefert Openoffice. Mit Gimp 2.0 gibt es zudem ein Bildbearbeitungsprogramm.

Pragmatische Haltung Bis Mitte 2009 will die Münchner Verwaltung nahezu 14000 PCs mit Open-Source-Software und größtenteils mit dem Linux-Basisclient ausstatten und in den Folgejahren den Parallelbetrieb mit proprietärer Software auf ein Minimum reduzieren. »Wir streben ein Verhältnis von 80 zu 20 an«, sagt Limux-Sprecher Florian Schießl. Eine komplett lizenzfreie und herstellerunabhängige IT-Infrastruktur bleibt demnach ein Wunschtraum für überzeugte OSS-Verfechter. Anfangs als Leuchtturmprojekt der aufstrebenden Linux-Community bejubelt, konzentrieren sich die zwölf Münchner IT-Fachbereiche heute auf pragmatische Migrationsaktivitäten, halten aber an dem Ziel fest, die Abhängigkeit von Microsoft abzubauen, um mittel- und langfristig Kosten zu sparen. »Wir führen schrittweise den Linux-Desktop dort ein, wo es Sinn macht«, betont Peter Hofmann, Leiter des Projektes Limux und als Mitglied des Direktoriums der Stadt München für Informationstechnologie zuständig. Beispielsweise hat als erste städtische Dienststelle das Revisionsamt im Oktober 2006 die Umstellung auf den Debian-Client abgeschlossen. Auch das Stadtdirektorium arbeitet seit knapp einem Jahr mit Openoffice. Sozial- und Kulturreferat, Branddirektion sowie das Kreisverwaltungs- und Personalreferat sind gerade in der Einführungsphase.

Kein Komplettaustausch In einigen Bereichen steuern die IT-Verantwortlichen auf Kompromisslösungen zu. So bleibt in einigen Fällen beim Austausch von Office-Software durch Openoffice das Windows-Betriebssystem erhalten. Auch benötigen zahlreiche Legacy-Anwendungen Windows-Technik. Meist laufen die auf spezielle kommunale Aufgaben zugeschnittenen Fachanwendungen einwandfrei und ein alternatives Linux-Produkt steht nicht fertig zur Verfügung. »Der Aufwand, eine funktionierende Friedhofsverwaltung in eine quelloffene Umgebung zu portieren, steht nicht für den Nutzen«, konstatiert nüchtern Andreas Zilch, Berater und Marktforscher bei der Experton Group. Der IT-Kenner sieht gewisse Limitierungen darin, dass der Fokus des Münchner Projekts auf die Einführung eines voll ausgerüsteten Debian-Desktops gerichtet ist. Während in manchen anderen Organisationen über eine Thin-Client-Architektur mit Server-Zentrierung oder Managed Workplace Clients nachgedacht wird, baut die Landeshauptstadt auf die traditionellen Vorteile von Fat Clients mit eigenen Festplatten, mit Dateiverwaltung und Grafikkarten. Zilch sieht einen Trend zu Web-Applikationen und Terminalrechnern, die kein volles Betriebssystem benötigen. In solchen Szenarien stelle sich die Frage nach Linux oder Windows in der alten Schärfe nicht mehr, meint der Marktforscher. Die Umstellung von Betriebs- und Bürosystemen hat sich in München mehrfach verzögert, vor allem bei speziell entwickelten Fachanwendungen. Vor zwei ­Jahren musste ein Rechtsgutachten wegen patentrechtlicher Unstimmigkeiten eingeholt werden, ein anderes Mal stockte das Ausschreibungsverfahren wegen ungenauer Angaben über die gewünschten Anwendungsszenarien. Wenig geheuer war dem städtischen Linux-Team auch eine zu enge Einbindung von IBM und Novell/Suse. »Wir suchten keine Distribution sondern eine Systemlösung«, erinnert sich Hofmann. Die Stadt startete vor dem konkreten Projektbeginn eine neue Ausschreibungsrunde und gab schließlich den beiden Bewerbern Softcon und Gonicus den Zuschlag. Damit stand für das System- und Konfigurationsmanagement eine anpassungsfähige Alternative zur Verfügung. Inzwischen sieht die Erfolgsbilanz von Projektsprecher Schießl nicht schlecht aus: »Wir haben den ersten Linux-basierten Arbeitsplatz mit einem Usability-Zertifikat des TÜV.« Während auf der Server-Seite wenig Schwierigkeiten bei dem Linux-Einsatz zu befürchten sind, geht es beim Umrüsten der Desktop-Rechner in einigen Fällen nur mit Emulationssoftware oder Terminalservices unter Beibehaltung des Windows-Betriebssystems. Eine solche Lösung führt IT-Kennern zufolge im Allgemeinen zu Einbußen bei der Performance und kann auch das System- und Konfigurationsmanagement verkomplizieren. Zwar erfüllt das quell­offene Systemmanagement-Tool Go­sa Anforderungen wie das rollen- und gruppenbasierte Anlegen von Profilen oder ein einheitliches Patch- und Release-Management, aber Änderungen auf der Client-Seite erfordern häufig An­passungen. Zuletzt war dies bei der Einführung von Enterprise Samba als Datei- und Anmeldedienst der Fall. Eine Microsoft-Office-Migration erfordert eine sorgfältige Planung und Vorbereitung. Damit Vorlagen und Formulare rechtzeitig zur Um­stellung der Computer vor Ort verfügbar sind, hat sich das Limux-Team ein Regelwerk einfallen lassen, das eine genaue Abstimmung mit allen Beteiligten vorsieht. Mittlerweile gibt es bei der Stadt München ein zentrales Office-Support-Zentrum, das die zahllosen Makros, Vorlagen und Formulare (MVFs) erfasst, analysiert und klassifiziert. Der Vorteil liegt in einem Rückbau der innerhalb der Verwaltung zirkulierenden elek­tronischen Vorlagen und der Einführung einheitlicher Textbausteine und Fachverfahren. Eine Eins-zu-eins-Umsetzung der Office-Objekte in Openoffice ist nicht vorgesehen.

Andreas Beuthner ist freier Journalist bei München.


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