War bis zur Jahrtausendwende Ethernet in allen Varianten das Schwerpunktthema der IEEE-Projektgruppe 802, so verlagerte sich dieser Schwerpunkt langsam aber stetig in Richtung Funktechnik. Heute arbeiten über zwei Drittel der Experten in dieser Gruppe an der Lösung von Problemen aus dem Wireless-Bereich. Neben der Weiterentwicklung von 802.11 (Wi-Fi) kommt aktuell vor allem 802.16 (Wimax) eine hohe Bedeutung zu.
Die Arbeitsgruppe 802.11 ist auch heute noch führend unter den sieben Funkgruppen von IEEE 802
und koordiniert diese. Im Einzelnen sind dies:
802.11: WLAN (Wireless Local Area Networks),
802.15: WPAN (Wireless Personal Area Networks),
802.16: BWA (Broadband Wireless Access),
802.18: RRTAG (Radio Regulatory Technical Advisory Group),
802.19: CTAG (Coexistence TAG),
802.20: MBWA (Mobile Broadband Wireless Access),
802.21: Hand off (Weitergabe von Funkverbindungen).
Zu diesen sieben Gruppen hat sich im Jahr 2004 eine weitere gesellt, die sich mit Funknetzen im
Frequenzbereich der TV-Netze beschäftigt, nämlich:
802.22: WRAN (Wireless Regional Area Networks).
Am interessantesten erscheint aber die Entwicklung bei 802.16, die im Jahr 2004
Richtfunktechniken ohne Sichtverbindung (NLOS – Non Line Of Sight) verabschiedet hat. Unter dem
Namen Wimax erregt diese Gruppe derzeit erhebliche Aufmerksamkeit und dürfte unsere Netzstrukturen
nachhaltig verändern. (Zu den Fortschritten bei IEEE 802 im Nicht-Funkbereich finden Sie einen
separaten Beitrag in dieser LANline-Ausgabe.)
Der heute gültige WLAN-Standard 802.11 aus dem Jahr 1999 hat erst durch die nachfolgend
verabschiedeten Anhänge wie 802.11a, 802.11b oder 802.11g seine enorme Bedeutung erlangt. Heute
arbeiten acht Gruppen am Ausbau des Standards. Dazu kommen vier "Study Groups" und ein "Call for
Interest", mit dem das Interesse an gemeinsamen Access-Point-Funktionen ausgelotet werden soll.
Hier ist ein Überblick über die wichtigsten Themen:
802.11e "MAC Enhancements" behandelt das Thema Servicegarantien: Im Multimediazeitalter sind
Verfahren notwendig, die dem Anwender Quality of Service (QoS) garantieren. Während Ethernet voll
auf Bandbreite setzen kann, sind die Funktechniken auf QoS angewiesen, da ihre Bandbreite nicht
beliebig vermehrbar ist. Wichtig erscheint auch die Gruppe 802.11n "High Throughput": Neue
Kodierverfahren wie OFDM (Orthogonal Frequency Division Multiplexing) ermöglichen heute enorme
Bitdichten, die eine erheblich ökonomischere Nutzung des Spektrums ermöglichen. Stand der Technik
ist eine Dichte von 4 Bit pro Hz, womit sich zum Beispiel in einem 8-MHz-Kanal 32 MBit/s übertragen
lassen. Zukunftsträchtig erscheint auch das Thema von 802.11p "Vehicular Access": Die Gruppe
beschäftigt sich mit Funktechniken für den Netzzugang in Fahrzeugen.
Ebenfalls mit dem Thema Mobilität befasst sich das Projekt 802.11r "Fast Roaming": Sie
untersucht schnelle Übergabeprozeduren zwischen einzelnen Funkzellen. Ein ganz heißes Thema ist
802.11s "Mesh Networks", das neue Netzstrukturen behandelt. Die heute typische Hub-Struktur wird
sich in Zukunft auflösen – das heißt, die einzelnen Netzteilnehmer werden selbst ein großes
vermaschtes Netz bilden. In diesem Bereich zeichnen sich hochinteressante neue Anwendungen ab, die
mit heutigen Netzen nicht zu realisieren wären. Ein Problem, das mit zunehmender Teilnehmerzahl
immer brisanter wird, soll die Gruppe 802.11t "Performance Prediction" behandeln: Die "
Verschmutzung" des Äthers durch viele Funkanwender (im unlizenzierten Spektrum) lässt kaum noch
Voraussagen darüber zu, welche Bandbreite für die eigene Anwendung zur Verfügung steht.
Schließlich existieren noch vier neue Aktivitäten bei 802.11. Das Projekt 802.11WNG "Wireless
Next Generation" beschäftigt sich mit den Funknetzen der nächsten Generation. Nachdem 802.11b und
802.11g am Markt recht erfolgreich sind und andererseits UMTS in den USA kein Thema ist, wird diese
Frage immer akuter – allerdings weist auch einiges darauf hin, dass sich die 802.16-Aktivitäten ins
WLAN ausweiten könnten. Das Thema Sicherheit bleibt weiterhin ein kritischer Punkt in Funknetzen:
Die Gruppe 802.3ADS "Advanced Security Subgroup" hat sich dieses Problems angenommen und wird
Lösungen in Zusammenarbeit mit 802.1 präsentieren. Auf dem Weg zu vermaschten Netzen kommt der
Zusammenarbeit mit externen Netzen eine immer wichtigere Rolle zu: Lösungen hierfür erarbeitet die
Gruppe 802.3WIEN "Wireless Interworking with external Networks". Schließlich bilden die
Netzwerkmanagementfunktionen ein Studienthema, das von 802.11WNM "Wireless Network Mangement"
angegangen wird.
Das Thema WPAN (Wireless Personal Area Networks) beschäftigt sich mit der Verbindung von
tragbaren Computern. Viele Anwendungen sind heute ohne mobile Endgeräte nicht mehr vorstellbar. Als
Basisstandard hat 802.15 im Juni 2002 den internationalen Bluetooth-Standard übernommen. Auch
802.15 wird mit weiteren Projekten erweitert:
802.15.3 "High Rate" erweitert den Geltungsbereich der WPAN-Spezifikation auf Technologien mit
höheren Bandbreiten. Angedacht sind Bandbreiten im Bereich von 11 MBit/s bis 55 MBit/s mit
besonderem Augenmerk auf geringen Leistungsverbrauch und niedrige Kosten. Speziell zur Untersuchung
alternativer Techniken arbeitet die Gruppe 802.15.3a "Alternate Physical Layers" an neuen
Entwicklungen in den Funktechniken. Die Gruppe 802.15.4 "Low Rate" beschäftigt sich mit
WPAN-Technologien geringerer Bandbreite. Dabei hat man vor allem lange Batterielaufzeiten (Monate
bis Jahre) bei geringer Komplexität im Auge. Auch dieser Standard wird in unlizenzierten
internationalen Frequenzbändern operieren. Mögliche Applikationen sind Sensoren, interaktive
Spiele, intelligente Ausweise, Fernbedienungen und Hausautomation. Neu ist auch hier das Thema "
Netzstrukturen": Unter dem Titel "Meshed Networks" beschäftigt sich 802.15.5 mit dem Aufbau
vermaschter Netzwerke.
802.16 BWA (Broadband Wireless Access), normiert Zugangstechnologien für Breitbandnetze. Der
Basisstandard 802.16 "Wireless MANs" (Metropolitan Area Networks) wurde zusammen mit 802.16.2 "
Coexistence" im Jahr 2001 als amerikanische Norm verabschiedet. 802.16 definiert
Übertragungstechniken für Sichtverbindung (LOS – Line of Sight) in den Frequenzbereichen 10 bis 66
GHz, ist also der Standard für klassischen Mikrowellenrichtfunk. Bei uns typische Frequenzen liegen
im 23-GHz- oder 38-GHz-Band.
Das Wimax-Forum (Worldwide Interoperable Microwave Access) hat diese Technologie aufgegriffen
und promotet sie. Wesentlich war für das Wimax-Forum jedoch die Verabschiedung von 802.16a "
Licensed Frequencies 2-11 GHz" im April 2004. Dieser Standard definiert NLOS-Technologien, also
Verbindungen ohne Sicht (auf Grund von Reflexionen), in lizenzpflichtigen und lizenzfreien Bändern
im Bereich von 2 bis 11 GHz. Wichtige Frequenzen sind hier 3,5 GHz für die lizenzpflichtigen und
5,8 GHz für die lizenzfreien Anwendungen. 802.16c "10-66 GHz Profiles" und 802.16d "2-11 GHz
Profiles" beschäftigen sich mit Profilen für die entsprechenden Systeme. Seit dem 24. Juni 2004
existiert eine neue Ausgabe des Standards 802.16, die den Basisstandard aus dem Jahr 2001 mit den
NLOS-Erweiterungen aus 802.16a und den Profilen in 802.16c umfasst, ohne neue Funktionen
hinzuzufügen.
Eines der Haupteinsatzgebiete für NLOS-Technologie ist in der Anbindung von 802.11-Hotspots an
das Internet zu sehen. Weitere Szenarien sind Campusverbindungen in größeren Unternehmen und – ganz
wesentlich – der Ersatz von DSL-Verbindungen im Zugangsbereich. Während PmP-Richtfunk (PmP: Point
to Multipoint) nur ein paar Kilometer weit sendete, kann der Radius einer 802.16a-Zelle bis zu 50
Kilometer groß sein. Realistisch schätzen Experten die maximale Entfernung auf bis zu 30 Kilometer,
wobei auch Hindernisse zwischen Sender und Empfänger stehen dürfen (im oberen Frequenzbereich von
11 bis 66 GHz ist freie Sicht zwischen Sender und Empfänger gefordert). Die
Übertragungsgeschwindigkeit liegt bei etwa 240 MBit/s pro Basisstation: zum Beispiel sechs Sektoren
à 40 MBit/s. Mit dieser hohen Übertragungsrate ist 802.16 in der Lage, künftig über 1000 klassische
DSL-Verbindungen für Home-Anwendungen abzulösen.
Allein mit diesen Faktoren wäre die Ökonomie von 802.16-Systemen im Vergleich zum früheren
PmP-Richtfunk dramatisch verbessert. Hinzu kommt jedoch, dass durch die Standardisierung das
Investitionsrisiko sowohl für die Herstellerfirmen als auch bei den Betreibern entsprechender
Funknetze deutlich herabgesetzt ist. Die zu erwartende günstigere Kostensituation wird es den
Betreibern letztlich erlauben, interessante Geschäftsmodelle für ihre Kunden zu entwickeln. Hier
entwickelt sich eine dramatische Veränderung unserer Netzinfrastruktur – manche Hersteller (zum
Beispiel Intel) propagieren bereits die Verwendung dieser Technik im Laptop: "Der Centrino der
nächsten Generation wird Wimax integriert haben".
Wesentliche Erweiterungen finden in 802.16e "Mobile Wireless MAN" statt, die einen mobilen
Zugang im Rahmen von 802.16 definiert: Bandbreiten von mehr als 10 MBit/s bei Zellgrößen im Bereich
von einigen Kilometern und Geschwindigkeiten von einigen 100 Kilometern pro Stunde werden
untersucht. 802.16 ist dann nicht nur für statische, sondern auch für mobile Anwendungen gut
geeignet. In der Tat revolutioniert Wimax die Kommunikation – wie es einst Ethernet getan hat. Neu
sind die Managementgruppen 802.16f und 802.16g, die sich zum einen mit der MIB (Management
Information Base) für die Access-Netze beschäftigen und zum andern die so genannte Management Plane
definieren werden.
Die Möglichkeit für mobile Anwendungen von Wimax sehen Experten inzwischen als Fakt an: Obwohl
die wahren Obergrenzen noch nicht demonstriert wurden, erscheinen ihnen Geschwindigkeiten von 300
Kilometer pro Stunde und mehr als realistisch. Zweifel an solchen Erwartungen und vielleicht auch
firmenpolitsches Kalkül führten im vergangenen Jahr zur Gründung von 802.20 MBWA (Mobile Broadband
Wireless Access). Diese Gruppe spezifiziert kostengünstige, spektrumeffiziente
Breitbandzugangsnetze, die weltweit und mobil nutzbar sein sollen. Der geplante Standard adressiert
den mobilen Endanwendermarkt für Internet, Intranet und Firmenanwendungen ebenso wie
Infotainment-Anwendungen. Die Ziele der Gruppe sind:
Verwendung von lizenzierten Bändern unterhalb von 3,5 GHz,
Datenraten (pro Benutzer) von mehr als 1 MBit/s,
Geschwindigkeiten bis 250 Kilometer pro Stunde und
Ausdehnung in der Größenordnung MAN.
An dieser Spezifikation ist deutlich zu erkennen, dass hier eine Technologie normiert werden
soll, die bereits 802.16e zur Verfügung stellt. Die IEEE-802-Forderung nach "Distinct Identity" für
einen neuen Standard hätte die Gründung von 802.20 eigentlich verhindern müssen. So aber kommt es
auf die Stärke der Promotoren an. Nach Einschätzung des Autors ist abzusehen, dass sich letztlich
802.16e durchsetzen wird.
Wichtiger für die Mobilität als dieser Standardisierungskonflikt ist das Thema "Handover", das
die ebenfalls neu gegründete Arbeitsgruppe 802.21 MIHS (Media Independent Handover Services)
behandel. Denn hohen Geschwindigkeiten sind nur dann nutzbar, wenn auch die Übergabe an die nächste
Station klappt. Dies funktioniert bei bekannten Routen, wie sie auf Rennstrecken oder bei
Bahnstrecken vorkommen, recht gut (statisches Handover). Dynamische Routen, wie sie im Autoverkehr
vorkommen, stellen jedoch noch ein ungelöstes Problem dar.
Trotz erheblicher Fortschritte bleibt das Hauptproblem der Funktechniken die begrenzte, nicht
vermehrbare Bandbreite. Dieser Engpass wird einerseits durch eine Erhöhung der Bitdichte
angegangen. Hinzu kommen die in 802.16 definierten NLOS-Funkverfahren, die keine Sichtverbindung
zwischen den Endpunkten erfordern. Mit diesen beiden Entwicklungen ist man in der Lage, komplett
drahtlose Stadtnetze aufzubauen. Die hohe Kapazität der Verfahren gestattet einen Einsatz als
Backbone. Hier entwickelt sich eine echte DSL-Konkurrenz, die nicht nur auf so genannte "Non DSL
Villages" beschränkt bleibt. Mit den Punkten Mobilität und Hand-off-Funktionen sind die
Funk-LAN-Technologien auch gegenüber UMTS sehr gut positioniert.
Das eigentliche Problem der Wireless-Technologien ist allerdings der Mangel an lizenzfreien
Bändern. Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden, und eine Lizenzposse wie bei UMTS sollte
sich nicht wiederholen. Weltweit wird das 3,5-GHz-Band für professionelle 802.16-Anwendungen
verwendet – es bleibt zu hoffen, dass es auch in Deutschland bald kostengünstig für die
Wimax-Technologie zur Verfügung steht.