Seit der Veröffentlichung der Version 3 des Servicemanagementkonzepts ITIL (IT Infrastucture Library) geistert ein neues Schlagwort durch die Unternehmen: SKMS (Service-Knowledge-Managementsystem). Was steckt dahinter, wie lässt sich Wissensmanagement praxisnah in Serviceorganisationen implementieren, und welche Effekte sind zu erzielen?
Zwei Kernfragen gilt es am Service-Desk zu beachten: Wie lässt sich fundiertes Produkt- und
Service-Know-how im First Level Support möglichst unabhängig von den Personen bereitstellen? Wie
transferiert man das von Experten generierte Wissen auf die Desktops der Serviceagenten? Diesem
Anspruch versuchen Organisati-onen mit weitgehender Standardisierung gerecht zu werden – im Bereich
der Prozesse, aber auch der Inhalte. Mit dem De-facto-Standard ITIL liegt zu Prozessen und
Funktionen ein Rahmen vor, der in den Unternehmen standardisierende Wirkung zeigt. Dieser Beitrag
fokussiert auf die Inhalte und die Integration des Knowledge-Managements in die
ITIL-Landschaft.
Es geht darum, das dokumentierte Lösungswissen optimal zu organisieren. Dabei werden zentrale
Anforderungen des Service-Desks angesprochen: Ziele sind unter anderem, die Erstlösungsfähigkeit zu
erhöhen, die Call oder Incident Time zu reduzieren sowie einmal gelöste Probleme und damit
verbundene Lösungen aufzufinden, wiederzuverwenden und so die kostenintensive und frustrierende
Mehrfachanalyse zu vermeiden. Zudem gilt es, die Problem- und Lösungsdokumentation zu unterstützen
und ein angestrebtes Qualitätsniveau im IT Service Support durchgängig sicherzustellen.
Wissen ist an Personen gebunden. Umso mehr wird die hohe Fluktuation im Service Support zum
Problem: Die Belastung der Experten steigt ständig, weil die Servicemitarbeiter im First Level zu
viele und zu banale Fragen an sie weiterleiten. Die Schwierigkeit besteht aber nicht allein darin,
wie diese Incidents weitergereicht werden, sondern dass zu viele davon die erste Serviceinstanz
passieren müssen. Eine rein prozessorientierte Software kann deshalb das Grundproblem einer
mehrstufigen Servicestruktur nicht lösen: das des Wissenstransfers von den Experten zu den
Serviceagenten. Denn je mehr Wissen schon im First Level Support vorgehalten wird, desto mehr
Fragen können die Mitarbeiter bereits dort abschließend beantworten.
Die Mitarbeiter im First Level Support benötigen als Kernkompetenz vor allem Freundlichkeit,
Experten dagegen das spezifische Fachwissen. Während bei der ersten Instanz Wissen hauptsächlich
abgefragt wird, müssen Experten genau dieses Wissen hinzufügen. Wenn Agenten und Experten ihr
Wissen untereinander nur unzureichend und vor allem nicht strukturiert teilen, führt dies im
Ergebnis unter Umständen beispielsweise dazu, dass Fachleute die gleichen Probleme mehrfach
analysieren und lösen. Oder ein Kunde erhält unterschiedliche Auskünfte auf die gleiche Frage oder
gar eine falsche Antwort. Die Folgen können gerade in sensiblen Bereichen wie der Medizin
gravierend sein. Service-Support-Organisationen, die Knowledge-Managementanwendungen nutzen, haben
bei den genannten Themen deutliche Verbesserungen erzielt.
Das ITIL-Konzept des IT-Service-Managements basiert auf einem produktunabhängigen Prozessansatz,
der "Best-Practices"-Erfahrungen vermittelt und für kleine und große IT-Organisationen adaptierbar
ist. Die Verbreitung von ITIL hat dazu geführt, dass sich Best-Practice-Prozesse und
-Organisationsformen für die Aufnahme und die Beantwortung von Anfragen herausgebildet haben.
Dieser standardisierte und vielfach optimierte Ablauf findet sich mittlerweile in fast jeder
Service-Support-Organisation. Als Leistungsindikator wird zumeist die Problemlösungsdauer gemessen,
da sie aussagt, ob eingeleitete Maßnahmen Prozessdurchlaufverbesserungen bringen und ob die
gegebene Organisation auch ein größeres Call-Volumen handhaben kann.
Mit der 2007 publizierten ITIL-Version 3 ging ein Paradigmenwechsel einher: Statt als Frameworks
mit den beiden Disziplinen Service Support und Service Delivery stellen sich die Inhalte von ITIL
nun als Lebenszyklusmodell dar, die in fünf Büchern beschrieben sind. Eines der wichtigen neu
aufgenommen Themen ist das Knowledge-Management. Das oberste Ziel des Wissensma- nagementprozesses
ist es, unterschiedliche IT-Daten in nutzbare Informationen und Erkenntnisse umzusetzen. Daür
stellt ITILv3 das Konzept des Service-Knowledge-Managementsystems vor. SKMS bezeichnet ein Tool-Set
für die Speicherung, Aktualisierung, Anzeige und Steuerung von Daten aus unterschiedlichen Quellen,
zum Beispiel Daten aus dem Service-Desk, von Änderungen, aus dem CMS (Content-Managementsystem),
der CMDB (Configuration-Management Database), von Releases, Applikationen, wichtigen
Business-Services und den sie unterstützenden IT-Servicekomponenten wie auch Main-frames.
Das SKMS kann als umfassende Metadatenbank Daten aus mehreren physischen Beständen
zusammenführen und enthält einen Präsentations-Layer für die Darstellung verschiedener Sichten und
Inhalte. Durch die Verknüpfung der Daten entstehen aus reinen IT-Daten wertvolle konsistente
Informationen, auf dessen Basis Verantwortliche rasch Lösungen bereitstellen oder Entscheidungen
treffen können.
Am Service Desk als "Point of Contact" schafft der intelligente Zugriff auf strukturierte und
unstrukturierte Daten auf allen Ebenen des Service-Lifecycles eine effektive
Informationsversorgung. Er unterstützt den Informationsfluss zum Beispiel bei der Recherche
geeigneter Skills für ein Projekt, bei der Suche nach Verträgen für das Risikomanagement, nach
Qualitätsdokumenten, einer Beschreibung der Datensicherung oder nach Unterlagen, wie ein
40-köpfiger Service-Desk auszubilden ist.
Für den Aufbau eines Wissensmanagements ist die strukturierte Aufarbeitung des Wissens und das
Etablieren der Infrastruktur, der Prozesse und Rollen von zentraler Bedeutung – sowie die Schaffung
persönlicher Vorteile für jeden Anwender. Um zum Beispiel mit der Aktualität des Systems auch den
Prozess des Wissenstransfers lebendig zu halten, müssen die verschiedenen Rollen permanent
interagieren: von den Autoren über das Infoteam und die Fachabteilungen bis hin zum Management.
Diese Themen sind im Knowledge-Managementkapitel des ITIL-Buchs "Service Transition"
beschrieben.
Wenn die First Level Support Group eine zunehmende Anzahl von Anfragen durch den Einsatz von
Knowledge-Management direkt lösen kann, sinkt die durchschnittliche Resolution Time (Lösungszeit).
Die anfragenden Anwender erhalten schneller eine passende Lösung und können im Fall von Incidents
wieder schneller produktiv werden. Kunden von IT-Dienstleistern bietet dies eine gleichmäßige
Servicequalität. Diese Servicekonsistenz bedeutet nicht nur die garantierte Annahme des Calls nach
einer bestimmten Anzahl von Klingeltönen: Endanwender erwarten heute, dass sie dieselbe
qualifizierte und richtige Antwort erhalten, selbst wenn sie mit diversen Personen im Service-Desk
in Kontakt treten.
Falls ein Support-Spezialist einen Incident nicht lösen kann, muss sichergestellt sein, dass der
übernehmende Serviceexperte über die gleichen Informationen und Lösungsfähigkeiten verfügt und
damit eine übergangslose Servicequalität gewährleistet ist. Gerade die Unterstützung der
Lösungsdokumentation durch Know-ledge-Management hilft dabei, erfasste Lösungen vor der
Veröffentlichung mittels eines Review- und Publishing-Prozesses auf einem gleichbleibend hohen
Qualitätsniveau zu sichern. Knowledge-Management steigert die Effizienz auf mehrfache Weise:
verkürzte Problemsuche in der Known Error Database oder anderen
Datenbanken,
Zeitgewinn beim Identifizieren von Problemen mittels Diagnoseleitfäden,
Problemaufnahme, -analyse und -lösung erfolgt nur einmal,
die Rückrufquote sinkt nachhaltig,
schnellere Produktivsetzung neuer Servicemitarbeiter,
Unterstützung bei der – qualitativ verbesserten – Lösungsdokumentation,
Erhöhung der Endanwenderzufriedenheit,
Lösungen für ein größeres Themenspektrum,
größere Bandbreite von Anfragen ohne zusätzliche Schulungsmaßnahmen,
passende Antworten und Services in hoher Qualität,
First Level Support Groups können mehr Anfragen zufriedenstellend beantworten,
die durchschnittliche Resolu- tion-Time sinkt, und
Kunden von IT-Dienstleistern erhalten ein gleichmäßiges Qualitätsniveau
hinsichtlich der Beantwortung ihrer Anfragen.
Für das Incident-Management ist vor allem eine rasche Versorgung mit aktuellen Informati-onen
erfolgskritisch. Das Manko vieler Wissensmanagementvorhaben – mangelnde Messbarkeit des
Nutzenpotenzials – ist hier nicht zu befürchten: Es gibt eine Reihe klar messbarer Parameter, zum
Beispiel die Lösungsquote im First Level Support oder die Anzahl der Tickets pro
Service-Desk-Mitarbeiter. Metriken im Bereich Qualität sind beispielsweise die Anzahl der
Beschwerden oder die Verteilung von Spezialistenwissen auf alle Serviceagenten. Hier greifen ITIL
und Six Sigma als konvergente Standardisierungsmaßnahmen für Prozesse und Inhalte ineinander.
Neben dem Produktivitätsgewinn der Serviceagenten durch signifikant beschleunigtes Incident
Handling ist ein funktionierender Self-Service nach ITILv3 ein weiteres zent-rales Kriterium für
den Praxiserfolg. Die Selbsthilfe der Endanwender scheiterte bislang an Faktoren wie mangelnder
intuitiver Bedienbarkeit und an der in der Vergangenheit oft nicht gegebenen Medienakzeptanz.
Voraussetzungen für funkti-onierende Selbsthilfe sind zudem eine Integration des
Knowledge-Managements in den Service-Desk sowie eine hinreichende Breite und Tiefe der für die
Endanwender abrufbaren Inhalte in der Knowledge Base (Wissensdatenbank).
Erfahrungsgemäß besteht meist nur ein sehr begrenztes Zeitfenster ("Window of Opportunity"), um
Anwender und Kunden via Knowledge-Managementunterstützung im Self-Support und Self-Service zu
überzeugen. Es gilt, möglichst viele Anfragen stellenden Anwender dazu zu bewegen, zunächst zu
versuchen, sich selbst zu helfen, bevor sie zum Telefon greifen und den Service-Desk anrufen. Dass
Self-Serviceangebote im Trend liegen, zeigt nicht zuletzt eine aktuelle Studie der IBM: 70 Prozent
der befragten 1000 US-amerikanischen Kunden erwarten von Unternehmen einen deutlichen Ausbau der
Self-Serviceopti-onen, die Nutzungsrate stieg von 2006 bis 2007 um rund 50 Prozent. Prinzipiell
bringt der Einsatz von Knowledge-Management im Self-Support und Self-Service folgende Vorteile:
Self-Support und Self-Service sind rund um die Uhr verfügbar, sodass Anwender
nicht mehr von den Arbeitszeiten des Service-Desks abhängig sind,
höhere Vertraulichkeit bei bestimmten Transaktionen,
Self-Support und Self-Service schaffen zeitliche Freiräume in der
Service-Support-Organisation,
saisonale Probleme lassen sich präventiv abfangen, und
die Lösung einfacher Prob-lemstellungen verlagert sich mittels Self-Support
und Self-Service zunehmend zum Anwender.
Das Analystenhaus Gartner geht bei einem traditionellen Anruf im Service-Desk von
durchschnittlichen Transaktionskosten von 7,50 Dollar aus. Entsprechende Self-Support-Aufwände sind
nach Gartner zwar in den meisten Fällen nicht exakt zu ermitteln, dürften aber weit unter denen für
telefonbasierten Service liegen.
Self-Support und Self-Service haben sich damit zu einer der Hauptmaßnahmen entwickelt, um Kosten
im ITSM zu senken. Zudem können Service-Support-Organisationen zeigen, dass sie näher an die
Anwender heranrücken. IT-Produkte und -Services werden transparenter und greifbarer: Die
Statusverfolgung sowie ein integriertes Beschwerde- und Feedback-Management erlauben eine direktere
Einflussnahme auf der Kundenseite und steigern damit die Servicequalität und das Bewusstsein, dass
IT-Produkte und -Services einen Wert für das Geschäft der Endanwender oder Kunden darstellen.
Der Markt bietet heute Techniken, die sich in Projekten bewährt und Praxisprobleme gelöst haben.
Wenn zum Beispiel in einem zehnköpfigen Service-Desk die gleiche Frage alle 20 Tage auftaucht, dann
ist diese in aller Regel nicht mehr aus dem Gedächtnis zu beantworten. Deswegen ist ein System, das
sich Fragen und Antworten merkt und entsprechend bewertet, ein praxisnaher Ansatz. Selbstlernende
Mechanismen orientieren sich an der Häufigkeit einer gestellten Frage und reduzieren damit den
Administrationsaufwand auf ein Minimum. Die Bewertung erfolgt auf der Basis neuronaler und
semantischer Netze. Wichtig ist jedoch auch die Möglichkeit, steuernd einzugreifen, um
beispielsweise ein Dokument, das jahrelang als richtig bestätigt wurde und ganz oben in der
Ergebnisliste auftaucht, durch ein neues, jetzt gültiges Dokument auszutauschen.
Der flexible Einsatz selbstlernender Elemente und redaktioneller Steuerbarkeit ist somit
erfolgskritisch.