Erste Schritte
Auch wenn die Standardisierung, wie meist bei solchen Mammutvorhaben, noch nicht abgeschlossen ist, haben die meisten Hersteller diverse Komponenten im Programm und testen Provider schon die eine oder andere Anwendung. Die Umrüstung auf IMS wird allerdings nur dann zügig vonstatten gehen, wenn sie zu neuen, gewinnträchtigen Diensten führt, die die Ausgaben wieder hereinspielen.
Beispielsweise muss ein Provider, der IMS nutzen will, zunächst einen Softswitch implementieren. Das ist ein Vorteil für diejenigen, die ihre alten Switches bereits ausgemustert haben. Provider werden meist damit beginnen, einzelne IMS-Anwendungen zu realisieren, um erste Erfahrungen zu sammeln. Dann dürften grundlegende Sprachdienste mit ersten Multimedia-Anreicherungen folgen. Die komplette Sprachkommunikation wird wohl erst in einigen Jahren schrittweise auf IMS überführt werden.
Nicht gerade ein Impuls für IMS ist sicher, dass viele Firmen, zum Beispiel i-Tunes, mit Internet-Diensten gutes Geld verdienen, die gar nicht IMS-kompatibel sind. Auch SMS-Dienste und Spiele über das Internet, bei denen Playstations oder X-Boxen miteinander kommunizieren, passen in ihrer jetzigen Form nicht zu IMS. Denn IMS nutzt SIP (Session Initiation Protocol), um Verbindungen aufzubauen, die genannten Services nicht.
Das Rennen hat schon begonnen
Was tun nun die einzelnen Equipmenthersteller in Sachen IMS? Alcatel/Lucent wird wohl den weiteren Ausbau der eigenen IMS-Produktpalette hauptsächlich auf Lucent-Know-how abstützen, hat doch Lucent schon recht erfolgreich auf diesem Gebiet gearbeitet und ein relativ breites Portfolio für IMS-Infrastrukturen. Dazu gehören Lösungen für alle drei Schichten von IMS-fähigen Netzen. Lucent kann auf Implementierungen bei Sprint, der britischen MMO2 und China Unicom verweisen. IDC bewertet Lucent beim Thema IMS als Early Mover, ausgelöst durch die Akquise von Telica im Jahr 2004 und die dadurch erfolgten Produktentwicklungen.
Rivale Cisco hat weniger anzubieten. Immerhin kann der Hersteller Interessenten den Media Gateway Controller PGW (Packet Gateway) offerieren, von dem in Deutschland zirka 25 bis 30 Knoten realisiert wurden, viele davon bei der Telefonica, die mit dem Gerät das Peering hin zu ihren zahlreichen Partnern regelt. Häufig wird das Gerät mit dem Softswitch BTS kombiniert, der dabei hilft, rund 50000 Kunden von Kabel Deutschland mit Telefonie und Internet zu versorgen. Hinsichtlich anderer für IMS nötiger Produkte arbeitet Cisco mit Partnern zusammen.
Insgesamt allerdings hält Steffen Probst, Business Development Manager des Vertriebsbereichs Serviceprovider bei Cisco, die IMS-Umstellung nicht für dringlich: »Die einzige sinnvolle Anwendung ist heute Push-to-Talk«, sagt er. Diesen Dienst, bei dem Mobiltelefonnutzer mehrere Partner gleichzeitig wie beim Bündelfunk adressieren können, wird derzeit von T-Mobile getestet. »Wie die Anwender Push-to-Talk annehmen, ist allerdings fraglich«, sagt Probst. »In Asien sind sie skeptisch, in den USA läuft das Geschäft damit sehr gut.« Hinsichtlich proprietärer Services wie iTunes meint Probst: »Wenn die Provider investieren sollen, brauchen sie eine Art Wegezoll, sonst lohnt sich für sie eine teure Umrüstung kaum. Heute fließt das meiste Geld direkt an die Content Provider.«
In der Literatur zu IMS findet man noch mehr mögliche Applikationen: Videosharing auf dem Handy, während gleichzeitig ein Voicecall läuft, Content Sharing, Presence-Anwendungen, Messaging oder VoIP. Realisiert ist davon noch wenig.
Wie sich die Kreation Nokia Siemens Networks in dem neuen Markt positionieren wird, bleibt abzuwarten. Siemens kann unter anderem einen HSS (Home Subscriber Server) und einen Call Session Control Server (CSCS) beisteuern. Siemens betreut weltweit etwa 30 IMS-Trials.
Ericsson/Marconi, wobei die IMS-Produkte von Ericsson stammen, möchte ebenfalls ein Stück vom Kuchen. Die Lösungen des Herstellers sind in rund 20 Netzen weltweit implementiert, unter anderem im Festnetz der Telefonica in Spanien oder bei TIM in Italien, wo damit Video-Applikationen gesteuert werden. In Deutschland ist Ericsson mit Vodafone/D2 im Geschäft, in den USA mit Sprint.
Auch Nortel, derzeit die wohl am meisten gefährdete der verbliebenen
TK-Größen, möchte bei IMS vorn mitspielen. Der Hersteller hat laut Peter Ziemann, Director Carrier VoIP und Multimedia Product Marketing, ein relativ breites Portfolio, zu dem zum Beispiel ein HSS, ein HLR (Home Location Register), und ein CSCF (Call Session Control Function) gehören. Zudem gibt es für die Anwendungsebene den MCS (Multimedia Communication Server), der Applikationen wie Presence oder Messaging speichert. Nortel betont, dass sich IMS-Dienste auf bestehenden Produktplattformen dieses Herstellers realisieren lassen und bietet damit einen gewissen Investitionsschutz.
Anders als die VoIP-Technologie, die eine Fülle kleiner, neuer Firmen entstehen ließ, dürfte IMS wohl eine Domäne der Großen bleiben, allenfalls angereichert durch Applikationssoftware von Drittanbietern, die in den IMS-Netzen über offene Schnittstellen implementiert werden könnte. Ob und wann die Endanwender die positiven Auswirkungen von IMS zu spüren bekommen, hängt hauptsächlich von der Investitionsbereitschaft und zündenden Service-Ideen der Provider ab.