Quelloffene Lösungen Open-Source-Software gibt es mittlerweile auch für geschäftsnähere Aufgaben und mit professionellem Service. IT-Entscheider können ihre Handlungsspielräume dadurch erweitern
Nachdem sich Linux in rund zehn Jahren als Betriebssystem auf der Server-Ebene durchgesetzt hat und mittlerweile zu den De-facto-Standards zählt, waren es in den letzten Jahren primär die quelloffenen Alternativen im Infrastrukturbereich, die ein vitales Open-Source-Ökosystem entstehen ließen. So sind mittlerweile viele leistungsfähige Datenbanken, Applikationsserver und Entwicklungswerkzeuge im Bereich der Open Source Software (OSS) verfügbar. Diese Basis an verlässlichen und erprobten Infrastrukturkomponenten, wie MySQL oder JBoss, ermöglicht es Programmierern und Software-Anbietern innovative quelloffene Software-Angebote zu entwickeln und zu vermarkten. Die Akzeptanz auf Seiten der Anwender steigt kontinuierlich, da man bisher mit OSS durchweg positive Erfahrungen gesammelt hat. Hier stellt sich für die IT-Entscheider in den Unternehmen eine Herausforderung. Aufgrund der Fülle neuer Software-Angebote, alternativer Lizenzierungs- und Service-Modelle entstehen bei der IT auch neue Möglichkeiten zur Gestaltung der Beschaffungs- und Investitionsprozesse. Daher ist es sinnvoll, sich zu verdeutlichen, welche generellen Software-Typen identifiziert werden können und wie diese das IT-Beschaffungswesen beeinflussen. Beim sozusagen traditionellen Software-Typ können Anwender zwar aus vielen etablierten lizenzkostenpflichtigen Produkten auswählen, die aber unter dem Betriebssystem Linux nicht ablauffähig sind. Ein Großteil dieser Software entfällt auf kleine und mittlere Hersteller, die ihre Produkte nicht auf Linux portieren. Zwar bietet der traditionelle Typ für den Anwender eine gewisse Sicherheit und Verlässlichkeit, doch lassen sich die Vorteile plattformneutraler Lösungen und offener Standards nicht nutzen. Auch ist die Marktdynamik in diesem Segment eher verhalten, so dass Anwender hier nur in geringem Maße von Innovationen profitieren. In Vergleich zu Produkten auf Open-Source-Basis fallen bei der Entwicklung traditioneller Software hohe Entwicklungskosten an, die sich in den Lizenz- und Support-Kosten für den Kunden niederschlagen.
OSS Salonfähig
Zum gewissermaßen evolutionären Software-Typ gehören herstellereigene Software-Produkte, die durch die Anbieter entweder plattformunabhängig gestaltet oder über Portierung auf den verschiedenen Betriebssystemen verfügbar gemacht werden. An der Preisgestaltung und den Lizenz- und Service-Modellen ändert sich allerdings nur wenig, so dass sich Kosteneinsparungen nur über billigere Hardware und Linux als Betriebssystem ergeben. Die Anbieter von Produkten dieses Typs sind meist größere Software-Hersteller, die über hinreichende Ressourcen verfügen. Diesen beiden Typen gegenüberstellen lässt sich der radikale Software-Typ, der auf der Entwicklung im Rahmen einer Open-Source-Gemeinschaft beruht. Dieses Modell bricht traditionelle Lizenzierungs- und Geschäftsmodelle auf und bietet dem Anwender die Chance, im Internet verfügbaren Quellcode kostenfrei in seinem Anwendungskontext zu implementieren, sofern er bestimmte Regelungen beachtet. Die lizenzgebührenfreie Nutzung von quelloffener Software scheint auf den ersten Blick sehr interessant, bietet nach Einschätzung der Experton Group derzeit allerdings nur in gewissen Bereichen und für bestimmte Kundengruppen Vorteile. So sollten nur diejenigen OSS-Angebote ausgewählt und implementiert werden, die ein gewisses Reifestadium erreicht haben und nicht durch unregelmäßige Update-Zyklen, Sicherheitslücken oder Schwachstellen in der Integration den reibungslosen IT-Betrieb gefährden. So können die Größe der Entwicklergemeinschaft, die Reaktionsschnelligkeit der Community bei Support-Anfragen oder auch die Anzahl und Qualität von Referenzinstallationen über die Reife von radikalen OSS-Angeboten Auskunft geben und dem IT-Entscheider helfen, den Auswahlprozess erfolgreich zu gestalten. Die Identifikation und Evaluation möglicher OSS-Alternativen kann aufgrund der Fülle an zu bewertenden Projekten zu einer aufwändigen Angelegenheit werden. So finden sich allein auf dem OSS-Entwickler-Portal Sourceforge.net über 100000 Open-Source-Projekte. Zu den eher unkritischen Anwendungen zählen Betriebssysteme, Middleware-Komponenten wie Web- oder Applikations-Server, File- und Print-Server oder auch Client-Anwendungen, die in geschäftsunkritischen Bereichen eingesetzt werden. Beispiele sind Linux als Betriebssystem, MySQL als Datenbanksystem, der Web-Server von Apache, der Applikations-Server von JBoss sowie Open Office als Büro-Paket. Von der Nutzung reiner OSS-Angebote für geschäftskritische Bereiche rät die Experton Group derzeit noch ab. So weisen derzeit erst wenige ERP- oder Business-Intelligence-Produkte im Open-Source-Bereich die nötige Reife auf. Zudem sind bei der Nutzung reiner OSS-Angebote vielfach noch rechtliche Fragen offen. Auch kann die Publikationspflicht im Falle individueller Änderungen problematisch werden, falls man bei der Offenlegung von Code wettbewerbspolitische Konsequenzen fürchten muss. Zudem sollten sich Anwender darüber im Klaren sein, dass die Lizenzkosteneinsparungen schnell durch den Mehraufwand an Service und Support überkompensiert werden können. Die zusätzliche Arbeitszeit der internen IT-Abteilung zur kontinuierlichen Pflege der reinen OSS-Lösungen wird häufig unterschätzt. So erfordern das Patch- und Update-Management bei neuen OSS-Lösungen sowie auch das Training der internen Mitarbeiter teilweise ein Vielfaches an Arbeitszeit und erhöhen die Komplexität im IT-Betrieb. Anwender sollten daher vor der Entscheidung für reine OSS-Produkte kritisch ihre internen Fähigkeiten und das Know-how der Mitarbeiter analysieren und keine zu großen Risiken eingehen.
Zuverlässiger Support
Um den Problemen der Anwender im Umgang mit reinen OSS-Lösungen zu begegnen, wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Unternehmen gegründet, die mit gebündelten und professionell unterstützten OSS-Angeboten inzwischen am Markt präsent sind. Diese auf Open-Source-Projekten basierenden Pakete beinhalten meist proprietäre Komponenten wie anwenderfreundliche Administrationswerkzeuge und solide Angebote für Service und Support. Diese Unternehmen, zumeist Start-ups, die über Risikokapital finanziert sind, verbinden die Vorteile der alten mit der neuen Software-Welt. Sie kombinieren den kosteneffizienten Open-Source-Entwicklungsprozess mit den Anforderungen der Anwender nach professionellem Service und Support und einem neuen Lizenzierungs- und Geschäftsmodell, bei dem der Anwender primär für den Service und das Know-how des Anbieters zahlt. Dieses relativ neue Software-Entwicklungs- und Geschäftsmodell stellt einen Software-Typ dar, den man innovativ nennen kann. Bei diesem Software-Typ reduziert sich die Abhängigkeit der Anwender von der oft anonymen Entwicklergemeinschaft sowie von den einzelnen Mitarbeitern als Know-how-Trägern. Die Gefahren für den IT-Betrieb durch abrupte Personalwechsel werden somit drastisch verringert. Gegenüber radikalen OSS-Lösungen müssen Anwender nun keine Spezialisten intern beschäftigen, die sich um die Implementierung sowie Pflege und Wartung der Systeme kümmern. Speziell für kleine und mittlere Unternehmen kann dies eine große Chance sein, die IT-Kosten zu senken, ohne dafür größere Risiken in Kauf nehmen zu müssen. Allerdings ist derzeit noch nicht absehbar, wie sich die Venture-Capital-Investitionen, die derzeit den Markt treiben, in der Zukunft auswirken werden. So ist einerseits denkbar, dass einige OSS-Neugründungen sich über Börsengänge neues Geld beschaffen und zu respektierten Akteuren in ihrem Marktumfeld werden, wie Red Hat dies vorgemacht hat. MySQL und andere könnten folgen. Andererseits ist es möglich, dass es in den kommenden drei, vier Jahren verstärkt zu Aufkäufen der OSS-Firmen durch etablierte Software-Anbieter kommt, wenn diese nämlich deren Märkte bedrohen oder in ersichtlicher Weise attraktive Wachstumschancen bieten.
Carlo Velten ist Senior Advisor bei dem Marktforschungs- und Beratungshaus Experton Group.