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Im Interview: Yvan Engels, Leoni

Technik und Normierung von 40GbE

Im LANline-Interview erläutert Yvan Engels, Leiter der Abteilung Strategic Market Development/Standardisation (BU Infrastructure & Datacom) bei Leoni, den Entwicklungsstand der Normierung von 40GBase-T. Der Kupferverkabelungsexperte der ersten Stunde verweist auf bereits fertige passive Produkte und erwartet durch aktive Komponenten komplettierte Systeme für den Beginn des kommenden Jahres.

Autor:Dr. Jörg Schröper • 10.4.2015 • ca. 8:25 Min

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LANline: Herr Engels, Sie sind stark in die Aktivitäten der IEEE-Gruppe 802.3bq eingebunden. Können Sie kurz Ihr Engagement beschreiben?
Engels: Unter dem Dach des internationalen Verkabelungskomitees ISO/IEC JTC1 SC25 WG3 bin ich als Projektleiter in der Arbeitsgruppe PT 40G engagiert. Die Arbeitsgruppe, die aus rund 30 Teilnehmern besteht, hat nach etwa zwei Jahren intensiver Normierungstätigkeit einen technischen Report erarbeitet, der unter dem Titel ISO/IEC TR 11801-9901 publiziert wurde. Dieser technische Bericht dient derzeit als Leitfaden für die Arbeitsgruppe IEEE 802.3bq, 40GBase-T. Bezüglich der Spezifizierung der Verkabelungsstrecke hat IEEE 802.3bq die Inhalte von ISO/IEC TR 11801-9901 mit entsprechender Referenzierung weitestgehend übernommen. Auf dem Weg dahin waren zahlreiche Meetings, Text- und Tabellenvorschläge und manchmal kontroverse Diskussionen erforderlich.
LANline: Was lässt sich zum Stand der Normierung rund um 40GBase-T sagen?
Engels: Der bereits erwähnte technische Bericht ISO/IEC/TR 11801-9901 "Information Technology - Guidance for Balanced Cabling in Support of at Least 40 GBit/s Data Transmission" umfasst die Beschreibung und Bewertung von verschiedenen Übertragungsstrecken mit einer maximalen Länge von mindestens 30 Metern unter Verwendung von vierpaarigen symmetrischen Kupferdatenkabeln und zwei Steckverbindern. Dies soll zum Ausdruck bringen, dass die maximale Länge mindestens 30 Meter sein muss, also auch länger sein darf, wenn die Produkte es hergeben.
LANline: Was bedeutet das im Einzelnen?
Engels: Der technische Bericht adressiert mehrere Punkte. Zunächst geht es um die Betrachtung 30 Meter langer Verkabelungsstrecken mit Komponenten der Kategorien 6A bis 500 MHz und 7A bis 1.000 MHz nach DIN EN 50173-1:2011. Außerdem um die Spezifikation einer 30 Meter langen Übertragungsstrecke der Klasse I auf Basis von Komponenten der künftigen Kategorie 8.1, der Spezifikation einer ebenfalls 30 Meter langen Übertragungsstrecke der Klasse II auf Basis von Komponenten der künftigen Kategorie 8.2 und um die Bewertung der Übertragungskapazitäten und Reichweitenpotenziale. Des Weiteren existiert seit Kurzem die VDE-Anwendungsregel VDE-AR-E 2800-902 2014-10, der lediglich die Übertragungsstrecke der Klasse II mit Komponenten der künftigen Kategorie 8.2 zugrunde liegt. Dort sind erstens der erforderliche Kompensationsaufwand für 40-GBit/s-Transceiver bei Übertragungsstrecken der Klasse II für die Parameter Nahnebensprechdämpfung, also NEXT, und die Fernnebensprechdämpfung FEXT um etwa 20 dB geringer. Und zweitens sind die bei Übertragungsstrecken der Klasse II verwendeten Komponenten der künftigen Kategorie 8.2 rückwärtskompatibel zu den in DIN EN 50173-1 festgelegten Komponentenkategorien 7A oder 7 und weisen Reserven für künftige Anwendungen auf.
LANline: Gibt es einen konkreten Zeitplan?
Engels: Gemäß dem Entwicklungsplan von IEEE 802.3bq ist der Standard 40GBase-T für Anfang 2016 vorgesehen. Etwa zu diesem Zeitpunkt sollte auch die dritte Edition ISO/IEC 11801 mit den normativen Vorgaben für die Verkabelungs- und Installationstrecken der Klasse I und II sowie die Komponentenstandards der Kategorie 8.1 und 8.2 vorliegen.
LANline: Ist diese Normierungsarbeit bisweilen frustrierend?
Engels: Ich zitiere dazu einmal das DIN-Institut, das sagt, dass Normen eine Wissensbasis und einen Katalysator für Innovationen darstellen. Normung und Standardisierung haben danach positive Effekte auf den gesamten Innovationsprozess, von der Grundlagenforschung bis zur Marktfähigkeit neuer Produkte. Für Forschung und Entwicklung stellen Normen und Standards eine hervorragende Wissensbasis dar. Weiter sagt das Institut, dass Normen den weltweiten Handel fördern und der Rationalisierung, der Qualitätssicherung, dem Schutz der Gesellschaft sowie der Sicherheit und Verständigung dienen. In diesem Lichte betrachtet ist Normierung ein wichtiges strategisches Instrument zur Gestaltung der Märkte und Produkte. Jetzt konkret zur Frage: Auch wenn die eigentliche Normierungsarbeit manchmal sehr zäh und zeitaufwändig ist, was in der Natur der Sache liegt, so ist sie vor dem Hintergrund der Globalisierung unter dem Strich doch sehr effizient. Gut Ding braucht eben Weile.
LANline: Also Daumen hoch?
Engels: Ich habe Normierung nie als frustrierend, sondern eher als herausfordernd empfunden. Die Ergebnisse der beiden letzten Dekaden können sich in der Informations- und Kommunikationstechnologie durchaus sehen lassen.
LANline: Ohne Zweifel besteht ein Bedarf auf dem Markt nach schnelleren Kupferverkabelungen als 10GbE. Ist die Normierung heute in der Lage, ausreichend schnell auf solche Anforderungen zu reagieren?
Engels: Normen sind das Ergebnis nationaler, europäischer oder internationaler Normungsarbeit, die von jedermann beantragt werden kann und die zum Beispiel in Ausschüssen der internationalen Normungsorganisationen der ISO/IEC nach festgelegten Grundsätzen, Verfahrens- und Gestaltungsregeln stattfindet. Die Gremien erarbeiten diese Normen in Kooperation mit den am jeweiligen Thema interessierten Kreisen, denken Sie dabei an Hersteller, Verbraucher, Handel, Hochschulen, Versicherer, Behörden oder Prüfinstitute. Normen entstehen also im Konsens, was heißt, dass die Experten sich über die Inhalte mit dem Ziel verständigen, unter Berücksichtigung des Standes der Technik eine gemeinsame Auffassung zu erreichen. Vor diesem Hintergrund hat Normierungsarbeit einen hohen Anspruch an Qualität, und das ist mitunter tatsächlich zeitintensiv. Die in der Regel angesetzten Projektlaufzeiten von zwei bis drei Jahren halte ich jedoch für ausreichend kurz, zumal Normierung im Bereich der IT-Netzwerktechnik sehr vorrauschauend geplant wird.
LANline: Welche Rolle spielt die Initiative, zunächst doch in Richtung 25GbE zu entwickeln?
Engels: Diesem Statement möchte ich zunächst einmal widersprechen. Es wird nicht zunächst, sondern zusätzlich in Richtung 25 GbE entwickelt, und zwar zusammen mit 40GbE unter dem Dach von IEEE 802.3bq. Dies bedeutet für die Kunden und Anwender: Ein Verkabelungssystem etwa der Klasse II mit Kategorie-8.2-Kabel und Anschlusstechnik unterstützt sowohl 40 GbE als auch 25 GbE. Vorteil der unter anderem von Google und Microsoft getriebenen 25GbE-Technik ist der geringere Energieverbrauch pro Port.
LANline: Halten Sie die derzeitige Situation um Kategorie 8, 8.1 und 8.2 für anwenderfreundlich?
Engels: Dass wir für zwei Anwendungen, also 25 und 40GbE, drei verschiedene Komponentenkategorien haben, ist zunächst nicht besonders anwenderfreundlich. Aber es ist der erzielte Kompromiss im Wettbewerb der unterschiedlichen technischen Lösungsansätze. Übrigens gab es eine ähnliche Situation bereits bei Cat. 6A und Kategorie 6A mit dem Unterschied, dass es hierbei noch die Varianten geschirmt und ungeschirmt gibt. Bei den Kategorie-8-Varianten gibt es nur noch geschirmte Versionen.
LANline: Und der heimische Anwender hat die Qual der Wahl?
Engels: Er hat keine Qual! Bei internationaler und europäischer Betrachtung sind lediglich Klasse I/Kategorie 8.1 und Klasse II/Kategorie 8.2 relevant und durch entsprechende ISO/IEC-, IEC- und EN-Normen abgesichert. Kategorie 8 nach EIA/TIA ist eine regionale, amerikanische Ausprägung von Klasse I/Kategorie 8.1. Am Pendant zu 8.2 arbeiten dort die daran beteiligten Experten noch. Bleiben also noch zwei Kandidaten übrig. An dieser Stelle greift die deutsche Anwendungsregel VDE-AR-E 2800-902 2014-10, die sich im Sinne der Anwenderfreundlichkeit für Kategorie 8.2 ausgesprochen hat.
LANline: Kabelhersteller lassen verlauten, sie seien in der Lage, Kabel nach 8.2-Anforderungen herzustellen. Warum hakt es an der Steckertechnik?
Engels: In der Tat gibt es bereits heute Kabelhersteller, die Kabel nach der künftigen Kategorie 8.2 herstellen und anbieten können. Dazu gehört übrigens auch Leoni mit dem Produktprogramm G20 S/F, G20 S/F flex und G20 S/F mini. Nur mit Kategorie-8.2-Kabel der Bauart S/FTP lassen sich rückwärtskompatible Übertragungstrecken der Klasse II abbilden. Aufgrund der Kostenvorteile eignen sich derartige Kabel aber auch im Umfeld von Übertragungsstrecken der Klasse I. Die Frage nach der Steckertechnik muss man sehr differenziert betrachten. Die normative Steckerauswahl für Verkabelungstrecken nach ISO/IEC ist schon seit Langem geregelt, dort sind die Steckgesichter RJ45, Tera und GG45 - und davon abgeleitet ARJ45 - am User-Ende gesetzt. Die Auswahl des MDIs (Media Dependent Interface) und damit der Anschlusstechnik am Switch oder Server, fällt in die Hoheit von IEEE 802.3bq. Hier ist RJ45 zurzeit die bevorzugte Variante, aber nicht die ausschließliche Wahl. Eine weitere Konkretisierung ist in naher Zukunft zu erwarten. Beide Welten werden in bekannter Art und Weise mit Patch-Kabeln verbunden, die hybrider oder nicht hybrider Natur sein können.
LANline: Welche Rolle messen Sie dem RJ45-Stecker in dieser Umgebung bei?
Engels: Wenn man die Steckerfrage im Lichte der Technik betrachtet, dann sind sicher folgende Aussagen zulässig: Es gibt bereits heute Nicht-RJ45-Produkte mit dem Steckgesicht GG45, ARJ45 oder Tera, die für die künftige Kategorie 8.2 vorbereitet sind und im Verbund mit einem Kategorie-8.2-Kabel die Anforderungen der Übertragungsstrecke Klasse II erfüllen und damit 40GBase-T unterstützen. Es gibt aber heute noch keine mir bekannten vermarktungsfähigen RJ45-Produkte nach Kategorie 8.1. Diese befinden sich in der Regel noch in der Entwicklung und sind ungleich schwieriger herzustellen. Man darf gespannt sein, wie sich das Angebot der Branche in diesem Punkt entwickelt.
LANline: Kategorie 7A/Klasse FA ist im Grunde eine - zwar gute - Technik, aber ohne passende Anwendung. Besteht die Gefahr, dass so etwas auch für Cat.8-Varianten passieren kann?
Engels: Das sehe ich etwas anders. Falls die Datenautobahnen in besagtem Fall von Kategorie 7A/Klasse FA nicht immer bis an die Grenze ausgelastet sind, bedeutet dies, dass komfortable Reserven und große Sicherheiten vorhanden sind. Unter gewissen noch zu definierenden Umständen können derartige Verkabelungen vor dem Hintergrund der 25G/40G-Tauglichkeit nachqualifiziert werden. Entsprechende Tools wird es meiner Ansicht nach der Verabschiedung von IEEE 802.3bq geben. Einen ähnlichen Fall haben wir beispielsweise mit Kategorie 6 im Vergleich zu Kategorie 5. Hier übertragen Klasse-E/Kategorie-6-Verkabelungen 1GbE mit mehr Reserve als bei Klasse D/Kategorie 5 und wären künftig für eine Nachqualifikation für 2,5/5GbE prädestiniert. Bezüglich möglicher Gefahren bei den Kategorie-8-Varianten verweise ich vorbeugend auf meine vorher gemachte Aussage. Ich denke aber, dass alle Varianten ihr Marktsegment finden werden und ihre Existenzberechtigung haben. Wenn man sich von dem Leitspruch "Das Beste ist gerade gut genug" inspirieren lässt, ist man bei der zukunftsweisenden Investition IT-Verkabelung immer auf der sicheren Seite.
LANline: Was raten Sie Anwendern, also Ihren Kunden, die möglichst schnell 40 GBit/s in ihren Netzen benötigen? Sollen sie mit solchen Anforderungen zu LWL wechseln?
Engels: Für Übertragungslängen, die größer als 30 Meter sind, kommt ohne Wenn und Aber nur die Glasfasertechnik in Frage. Dann ist eine Entscheidung für Multimode-Fasern oder Singlemode-Fasern zu treffen, aber das ist eine andere Baustelle. Für Übertragungsstrecken bis 30 Meter ist die Kupfertechnik die erste Wahl, denn die TCO sind bei Kupfer um Faktor 2 bis 3 niedriger im Vergleich zu LWL. Bemerkenswert erscheint mir in diesem Zusammenhang eine Studie der Arbeitsgruppe IEEE 802.3 NGBase-T. Danach werden für das Jahr 2020 30 Prozent der Server to Switch Links in LWL-Technik und 70 Prozent der Server to Switch Links in Kupfertechnik benötigt. Mit etwa 30 Prozent der Server to Switch Links stellt 40GBase-T den Löwenanteil dar.
LANline: Für wann erwarten Sie ein funktionierendes und normiertes System aus Kupferkabel und Stecker mit 40GBit/s?
Engels: Komplettsysteme inklusive 40GBase-T-fähiger Switches und Server dürfte es ab Anfang 2016 geben. Die dafür erforderlichen Verkabelungssysteme sind für Übertragungsstrecken der Klasse II/Kategorie 8.2 bereits jetzt verfügbar.
LANline: Herr Engels, herzlichen Dank für das Gespräch.
Der Autor auf LANline.de: jschroeper

Der Report ISO/IEC/TR 11801-9901 "Information Technology - Guidance for Balanced Cabling in Support of at Least 40 GBit/s Data Transmission" umfasst die Beschreibung und Bewertung von verschiedenen Übertragungsstrecken mit einer maximalen Länge von mindestens 30 Metern unter Verwendung von vierpaarigen symmetrischen Kupferdatenkabeln und zwei Steckverbindern. Quelle: IEEE

Verteilung der Server to Switch Links nach Verkabelungsart. Quelle: IEEE

Hersteller drängen bereits mit fertigen Produkten nach Kategorie 8.2 auf den Markt.

"Bei internationaler und europäischer Betrachtung sind lediglich Klasse I/Kategorie 8.1 und Klasse II/Kategorie 8.2 relevant und durch entsprechende ISO/IEC-, IEC- und EN-Normen abgesichert", so Yvan Engels, Leiter der Abteilung Strategic Market Development/Standardisation bei Leoni.