Nicht nur für Konzerne, sondern auch für Mittelständler ist es sinnvoll, die IT-Serviceorganisation an ITIL (IT Infrastructure Library) auszurichten. Denn ITIL basiert auf Prozessen, die auf bewährte Praxisbeispiele zurückgehen. Von diesem Know-how kann jedes Unternehmen profitieren, wenn es ein ITIL-Projekt mit dem richtigen Fokus angeht. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) haben aber nicht das Budget und die Mitarbeiterzahl, um ein komplettes ITIL-Projekt durchzuführen. Deshalb müssen sie mehrere Funktionen auf einen Mitarbeiter übertragen, die Anzahl der eingesetzten ITIL-Prozesse reduzieren und diese vereinfachen.
ITIL bietet Best Practices (bewährte Abläufe) für das Management der IT-Infrastruktur und hat
sich als Grundlage für die Planung und Lieferung von IT-Services fest etabliert. Mit dem
ITIL-Konzept bekommt der mittelständische Betrieb eine Methode an die Hand, seine IT-Prozesse
qualitativ zu verbessern. Damit erhöht sich gleichzeitig auch seine Chance, unter
Compliance-Aspekten (Einhaltung gesetzlicher Vorgaben) besser bewertet zu werden. Mit
entsprechenden IT-Werkzeugen, die ITIL-Ziele unterstützen und Prozesse automatisieren, kann er
zudem langfristig Kosten sparen.
Ein augenscheinlicher Vorteil, den KMUs durch den Einsatz von ITIL erhalten, ist die anerkannte
Dokumentation ihrer IT-Services. "Mal eben auf die Schnelle" IT-Services für sich selbst zu
analysieren ist damit passé. Hat ein Unternehmen seine IT-Prozesse und -Services analysiert und
dokumentiert, erkennt der Verantwortliche auch, wo sich diese optimieren lassen. Ab diesem Punkt
wird die Frage interessant, ob und auf welchem Feld IT-gestützte Managementwerkzeuge bei der
Effizienzsteigerung helfen können.
Auch die traditionell knappe Personaldecke bei KMUs sollte kein Hinderungsgrund sein: Die Praxis
zeigt, dass ITIL-Projekte nicht unbedingt ein Projektteam mit zehn oder mehr Mitarbeitern
benötigen, sondern dass auch zwei bis drei Mitarbeiter das Projekt zum Erfolg führen können.
Ein Mittelständler würde ITIL allerdings sofort den Rücken kehren, wenn ihm die acht Bände
umfassende komplette ITIL-Beschreibung als Projektrichtlinie auf den Tisch gelegt würde, die er
dann eins zu eins umsetzen soll. Stattdessen steht ITIL für KMUs als ein kostenloser,
praxiserprobter Projektleitfaden – im Original "ITIL Small-Scale Implementation" genannt – bereit,
der nach dem Leitsatz "Beschränkung auf das Wesentliche" mit Leben gefüllt wird. Darin findet der
IT-Verantwortliche die Beschreibung oder Anregungen für die Beschreibung seiner IT-Serviceprozesse,
mit denen er in der Regel mit Kopieren und Einfügen eigene, ITIL-konforme Prozessbeschreibungen
anfertigen kann. Die gebotenen Formulierungen berücksichtigen dabei alle Serviceaspekte.
Der Vorteil des ITIL-Leitfadens gegenüber einem unstrukturierten Vorgehen ist offensichtlich: Es
ist wesentlich einfacher, aus einer Vorlage Passagen herauszustreichen, die für das eigene
Unternehmen unwichtig sind, oder die Beschreibung von Prozessen zu modifizieren, die im eigenen
Unternehmen anders funktionieren, als eine Servicedokumentation komplett neu zu schreiben. Mit dem
Projektleitfaden sind Mitarbeiter in der Lage, ohne externe Hilfe eine individuelle
ITIL-Dokumentation anzufertigen, die später als Grundlage für die Zertifizierung durch einen
Auditor dienen kann.
Ein wichtiger Erfolgsfaktor für ITIL ist der Punkt, wie hoch das ITIL-Projekt im Unternehmen
angesiedelt wird. Auch bei KMUs sollte das Management das ITIL-Projekt gezielt fördern. Treibende
Kraft ist in der Regel der IT-Manager oder der IT-Verantwortliche aus der Geschäftsführung. Denkbar
ist aber auch, dass zum Beispiel ein Manager aus dem Produktmarketing, der den Customer Support
optimieren will, das ITIL-Projekt verantwortet.
Vor allem sollte man ITIL nicht als starres Korsett verstehen: Der Mittelständler kann
pragmatisch vorgehen und beispielsweise ITIL-Teilbereiche ausklammern oder in den Hintergrund
rücken, wenn sie mit der eigenen Unternehmenspraxis nicht in Einklang zu bringen sind. Stattdessen
kann er sich darauf konzentrieren, alle wichtigen Einstandsgrößen abzubilden. Dabei lassen sich
Funktionen auch zusammenfassen oder weniger wichtige Funktionen ausblenden.
Für KMU empfiehlt sich, mit dem ITIL-Bereich Service Support, konkret mit den Unterpunkten
Incident-, Problem- und Configuration-Management zu starten. Sie versprechen einen raschen
Projekterfolg, da die Implementierung meistens schnell erfolgt und alle Beteiligte sie gut
akzeptieren.
Das Incident-Management ist ein Kernthema im IT-Service-Management. Es erfordert Priorität, weil
ein Incident (Vorfall, Abweichung vom Normalfall) in der Regel mit der Störung des Geschäftsablaufs
verbunden ist. Einen Störfall meldet zum Beispiel ein interner Kunde, also ein Mitarbeiter des
Unternehmens, der nicht auf seine E-Mails zugreifen kann. Oder ein externer Kunde reklamiert ein
Produkt oder eine Dienstleistung des Unternehmens. Beide Incidents sind Beispiele für einen
Support-Fall, wobei der erste von einem IT-Mitarbeiter abzudecken ist, der andere vom Customer Care
Center. Die IT-Werkzeuge für die Abbildung und Bearbeitung der Incidents können jedoch identisch
sein.
Ein anderes Feld, das sich als nächster Schritt in Richtung ITIL anbietet, ist das
Change-Management. Es beschäftigt sich mit Änderungen, die unternehmensweit notwendig sind, damit
Systeme (wieder) reibungslos funktionieren. Alle Changes wie auch alle Incidents gilt es im
Unternehmen zu dokumentieren. Dies ist die Aufgabe des Problem-Managements, das damit auch die
Grundlage für eine Wissensbasis schafft, die die Support-Mitarbeiter im Fall neuer Support-Anfragen
bei der Lösungsfindung unterstützt.
Das Incident-Management benötigt einen Helpdesk – bei ITIL weiter gefasst und Service-Desk
genannt -, der Trouble Tickets aus telefonischen oder E-Mail-Anfragen sowie aus dem Self-Service
generiert und verfolgt. Zudem ist zu dokumentieren, welche Lösungen der Service-Desk auf welche
Weise bereitgestellt hat. Der Übergang zum Change-Management ergibt sich, wenn identische Incidents
vermehrt auftreten und der Änderungsbedarf somit offensichtlich ist.
Tools für das Incident-Management findet ein KMU zum Beispiel in Lösungen für das
Desktop-Management. So können Administratoren über Remote Control den Rechner eines Mitarbeiters
übernehmen, um einen Incident genauer zu inspizieren oder Fehler direkt zu beheben. Per
Softwareverteilungslösung installieren sie zudem einzelne Komponenten oder neue Softwareversionen,
wenn sich gezeigt hat, dass das Problem alle Rechner im Unternehmen betrifft.
Die Support-Vorgänge steuert der Service-Desk, der als zentraler Leitstand alle Funktionen
zusammenführt und überwacht. So kann der Administrator aus seiner Konsole mit dem aktuellen Vorfall
per Mausklick in einer identischen Benutzeroberfläche zu Remote Control, Softwareverteilung oder
Inventarisierung beziehungsweise Asset-Management wechseln. Zudem sammelt eine zentrale Datenbank
alle Vorgänge und Bearbeitungsschritte. Mitarbeiter im Service-Desk können dieser Datenbank eine
weitere Lösungsbeschreibung oder Dokumente beispielsweise von Herstellern hinzufügen. In einem
abschließenden Schritt lassen sich die Ergebnisse aus dem Incident-Management in das
Problem-Management überführen. Der Service-Desk kann zusätzlich eine effiziente FAQ-Datenbank
aufbauen: Vorgänge, die abgearbeitet und sauber dokumentiert sind, lassen sich in eine
FAQ-Datenbank kopieren und stehen dann nicht nur intern den Servicemitarbeitern zur Verfügung,
sondern auch den Endbenutzern. Diese können sich dann per Schlagwort- oder Satzformulierungssuche
in FAQ-Dokumenten selbst informieren.
Typische Anwendungsfälle könnten wie folgt aussehen:
Beispiel 1: Ein Anwender informiert telefonisch einen Support-Mitarbeiter, dass er nicht mehr
drucken kann. Der Support-Mitarbeiter recherchiert zunächst in der CMDB (Configuration Management
Database) den Typ und die Ausstattung des Anwender-PCs und des angeschlossenen Druckers. In der
FAQ-Datenbank sieht er, dass der Fehler in dieser Konfiguration bereits mehrfach aufgetreten ist
und sich am besten durch die Installation eines neuen Druckertreibers beheben lässt. Diesen
Druckertreiber kann er über Remote Control oder die Softwareverteilung auf den PC des Anwenders
aufspielen, sodass der Incident direkt behoben ist.
Beispiel 2: Ein Anwender informiert einen Support-Mitarbeiter, dass er in seinem SAP-System
nicht mehr buchen kann. Der Support-Mitarbeiter sieht, dass ein Incident in dieser Konfiguration in
der FAQ-Datenbank nicht bekannt ist. Er recherchiert deshalb via Internet in Support-Datenbanken
von SAP und findet eine Lösung in Form eines Patches, mit der der Anwender weiterarbeiten kann. Der
Support-Mitarbeiter dokumentiert den Incident und dessen Behebung. Gleichzeitig schlägt er als
vorbeugende Maßnahme eine Änderung in der Konfiguration (Change Request) vor: Alle Mitarbeiter, die
mit derselben Konfiguration arbeiten und bei denen der Incident bisher noch nicht aufgetreten ist,
sollen diesen Patch ebenfalls per Softwareverteilung erhalten. Dazu recherchiert er in der CMDB,
welche Anwender betroffen sind und stellt anschließend den Patch in eine Verteilgruppe für die
Softwareverteilung.
Ein großer Vorteil eines ITIL-konformen Vorgehens liegt darin, dass es bereits im Unternehmen
vorhandenes Wissen für alle Mitarbeiter zugänglich macht. Dies vermeidet, dass die
Support-Abteilung gleiche Problemstellungen wieder und wieder lösen muss und "das Rad zum x-ten Mal
neu erfindet". Grundlage dafür bietet eine leistungsfähige zentrale Servicedatenbank. Sie basiert
auf vordefinierten Formularen, die bereits alle Felder enthalten, die auch KMUs benötigen, um
Probleme zu definieren oder eine leistungsfähige FAQ-Datenbank aufzubauen. Eine solche zentrale
Datenbank ermöglicht dem Support-Mitarbeiter, der mit den Anfragen beschäftigt ist, eine schnellere
und effektivere Vorgehensweise.
So bekommen KMUs mit ITIL und einer zentralen Datenbank auch Probleme in den Griff, die aus der
Mitarbeiterfluktuation entstehen. Früher drohte das Management der IT-Infrastruktur mitunter
zusammenzubrechen, wenn ein IT-Administrator das Unternehmen verließ und keine Dokumentation über
die Infrastruktur und die Support-Vorgänge hinterließ. Mit der Dokumentation und der zentralen
Datenbank aber kann sich ein neuer IT-Mitarbeiter einfacher in das System einarbeiten.
Zudem liefert ITIL einem KMU automatisch und kostenlos passende Qualitätskriterien (Key
Performance Indicators, KPIs), mit denen es seine Serviceprozesse überprüfen und bewerten kann.
KPIs zeigen auf einen Blick, wie gut der jeweilige Service läuft. Sie erleichtern ein Benchmarking
mit anderen Unternehmen, weil die Vergleichbarkeit der Messwerte durch den gemeinsamen ITIL-Rahmen
automatisch gegeben ist.
Zu den vordefinierten KPIs im Incident-Management gehören beispielsweise die Gesamtzahl der
Incidents, die Zeit bis zur Fehlerbehebung und die bearbeiteten Incidents pro Support-Mitarbeiter.
Die Gesamtzahl von Incidents erlaubt Rückschlüsse auf die Stabilität der IT-Infrastruktur, die
Auswertung der Entwicklungen beim Auftreten von Incidents wiederum gibt Einblick in die Qualität
des Problem-Managements. Die Angabe der Anzahl von Incidents pro Support-Mitarbeiter unterstützt
zudem die Analyse der Effizienz und Auslastung der Personalressourcen.
ITIL bietet einem KMU die Chance, mit überschaubarem Aufwand ein konsequentes
IT-Service-Management zu betreiben. Dabei kann das Unternehmen die IT-Services auf seine
gegenwärtigen und zukünftigen Anforderungen und die seiner Kunden ausrichten, die Qualität der
IT-Services verbessern und langfristig die Servicekosten reduzieren.