Mittlerweile existiert kaum noch ein Unternehmen, das seine Telefonielösung nicht lieber über eine IP-TK-Anlage als über eine konventionelle betreiben würde. Die Synergien mit der IT sind zu überzeugend, und das Einsparpotenzial vor allem bei den Betriebskosten spricht für sich. Der Markt bietet eine große Vielfalt gut gereifter Produkte. Katastrophale Fehlentscheidungen sind daher heute kaum noch zu befürchten, allerdings existieren nach wie vor zahlreiche kritische Punkte, auf die ein Käufer entsprechend seinen Anforderungen achten sollte.
IP-TK-Anlagen schicken sich an, den Markt der Telefonsysteme gründlich umzukrempeln. Schon in
absehbarer Zeit sollen die klassischen TK-Systeme und Hybridanlagen, die sowohl TDM (Time Division
Multiplexing) als auch Voice over IP (VoIP) in sich vereinen, nur noch ein marginaler Faktor im
Telefonieszenario sein. Die Mitstreiter in diesem Markt lassen sich in drei Kategorien einteilen:
klassische Anbieter von TK-Anlagen, die im Laufe der letzten Jahre die Datentechnik ergänzt haben
(zum Beispiel Alcatel und Siemens), klassische IT-Hersteller, die die Telefonie ergänzt haben (etwa
3Com und Cisco), und immer mehr auch jüngere Unternehmen, die sich dediziert auf das Segment der
IP-TK-Anlagen stürzen (zum Beispiel Swyx und Zultys).
Jede dieser Fraktionen führt plausible Gründe ins Feld, warum die beiden anderen Kategorien
völlig ungeeignet seien, die für jedes Unternehmen lebenswichtige Sprachkommunikation adäquat zu
handhaben. Bei der konkreten Auswahl einer IP-TK-Anlage gilt es, diese vom Ansatz her doch recht
akademische Argumentation hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Praxis zu beurteilen und zu
bewerten. Eine wichtige Aufgabe ist dabei das "Abklopfen" der Systeme auf Standardkonformität, um
nicht Gefahr zu laufen, sich proprietäre Technik ins Haus zu holen, die unter Umständen tatsächlich
auf längere Zeit abhängig von einem bestimmten Hersteller macht.
Die VoIP-Welt ist nicht nur wesentlich jünger, sondern auch weitaus dynamischer als die Welt der
TDM-basierenden Systeme. So sind Standards dort nicht für alle Zeiten in Stein gemeißelt, sondern
sie werden ständig weiterentwickelt, ergänzt und manchmal auch substituiert. Diese Tatsache gilt es
bei der Prüfung auf Standardkonformität im Auge zu behalten. Derzeit existiert allerdings durchaus
eine beträchtliche Zahl von Standards, die bei der VoIP-Telefonie involviert sind und die
entsprechende Anlagen und Telefone unterstützen sollten. Die Betrachtung der Arbeitsweise eines
IP-Telefons wie beispielsweise des Cisco IP Phone 7970G verdeutlicht, was hier alles eine Rolle
spielen kann:
DHCP (Dynamic Host Configuration Protocol): Abfrage der IP-Adresse beim
betreffenden Server;
TFTP (Trivial File Transfer Protocol): Laden des Betriebssystems;
802.3p (Virtuelles LAN): Trennung der Telefonieverbindungen vom Datenverkehr
und Unterstützung einer definierten Servicequalität (QoS);
802.1x: identitätsbasierende Authentifizierung;
TLS (Transport Layer Security), SSL (Secure Sockets Layer) und SRTP (Secure
Real Time Protocol): geschützte Zeichengabe für das Einrichten von Gesprächsverbindungen und deren
Handhabung;
AES (Advanced Encryption Standard): Verschlüsselung des Sprachverkehrs.
Der vielleicht wichtigste Standard betrifft die Kommunikation zwischen TK-Anlage und Telefon –
sobald ein Benutzer den Hörer abnimmt. Wesentliche Telefonie-Features werden über das dabei
verwendete Protokoll abgebildet. Hersteller aus der TDM-Welt setzten hier lange auf das eigentlich
für Videoconferencing entwickelte H.323-Protokoll – inzwischen geht der Trend jedoch in Richtung
Session Initiation Protocol (SIP). Das vergleichsweise einfache, auf Text-Messages basierende SIP
galt allerdings lange als unzureichend, um komplexere Telefonieaufgaben abzubilden. Mit diesem
Argument jedenfalls versuchten einige Hersteller aus der IT-Welt, allen voran Cisco, die Einführung
eines eigenen, proprietären Protokolls zu rechtfertigen. Noch heute unterhalten sich zahlreiche
Cisco-Telefone mit ihrer Zentrale (Callmanager) über das Cisco-eigene Skinny Call Control Protocol
(SCCP). Allerdings räumt auch Cisco bereits seit geraumer Zeit ein, dass die Zukunft in SIP liege
und setzt bei den neueren Produkten auf dieses Protokoll. Gleiches gilt für Siemens: Das
Unternehmen hatte ebenfalls lange Zeit versucht, mit Cornet-IP ein eigenes Protokoll zu etablieren.
Auch der TK-Bolide scheint sicht jedoch mehr und mehr von dieser Philosophie zu lösen.
SIP gilt auch bei der Kommunikation zwischen IP-Telefonzentrale und Gateways, der Verbindung zu
den klassischen Netzen (Telefon-Provider, andere Telefonanlagen und analoge Endgeräte) als
Standardprotokoll der Zukunft. Derzeit kommen hier je nach Lösung noch oft H.323 oder das Media
Gateway Control Protocol (MGCP) zum Einsatz. Bei Nutzung eines VoIP-Providers ist die Anschaffung
eines lokalen Gateways überflüssig, die gegebenenfalls nötige Umsetzung für einen TDM-Teilnehmer
geschieht in diesem Falle beim TK-Dienstleister. Wird die lokale Nutzung klassischer
Telefonleitungen gewünscht, ist das Gateway auf der Basis der gleichzeitig benötigten Sprachkanäle
zu dimensionieren.
Einen wichtigen Punkt stellt die Stromversorgung der angeschlossenen Telefone über das
Ethernet-Kabel dar. Power over Ethernet (PoE) ist in Form der IEEE-Spezifikation 802.3af
standardisiert und muss sowohl von der Netzwerkinfrastruktur als auch den Telefonen unterstützt
werden. Soll das Absetzen von Notrufen sogar im Fall einer Stromstörung möglich sein, ist auf ein
zentrales Versorgungskonzept mit unterbrechungsfreien Stromversorgungen (USVs) zu achten.
Das verwendete Telefonieprotokoll (also SIP, H.323, SCCP, oder auch Cornet-IP) ist in seiner
zentralen Rolle auch für die meisten Telefon-Features einer Lösung verantwortlich. Inzwischen haben
vor allem Unternehmen aus der dedizierten VoIP-Ecke deutlich bewiesen, dass zur Abbildung selbst
komplexer Funktionen kein proprietäres Protokoll erforderlich ist. Eine umfangreiche Feature-Liste
allein ist jedoch nicht selig machend – die meisten Telefone, egal ob aus der TDM- oder der IP-Welt
– werden laut Untersuchungen zu weniger als zehn Prozent ihres Funktionsumfangs gefordert.
Wichtiger ist also, anhand eines Kommunikationskonzepts zu prüfen, was wirklich erforderlich ist,
und die so identifizierten Funktionen detailliert unter die Lupe zu nehmen. In der konkreten
Umsetzung der Funktionen existieren nämlich durchaus erhebliche Unterschiede.
Wer Wert auf individuelle Programmier- und Erweiterbarkeit einer Lösung legt, sollte auf die
Unterstützung entsprechender Standards achten. Für Verzeichnisabfragen und den Verbindungsaufbau
etwa ist hier das Lightweight Directory Access Protocol (LDAP) relevant. Damit können die Anwender
beispielsweise die Verteiler im Microsoft Active Directory für Telefonate und das Senden oder
Empfangen von Sprachnachrichten nutzen. Eigene Applikationen lassen sich – je nach Lösung – via
Telephony Application Programming Interface (TAPI), Java TAPI (JTAPI) oder Extensible Markup
Language (XML) realisieren. Telefone mit entsprechend großem Display übernehmen dabei
Kommunikationsfunktionen, die sonst einem PC vorbehalten sind, beispielsweise die Anzeige von
Aktienkursen, Durchwahlnummern oder bestimmten Webinhalten. Durch die Förderung von
Entwicklerprogrammen bieten einige Hersteller inzwischen umfangreiche Bibliotheken mit
VoIP-Anwendungen an, die oft spezifische Anforderungen von Branchen bedienen. Für die Cisco
IP-Telefone existieren beispielsweise umfangreiche Applikationen für den Einsatz im Bildungswesen,
im Handel, im Hotel- und Gaststättengewerbe und bei der öffentlichen Hand. Dazu gehören Lösungen
für die Verwaltung und Anwesenheitskontrolle an Schulen und Universitäten, für die
Bestandskontrolle und -abfrage bei Handelsfilialen, Software für Concierge-Dienste,
Restaurantverzeichnisse und -reservierungen und andere Gästeservices für Hotels,
Notfallmeldesysteme und Audio-Streaming-Systeme für Behörden und staatliche Sicherheitsdienste.
Ebenfalls häufig gefragt sollen laut Cisco Zeiterfassungsanwendungen sein, etwa für die Produktion,
Krankenhäuser, Bankfilialen und andere Umgebungen, in denen zahlreiche auf Stundenbasis bezahlte
Mitarbeiter tätig sind.
Eine IP-TK-Anlage ist im Kern ein Stück Software. Manche Hersteller bieten diese Software pur
als solche an – zur Installation beispielsweise auf einem Windows- oder Linux-Server. Das ist
meistens der günstigste Weg, an eine IP-TK-Anlage zu kommen, allerdings ist die Stabilität der
Anwendung mit einem "ungehärteten" Betriebssystem nicht höher, als eben sonst in der IT auch. Bei
der Wahl der Serverhardware obliegt es der Verantwortung des Anwenders, für Ausfallsicherheit und
Redundanz zu sorgen. Von Vorteil ist es, wenn der Hersteller bereits getestete Plattformen
empfehlen kann. Manche geben sogar bestimmte Plattformen vor. Für größere Unternehmen
beziehungsweise solche, die stark auf die Telefonkommunikation angewiesen sind, empfehlen sich
Appliance-Lösungen, bei denen die Software mit einem "gehärteten" beziehungsweise eigens
entwickelten Betriebssystem auf einer geeigneten Serverplattform als Gesamtpaket vermarktet wird.
Die Tatsache, dass gegebenenfalls ein proprietäres Betriebssystem läuft, ist eher positiv zu sehen,
denn auf diese Weise erhält die Anlage quasi einen "natürlichen" Virenschutz. Erst wenn sich die
Systeme eines bestimmten Herstellers dominant am Markt durchsetzen, ist damit zu rechnen, dass
Malware-Schreiber hier eine interessante Angriffsfläche wittern.
Was bei den TK-Komplettboxen eher zu beachten ist, sind die Hardwarelimitationen. Mit dem Guss
in eine feste Hardwareumgebung legt der Hersteller auch Erweiterungsmöglichkeiten und
Skalierbarkeit fest. Ebenso zu beachten ist die Hochverfügbarkeitsausstattung wie beispielsweise
redundante Netzteile und Lüfter, Prozessoren und Festplatten. Mit wachsender Unternehmensgröße wird
es zudem wichtig, dass sich mehrere Anlagen zu einem Cluster zusammenschalten lassen. Neben
Ausfallsicherheit ist Clustering auch für die Performance-Optimierung von entscheidender Bedeutung:
Lasten können auf mehrere Vermittlungsinstanzen verteilt werden – idealerweise auch
standortübergreifend.
IP-TK-Anlagen beziehungsweise TK-Server, wie sie im IT-Jargon genannt werden, sind endgültig den
Kinderschuhen entwachsen. Sie entwickeln sich mit großen Schritten zu äußerst produktiven
Kommunikationszentralen, ausgestattet mit integrierten Anrufverarbeitungsfunktionen wie Voice-Mail,
automatische Vermittlung, Sammel-/Rufgruppen, Gebührendatenerfassung – unterlegt mit
Presence-Management und Schnittstellen zu Messaging, CTI und Conferencing. Freie Programmierung und
webbasierende Administration vereinfachen die tägliche Arbeit. Bei geschickter Wahl lässt sich mit
solchen TK-Systemen gegenüber klassischen TDM-Anlagen viel Geld sparen.