Waren ehedem noch geistreich grübelnde Literaten und Philosophen die Vorbilder der Jugend, übernehmen diese Funktion heute intellektuell schmalbrüstige Influencer aus dem Web mit ihrer viralen – von Produktplatzierungen unterstützten – Selbstdarstellung.
Das Jammern über die Konsumlastigkeit und den Werteverfall der Jugend gehört seit Jahrtausenden zu den Privilegien der Alten. Jeder, der noch die Vorzüge – für manche auch Qualen – des humanistischen Bildungsweges ertragen durfte, wird sich an die Klassiker erinnern. Die Jugend sei »entsetzlich anzusehen« heißt es etwa bei Aristoteles und Plutarch hatte noch die Hoffnung, sie durch das »Joch der Ehe zu fesseln« – da wird so mancher leise nicken. Während wir also in den analogen Zeiten noch über De Bello Gallico schwitzten und uns nachmittags mit den Zugeroasten vom SV Unterhaching auf dem Platz duellierten, verbringt der Jugendliche heute im Durchschnitt zwei Stunden pro Tag im Internet, schaut Videos oder spielt Computer.
Nein, genau genommen spielt er nicht einmal mehr selber, sondern lässt spielen. Das ist der Job der Influencer und dabei handelt es sich nicht um eine Grippe, sondern um die heldenhaften Vorbilder, die sich durch Minecraft kämpfen oder die neuesten Konsumtipps geben. Sie sind quasi best friends und Übermenschen in Personalunion, mit Namen wie »chaoslfo44«, »Ali-A« oder »The Game Terrorists«. Den Terroristen in sich werden auch manche Eltern beim Internetkonsum ihrer Teenager entdecken, aber schalten Sie keinesfalls einfach das WLAN ab, das ist wie kalter Entzug.
Wie sollen die Kids ohne ihre Influencer zurecht kommen? Hier geht es ja um die großen Fragen des Alltags. Und stellen Sie sich die Influencer vor, wenn niemand ihnen mehr dabei zuschaut, das Netz mit den Banalitäten ihres Alltags zu überfrachten. Wissenschaftler sagen, ein Like fühlt sich so an, als würden wir gestreichelt – und jetzt schauen sie sich mal die 15.000 Likes von chaosflo44 für ein Gameplay an: das muss ja Erotik vom allerfeinsten sein.