Software-Vertrieb: Gelingt der große Wurf?. Für viele Systemhäuser ist es eine verlockende Idee: Selbst entwickelte Software-Komponenten, die aus verschiedenen Kundenprojekten entstanden sind, wieder verwerten und ein Produkt daraus erschaffen. Doch Erfahrungswerte besagen, dass im Schnitt zwei Drittel aller neuen Produkte schief gehen. Neue Software auf den Markt zu »werfen«, will geübt sein. Doch mit guter Vorbereitung landet sie auch am gewünschten Ort: in den Händen der Kunden.
Autor: Markus Tischner
Wer für Kunden individuelle Softwarelösungen entwickelt, kommt irgendwann auf die Idee: Die vielen guten Einzelkomponenten, die im Laufe der Zeit aus der Praxis entstanden sind, könnten doch mit geringem Aufwand umgearbeitet und als Standardprodukt einem breiten Kundenkreis angeboten werden. Software-Recycling ist das Stichwort. Es beschreibt jedoch nur eine Seite der Medaille. Der technischen Aufbereitung bestehender Software-Elemente steht die zielgerichtete Vermarktung des geplanten Produkts gegenüber. Neben der technischen Kompetenz sind plötzlich verstärkt Marketing- und Vertriebsfähigkeiten gefragt. Wer zum erfolgreichen Drittel gehören will, muss sich die gefragte Kompetenz an Bord holen und darf bei der Geburt des neuen Babys nichts dem Zufall überlassen.
Bereits vor der Entscheidung für ein Produkt muss klar sein, ob genug Ressourcen für die Vermarktung gestellt werden können. Eine Daumenregel lehrt, dass der Entwicklungsaufwand mindestens in gleicher Höhe auf Marketingseite anfällt. Dieser Anhaltspunkt macht schnell deutlich, ob sich das Vorhaben alleine stemmen lässt oder Marketing-Verstärkung vonnöten ist. »Nachdem bei uns im Hause die Entscheidung gefallen war, aus vorhandenen Programmteilen die WinICCM-Produktreihe auf den Markt zu bringen, wurde sehr schnell klar, dass im Unternehmen FCS ein neuer Bereich Marketing & Vertrieb aufgebaut werden muss«, erläutert Bastian Brand, Leiter Marketing&Vertrieb der Firma Fair Computer Systems. Das Nürnberger Unternehmen begann als reines Systemhaus und entschloss sich im Jahre 2002 nicht nur Software-Projekte, sondern auch -Produkte zu verkaufen.
»Im reinen Systemhaus-Geschäft ist die technische Kompetenz unserer Geschäftsführer ein Standbein in der direkten Endkunden-Akquise. Für das Produktmarketing von WinICCM ist es dagegen viel wichtiger, der breiten Masse zunächst auf nicht technischer Ebene klar zu machen, welche Vorteile sie gerade durch den Einsatz der FCS-Produkte erhalten«, betont Brand.
Doch nicht jeder kann es sich leisten, gleich einen eigenen Marketingleiter einzustellen. Techniklastige IT-Unternehmen haben zudem oftmals Angst, sich mit dem Marketing einen unkalkulierbaren Kostenblock ans Bein zu binden. Während des gesamten Produkt-Lebenszyklus ist deshalb die gezielte Einbindung von externen Spezialisten in Marketing wie Vertrieb ein gangbarer Weg: Experten-Know-how wird von Anfang an punktgenau eingebunden. Die eigene Belegschaft braucht nicht aufgestockt zu werden. Die Kosten bleiben kalkulierbar.
Sobald klar ist, dass man sich dauerhaft um das Produkt kümmern kann, geht es an die konkrete Aufbereitung für die Kundschaft. Aus Kundensicht braucht ein erfolgreiches Produkt drei Haupteigenschaften: erstens Nutzen, zweitens Nutzen und drittens Nutzen ? dicht gefolgt von einer einfachen Bedienung.
Ob eine Software nützlich ist, hängt oft stark davon ab, wer sie benutzt. Sind die bestehenden Software-Komponenten sehr eng auf eine bestimmte Zielgruppe zugeschnitten oder übergreifend verwendbar? Die Antwort auf diese Frage zeigt, für welche Anwender das Produkt interessant sein könnte. An dieser Stelle müssen neben der eigenen Intuition möglichst viele Meinungen von praktischen Anwendern aus der potenziellen Zielgruppe mit einbezogen werden. Diese ? und nur diese ? können entscheiden, ob die Software wirklich nützlich und damit kaufenswert ist. Denn es ist gefährlich, sich von der oftmals technik-getriebenen Begeisterung für das eigene Produkt leiten zu lassen. Lieber ein Vorhaben an dieser Stelle ehrlich abbrechen, als später böse Überraschungen erleben.
Testpersonen gibt es überall: Kunden, die vorhandene Software-Komponenten bereits nutzen; Ansprechpartner in guten Partnerfirmen; Freunde und Bekannte. Auf diese Weise können auch ohne großes Marktforschungs-Budget verwertbare Ergebnisse erzielt werden. Es muss jedoch von Anfang an klar sein, dass diese Evaluation auch wirklich durchgeführt wird und hier eine ehrliche Bilanz gezogen wird. Wer mit dem falschen Gerät zum Höhenflug ansetzt, fabriziert schnell eine Bruchlandung.
Für einen erfolgreichen Flug werden folgende Fragen als nächstes beantwortet: Wie viele Mitbewerber tummeln sich im angepeilten Marktsegment und wie positionieren sich diese? Je mehr Mitbewerber im Spiel sind, desto stärkere Argumente sind vonnöten, um sich auf dem Markt zu behaupten. Neben dem vordergründigen Nutzen spielt es also eine besondere Rolle, sich gegen die Mitbewerber abzuheben. Wer allerdings dem isolierten Alleinstellungsmerkmal nachläuft, sucht heutzutage meist vergeblich. Besser ist es, durch eine Kombination von Merkmalen die Einzigartigkeit seines Produkts und damit den Nutzen für seine potenziellen Kunden herauszuarbeiten.
Dazu gehören auch die finanzielle und die emotionale Seite. Während der Preis bei wirklich nützlichen Produkten oft eine Nebenrolle spielt, wird auch beim Kauf von Business-Software emotionaler entschieden, als vielfach angenommen. Mit einer soliden Produkt-Box und aussagekräftigen Materialien wird die Software als wertiger wahrgenommen. Kann außerdem der Nutzen für den Anwender mit einer echten Testversion reibungslos und überzeugend transportiert werden, ist der Entscheider schneller überzeugt. Greif- und Sichtbares verkauft sich einfach besser als virtuelle (Luft?)-Schlösschen.
Doch was bedeutet Software verkaufen für ein Systemhaus? In vielen Fällen heißt das, neben den alten Vertriebsgewohnheiten neue Sichtweisen an Bord zu holen. Neben der geforderten inneren Ausrichtung auf das Produktmarketing, erscheint hier noch ein zweites Thema am Horizont: Vertriebspartner.
»Zum Start der Produkt-Aktivitäten begannen wir mit dem Aufbau unseres Vertriebspartner-Netzwerks«, erklärt FCS-Vertriebsleiter Brand. »Ohne Vertriebspartner würden wir nur einen Bruchteil unseres Markts erreichen. Der Multiplikator-Effekt steigert den Produktumsatz und gleichzeitig bleibt unsere eigene Struktur flexibel. Um den gleichen Umsatz alleine zu erreichen, müssten wir schon eine ziemlich große Vertriebsmannschaft aufbauen.«
Universalrezepte zum Aufbau eines guten Partner-Netzwerks gibt es nicht. Aber Folgendes hilft bei der Suche: Heutzutage ist es leicht, über das Internet nach Partnern zu recherchieren, die thematisch und branchenmäßig zum Produkt passen. Der eigene Recherche-Aufwand lohnt in jedem Fall. Ist doch die elektronische Visitenkarte der beste Weg, sich einen ersten Eindruck vom potenziellen Partner zu verschaffen. Im persönlichen Gespräch wird dann sehr schnell deutlich, ob beiderseits gleiche Vorstellungen für eine Vertriebspartnerschaft vorhanden sind.
Eine wirklich gute Partnerschaft ist von gegenseitigem Geben und Nehmen geprägt. Im regelmäßigen Kontakt zu den Partnern wird nicht erst mittelfristig deutlich, wer es ernst meint und wer einfach nur Produktlinks auf seine Homepage setzt. Die gezielte Förderung der engagierten Partner ist im Gegenzug eine der wichtigsten Aufgaben eines erfolgreichen Partner-Managements. Norbert Schuster, Vorstand Marketing&Vertrieb des Softwareherstellers Pcvisit, fasst es aus seiner Sicht zusammen: »In der gemeinsamen Planung legen wir fest, welche Aktivitäten unsere Partner leisten und wie wir sie dabei unterstützen können. Damit schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe: Auf der einen Seite wird unsere Marketingunterstützung nicht einfach nach dem Gießkannenprinzip frei verteilt. Und gleichzeitig motivieren wir die wirklich engagierten Partner, weiterhin gute Arbeit zu leisten.«
Um aus einem gut funktionierenden Software-Programm ein erfolgreiches Produkt zu machen, braucht man einen langen Atem und ein gutes Kunden- und Partnernetzwerk. Es genügt nicht, eine gelungene Projektarbeit »umzustricken«, einen Flyer zu drucken und einen Hinweis auf die Homepage zu stellen.
Wer denkt bei der Erstellung einer Software-Individualentwicklung schon an eine reibungslose Installationsroutine, verständliche Hilfefunktion und vor allem einen griffigen Produktnamen? Was bei Individualsoftware eher unwichtig ist, steht beim Software-Produkt plötzlich im hell erleuchteten Rampenlicht.
Generell gilt: Alles was nach halbfertigen Produkten aussieht und keinen echten Nutzen auf den ersten Blick erkennen lässt, schreckt potenzielle Käufer eher ab. Neben einer aussagekräftigen Testinstallation und gut aufbereiteten Produktinformationen sind es vor allem Referenzen, die beim Kunden einen guten Eindruck hinterlassen. Besonders in der Anfangszeit sind zufriedene Anwender in ausreichender Zahl Gold wert. Die Streuung des Produkts über Vertriebspartner sorgt schlussendlich dafür, dass die Software in die Breite getragen wird, so dass nicht nur Umsatz, sondern Gewinn erwirtschaftet wird.
Fazit: Erfolg ist nicht allein eine Frage der technischen Eleganz. Vor allem die anwendergerechte Aufbereitung entscheidet über den Erfolg, wenn Software auf den Markt geworfen wird.
Der Autor Markus Tischner ist Inhaber der Firma Frisbee Marketing. Er unterstützt Software-und Systemhäuser über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg: Von der strategischen Markenführung über das operative Markting-Geschäft bis zur Erstellung und Umsetzung von Usability-Konzepten.
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