Auf ihrem jährlichen "Enterprise-Forum" in Paris rückte Alcatel-Lucent Mitte Februar das "dynamische Unternehmen" in den Mittelpunkt. Die Führungsriege des französisch-amerikanischen TK-Konzerns präsentierte dazu detailreiche Visionen, die aber zugleich deutlich werden ließen, wie weit der Weg dahin noch ist. Auch wenn die Technik an vielen Stellen schon vielversprechende Lösungen liefert: Besonders effizienzträchtige Aspekte wie die Nutzung der "Weisheit der Belegschaft" erfordern auch in der Organisation und im Denken einen tief greifenden Wandel.
Was früher einfach "telefonieren" hieß, ist heute ein komplexes Kommunikationskonstrukt, das in
der Vision Alcatel-Lucents (ALUs) vom dynamischen Unternehmen Netzwerke, Menschen, Prozesse und
Wissen eng miteinander verbindet. Das dynamische Unternehmen sei handlungsfähig, mobil, schlau und
schnell – und damit bereit für Innnovations- und Leistungsfähigkeit sowie Produktivität. Das
Kommunikationsrahmenwerk von ALU soll genau die gewünschte enge Vernetzung der vier "Dynamiksäulen"
eines Unternehmens sicherstellen und so die Basis liefern, dass breite und gut steuerbare
Interaktionen dazwischen möglich werden.
ALU hat inzwischen ihre gesamte Palette von etwa 650 Produkten so strukturiert, dass sich daraus
passgenaue Lösungen für die Vernetzung und Integration von technischen Netzwerken, Menschen,
Prozessen und Wissen schneidern lassen sollen. So gehört zum Bereich Netzwerke beispielsweise
alles, was mit IP- oder TDM-Voice, mit IP-Netzwerken, Netzwerkmanagement und nutzerzentrischer
Sicherheit zu tun hat. Unter "Menschen" sind personalisierte Werkzeuge für Zusammenarbeit,
Kundenservice und Mobilität zusammengefasst (etwa Contact Center und Voicerouting, Unified
Communications, virtualisierte Ressourcen und nutzerspezifische Profile). Unter der Rubrik Prozesse
stehen Begriffe und Lösungen im Bereich serviceorientierte Architekturen (SOA),
kommunikationsfähige Geschäftsprozesse/Business Process Routing, industriespezifische Lösungen
sowie Management des Kundenservice.
Das dynamische Unternehmen lebt in erster Linie von seinen Mitarbeitern. Deren Potenzial sei in
heutigen Unternehmensstrukturen nur zu einem Bruchteil ausgeschöpft, wie ALU-CEO Pat Russo in Paris
konstatierte. Wissen bildet dementsprechend die vierte Säule im ALU-Konzept für das dynamische
Unternehmen: Wissenszugriff in Echtzeit, Kontext- und Content-geführte Kommunikation sowie die
Integration interaktiver Services ("Enterprise 2.0") sind die wesentlichen Bestandteile.
Mit der technischen Entwicklung müsse allerdings auch ein entsprechender Bewusstseinswandel bei
den Mitarbeitern auf allen Ebenen einhergehen. Um den ALU-Thesen einen unabhängigeren Touch zu
verleihen, ließen die Event-Organisatoren in Paris den Journalisten und Buchautor James Surowiecki
("The Wisdom of Crowds") auftreten, der Ergebnisse verschiedener Studien über Gruppenphänomene im
Zusammenhang mit Wissen präsentierte. Die Essenz daraus: Gruppen können bemerkenswert intelligent
sein – in den meisten Fällen ist die Gruppe erheblich intelligenter als die intelligenteste Person
innerhalb der Gruppe. Zudem seien Gruppen auch in der Lage, künftige Entwicklungen besser zu
antizipieren als eine Einzelperson. Prognosen von Gruppen seien daher wesentlich zuverlässiger als
solche von Individuen. Das Prinzip würde umso besser funktionieren, je heterogener (Bildung,
Denkweise, Kultur etc.) die Gruppe zusammengesetzt ist.
Produkttechnisch soll im Zusammenhang mit dem dynamischen Unternehmen unter anderem eine
Telefonieplattform für mittlere Unternehmen eine wichtige Rolle spielen, die ALU Ende Oktober
letzten Jahres vorgestellt hat: Was in Lösungen für Großunternehmen üblicherweise in Form
zahlreicher unterschiedlicher Server daherkommt, integriert "Bics" (Business Integrated
Communications Solution) in einer einzigen Appliance. Im Gehäuse eines flachen 19-Zoll-Einschubs
sind hier der IP-Kommunikationsserver "Omnipcx Enterprise" und der Voicemail-Server "4645", das
Netwerkmanagementsystem "Omnivista 4760", das "Omnitouch Contact Center" (Standard Edition) sowie
der "My Instant Communicator" integriert. In späteren Versionen soll auch noch ein
Multimedia-Conferencing-Server eingebaut sein – im aktuellen Release ist es ein reiner
Voice-Conferencing-Server. XML-Schnittstellen sollen für die einfache Integration von Anwendungen
anderer Hersteller sorgen. Einige Applikationen, darunter Unified Communications und einen
Contact-Center-Agenten, hat Alcatel-Lucent selbst mit auf die Appliance gepackt. Über jeweils fünf
kostenfreie Lizenzen sollen diese beim Kunden Appetit auf mehr machen.
Beim Vertrieb will Alcatel-Lucent besonders die "Managed-Service"-Variante stärken, da die
anvisierte Zielgruppe sich in vielen Fällen nicht selbst um technische Einzelheiten kümmern will,
sondern einfach nach erschwinglichen Funktionen fragt. Zum Enterprise-Forum konnte Alcatel-Lucent
hier den Ausbau ihrer Partnerschaft mit T-Systems melden: Der deutsche "Incumbent-Dienstleister"
will künftig mit der Bics-Lösung mittelständischen Unternehmen Sprachdienste als
Outsourcing-Leistung (Managed Voice Services) anbieten. T-Systems zielt mit ihren
Integrationsdiensten und mit ihrer in die Octopus-EP-Produktfamilie eingegliederte Bics-Plattform
zunächst auf Unternehmen mit 100 bis 500 Mitarbeitern, in der zweiten Jahreshälfte sollen auch
Unternehmen mit bis zu 1000 Mitarbeitern angesprochen werden. Die Port-Preise sollen in der "
Managed"-Variante auf jeden Fall unter zehn Euro im Monat liegen – je nach Port-Zahl und genutzten
Diensten sogar deutlich. Neben der Managed-Service-Lösung will T-Systems jedoch auch die
Möglichkeit bieten, das System ohne Serviceangebot zu kaufen.
Für eine möglichst konvergente Kommunikation ohne Medienbrüche setzt ALU auf die Einbindung von
Unified Communications (UC) in Geschäftsprozesse ebenso wie in verbreitete Desktop-Anwendungen –
etwa von IBM oder Microsoft. Die Lösung von ALU besteht hier aus vier auf dem
IP-Kommunikationsserver "Omnipcx Enterprise" basierenden Kommunikationsanwendungen, mit denen die
Mitarbeiter Anrufe, Nachrichten, Verzeichnisse, Teamarbeitsmittel und Informationen bearbeiten,
steuern und verwalten können. Ein Beispiel für Möglichkeiten zur Integration von Unified
Communications ist die Telefonkonferenzsoftware "My Teamwork" für den Microsoft Office
Communicator.
Bei den Themen "Security" und "Mobility" will sich ALU künftig noch stärker als bisher in Szene
setzen. So bereichert seit letztem Dezember ein Webservice-Gateway als Security Appliance die
Produktpalette des Unternehmens. Zum Enterprise-Forum konnte ALU ihre erste Großinstallation damit
verkünden (Advocate Healthcare). Dedizierte Security Appliances sind bei ALU bislang weniger
angesagt – vielmehr realisiert das Unternehmen seinen nutzerzentrischen Security-Ansatz gerne über
eine Verteilung entsprechender Funktionen auf Netzwerkkomponenten und Server. So läuft etwa
Authentifizierung über die "Omniswitches", Host Integrity Check erledigt "Cyber Gatekeeper",
rollenbasierenden Access kontrolliert "Safeguard", Intrusion Detection und Prevention (bei ALU noch
um Traffic Anomaly Detection – kurz TAD – bereichert) läuft wiederum auf den Omniswitches und
Quarantänefunktionen übernimmt ebenfalls Safeguard. Ziel ist ein mehrstufiges Security-Konzept mit
geeigneten "Wächtern" an jeweils den Stellen im Netz, die ALU im Fluss der Kommunikation dafür als
prädestiniert ansieht.
In Sachen Mobilität haben die Ingenieure der Bell-Laboratorien, die Lucent mit ins Unternehmen
gebracht hat, tief in die Trickkiste gegriffen: Eine 3G-Mobilfunkkarte erlaubt Laptops nicht nur
ortsunabhängig hohe Datenübertragungsraten, sie verfügt auch über ein ausgeklügeltes
Sicherheitskonzept. Im Betrieb beim rechtmäßigen Besitzer erledigt ein spezieller Prozessor
automatisch alle Security-Checks für Unternehmen inklusive Aufbau einer IPSec-verschlüsselten
VPN-Verbindung. Ihre Genialität spielt die Karte allerdings erst aus, wenn der Laptop in
unrechtmäßige Hände gerät: Auf der Karte befindet sich ein GPS-Empfänger, der im Verbund mit der
Zellenidentifikation des Mobilfunks eine sehr schnelle, genaue und sichere Ortung erlaubt. Entfernt
ein Dieb die Karte, kann er zumindest nichts mehr mit der Festplatte des Laptops anfangen: Die
Karte dient nämlich zugleich als Encryption Key, ohne den der Datenspeicher sein "Wissen" nicht
preisgibt. Um die Chance einer schnellstmöglichen Lesesperre zu schaffen, lässt sich der Schlüssel
auch remote über Mobilfunk löschen. Damit ist auch bei eingesteckter Karte kein Festplattenzugriff
mehr möglich. Die Ortung funktioniert auch bei leerem Laptop-Akku – ein eigener Miniakku auf der
Karte hält diese Funktion angeblich bis zu fünf Tage aufrecht. Bislang wird "Omniaccess 3500
Nonstop Laptop Guardian" ausschließlich in den USA und für die dortigen CDMA-Netze angeboten. Der
Vertrieb der Karte erfolgt über Provider – zum Preis von rund 100 Dollar plus einer monatlichen
Gebühr von rund zehn Dollar. Jetzt wird die Karte auch in einer UMTS/HSDPA-Version für Europa
verfügbar. In Deutschland soll sie im zweiten Halbjahr 2008 auf den Markt kommen – auch hier über
einschlägige Mobilfunk-Provider. Welche dies sein werden, konnte ALU in Paris noch nicht sagen.