Im Sommer dieses Jahres wird Ethernet wieder einen wichtigen Schritt nach vorne machen: die 10-Gigabit-Variante der Netzwerktechnik soll auf Basis von Kupferkabeln als echter "10GBase-T"-Standard (IEEE 802.3an) ratifiziert werden. Die Optimisten der Branche erwarten damit einen sprunghaften Anstieg der Port-Verkäufe - ähnlich wie es vor einigen Jahren bei der Einführung des Kupferstandards für Gigabit Ethernet (GbE) der Fall war. Die meisten Hersteller sehen die Sache allerdings eher pragmatisch: Mit fallenden Preisen werde es zwar eine deutliche Zunahme der Verkäufe geben - jedoch eher in Form eines kontinuierlichen Wachstums. Zudem sollen Verfügbarkeits- und Skalierbarkeitsaspekte im Netz an Bedeutung gewinnen.
So ganz vergleichbar ist die Situation bei GbE und 10GbE zum Zeitpunkt der Verabschiedung eines Kupferstandards nicht. Wichtigster Unterschied: Während Anwender mit GbE weiterhin die seit vielen Jahren etablierte Kategorie-5-Verkabelung (Cat-5) einsetzen konnten, zwingt 10GbE zum Umstieg auf ein neues Verkabelungssystem, zumindest wenn es mehr als zehn Meter in 10-GBit/s-Speed zu überbrücken gilt. Auch wenn dieses – zur Auswahl stehen voraussichtlich ein modifiziertes Cat-6 und Cat-7 – wie Cat-5 auf Kupferkabeln basiert, gehen damit Investitionen einher, die weit über den Kauf der aktiven Komponenten hinausgehen. Und auch die Switch-Ports selbst sollen zumindest am Anfang deutlich teurer sein als derzeitige CX-4-Lösungen (Interims-Kupferstandard für Distanzen bis maximal 20 Meter). Diese sind derzeit bereits für unter 1000 Euro zu haben. So geht zum Beispiel SMC davon aus, dass der neue Standard eine Multichiplösung sein wird. "Das macht die Sache zunächst einmal ziemlich teuer", so der bei SMC für Switching-Produkte zuständige Produktmanager Iain Kenney, "aber natürlich werden die Preise sehr schnell fallen." Auch Foundry glaubt nicht, dass 10GBase-T-Produkte preismäßig vom Start weg mit CX-4 konkurrieren können werden.
Es gibt jedoch noch einen weiteren Punkt, der die Euphorie etwas bremst: der für Juli dieses Jahres angekündigte 10GBase-T-Standard - Insider sehen diesen Termin keineswegs garantiert und sprechen vorsichtiger von der "zweiten Hälfte dieses Jahres" – wird nicht die endgültige Standardfassung sein. Vielmehr beginnt zu diesem Zeitpunkt eine "Vote-Zeit" von bis zu zwei Jahren, in der die Teilnehmer des IEEE-Konsortiums noch Gestaltungswünsche einreichen können. Unter Umständen kann es in dieser Periode noch zu kleineren Änderungen des Standards kommen.
"Wir gehen derzeit jedoch davon aus, dass der finale Standard Mitte 2007 verabschiedet wird", so Stephen Rommel, Business Development Manager Procurve Networking Business bei Hewlett-Packard. "Sehr wahrscheinlich wird es während der Vote-Zeit bereits erste 10GBase-T-Produkte von verschiedenen Herstellern geben - diese basieren jedoch noch nicht auf dem finalen Standard", warnt Rommel. HP hat Mitte 2004 das Enterprise-Business von Riverstone übernommen und damit sein 10GbE-Geschäft ausgebaut. Riverstone konzentriert sich seit dem wieder auf sein Kerngeschäft - Lösungen für Carrier- und Service-Provider.
HP gehört mit seiner Procurve-Division sicher nicht zu den Vorreitern im 10GbE-Markt. Vielmehr ist das Unternehmen zusammen mit Nortel, Huawei und jetzt auch Neueinsteigern wie Allied Telesyn und SMC eher den Herausforderern zuzurechnen. "An der Spitze des Markts tummelt sich mit einem globalen Marktanteil von über 70 Prozent - gemessen an den verkauften Ports - unangefochten Cisco", so Peter Hulleman, Research Manager bei IDC. An zweiter Stelle folgt nach seinen Analysen Foundry, jedoch stark bedrängt von Force10, einem noch vergleichsweise jungen Unternehmen mit ähnlicher Stoßrichtung wie Foundry. Extreme Networks als weiterer namhafter Player sei im 10GbE-Feld bereits deutlich abgeschlagen. Insgesamt ist der 10GbE-Markt laut Hulleman noch recht klein, auch wenn die Port-Verkäufe 2005 im Vergleich zu 2004 deutlich angestiegen sind - in Deutschland beispielsweise von 2800 auf 14.200 (entspricht einer Steigerung um 416,4 Prozent). Im Jahr 2008 soll in Deutschland nach den Prognosen von IDC mit 152.700 Stück gut die zehnfache Menge an 10GbE-Ports verkauft werden wie 2005. Auf globaler Ebene lagen die Port-Verkäufe 2005 laut einer Studie der Dell’Oro Group bei rund 175.000 - Steigerungen um das Acht- bis Neunfache sind prognostiziert.
10GbE kommt derzeit für Aufgaben zum Einsatz, für die der neue Kupferstandard kaum relevant ist - in der Telekommunikation beispielsweise für den Aufbau von Metronetzen (Singlemode Fiber), in Unternehmen zur Bildung von Serverfarmen und zur Anbindung von Speichersystemen. Stehen die Server im gleichen Raum, reicht für die Kopplung in der Regel eine Kupferverbindung nach CX-4-Standard. Ansonsten kommen je nach Entfernung Multi- oder Singlemode-Fiber-Verbindungen zum Einsatz. Ähnliches gilt für die Speicher-anbindung. In diesen Einsatzszenarien kommen die meisten Anwender mit den aktuell verfügbaren 10GbE-Lösungen sehr gut zurecht. Der 10GBase-T-Standard bringt hier nach Einschätzung Hullemans zwar einen gewissen Flexibilitätsgewinn, löst aber keinen signifikanten Bedarfsstau. In diesen klassischen 10GbE-Einsatzbereichen ist also durch den neuen Standard kein Absatzsprung für 10GbE-Produkte zu erwarten.
Der könnte eher durch einen entsprechenden Ausbau der LAN-Backbones in den Unternehmen kommen. Doch auch hier sehen die Hersteller den Druck, auf 10GbE aufzurüsten, zwar zügig, aber nicht schlagartig anwachsen: Obwohl durch den rapiden Preisverfall bei GbE inzwischen viele Endgeräte mit GbE ausgestattet seien, nutze derzeit nur ein sehr geringer Prozentsatz die hohe Geschwindigkeit auch tatsächlich. Ein Großteil arbeite stattdessen noch mit Fast Ethernet. Neue Applikationen, die GbE bis zum Desktop und damit auch ein schnelleres Backbone erfordern, warten bereits in der Pipeline. An erster Stelle nennen die Hersteller die Integration von Sprache und vor allem Video in die lokalen Netze. Auch schnelle WLAN-Access-Points und zunehmend WLAN-Grids (flächendeckende WLAN-Raster) erzeugen eine signifikante Extralast, die der Backbone zu verarbeiten hat. Mit den künftigen MIMO-WLANs (Multiple Input, Multiple Output), die Daten mit 250 MBit/s und mehr übertragen, und mit Voice-over-WLAN soll sich das Problem noch deutlich verschärfen.
Performance allein ist jedoch nicht das allein selig Machende, wenn man dem LAN weitere, zum Teil kritische Anwendungen auflädt. Gefordert sind hier gleichzeitig Konzepte, mit denen sich an erster Stelle Verfügbarkeit und Skalierbarkeit verbessern lassen.
Die Stromversorgung über das Ethernet-Kabel (Power over Ethernet, PoE) beispielsweise gewinnt
mit der Integration von IP-Telefonen dramatisch an Bedeutung. Der PoE-Standard des IEEE-Konsortiums
(802.3af) deckt zwar auch Gigabit Ethernet ab, aber die meisten Hersteller bieten 802.3af bislang
erst im Rahmen von 10/100-Links an. Zum einen ist der Bedarf für PoE über Gigabit Ethernet noch
nicht besonders hoch (wenn auch im Zuge der eben erwähnten neuen Anwendungen rasch ansteigend), zum
anderen ist die technische Realisierung erheblich anspruchsvoller und kostspieliger als für
10/100-MBit/s- Ethernet.
Neben Cisco (unter anderem mit den Enterprise-Switches der Catalyst-4500-Serie) verfügen heute
beispielsweise Foundry mit den Edge-Switches der Fastiron Edge X-Series und HP mit seinen
Procurve-Switches der 5400- und 3500-Serien über 10GbE-Lösungen mit PoE. Die neuen Foundry-Switches
bieten zudem redundante, im laufenden Betrieb austauschbare Netzteile mit Lastverteilung. Ein
besonders interessanter Punkt: Die Geräte sollen erkennen, welche IP-Telefone mit ihren
Switch-Ports verbunden sind, und sich entsprechend einstellen. Die 10GbE-Uplinks der Edge-Switches
sind für Fiber-Anschlüsse ausgelegt.
Flexible, bedarfsgerechte Lösungen sind angesichts des außerordentlich starken Ökonomiedrucks in
der IT unabdingbar. Heute sind viele Unternehmen bei Erreichen einer Kapazitätsgrenze oft
gezwungen, komplette Geräte auszutauschen. Dies wiederum zieht meist umfangreiche Änderungen der
Netzwerkarchitektur nach sich. Die Alternative, die einzelnen Komponenten von Anfang an auf die
höchsten zu erwartenden Anforderungen auszulegen, scheitert an Budgetlimits. Mit der Intelligent
Resilient Framework Technology (IRF) stellt Huawei zumindest für die Geräte der Quidway-Serien
S6500 und S5600 eine Technik bereit, die diese Probleme eliminieren soll. Bis zu acht Switches
lassen sich zu einem ausfallsicheren Distributed Fabric zusammenschließen. Da sich im Normalbetrieb
die Bandbreiten der einzelnen Switches addieren, lassen sich Erweiterungen sehr einfach vornehmen.
Fällt ein Bauteil aus, soll eine andere Komponente innerhalb weniger Millisekunden deren Funktion
übernehmen. Etwas Ähnliches gibt es zum Beispiel mit "Stackwise" bei Cisco und mit "Fast" bei
Nortel – in beiden Fällen jedoch mit einem proprietären Interconnection-Verfahren. HP geht
Verfügbarkeits- und Skalierbarkeitsfragen im Rahmen seiner Adaptive-Edge-Architektur an. Extreme
Networks legt mit seinem Gespann aus Black-Diamond-Core-Switches und Summit-Edge-Switches ebenfalls
großen Wert auf Skalierbarkeit – allerdings zur Zeit primär mit Zielrichtung Carrier- und
Provider-Markt. Eine Spezialität ist hier unter anderem die Unterstützung von Carrier Ethernet.
Die Umrüstung von GbE auf 10GbE ist mit Sicherheit kein Routinejob, wie es die beiden
vorangegangenen Geschwindigkeitssprünge vielleicht waren. Der kommende Kupferstandard 10GBase-T
wird den Markt zwar sicher beleben – ein Massenmarkt, wie er nach Verabschiedung des
GBase-T-Standards für GbE in Windeseile entstand, ist aber vorerst nicht in Sicht.