Betriebsblind in den Tunnel

17. Juni 2008, 22:57 Uhr |

LANline hat sich schon mehrfach damit befasst, wie bizarr die Risikoeinschätzungen von Menschen und Unternehmen ausfallen und welche Konsequenzen dies für die Sicherheit hat.

Zurzeit liefert die Bahn das schlimmste Beispiel. Dort installiert man seit Jahren Kamerasysteme
an den Bahnhöfen und erprobt – eher erfolglos (www.netzeitung.de/deutschland/691985.html) –
exotische Techniken wie die automatische Gesichts- oder Verhaltenserkennung. Tourist oder Terrorist
– das soll zum Beispiel der Laufweg auf dem Bahnsteig zeigen. Irgendwann wird diese Technik einen
Trupp Scharfschützen auf einen ortsfremden, verwirrten Reisenden hetzen, der dann nur noch auf
einen besonnenen Einsatzleiter hoffen kann. Das PR-trächtige "Sicherheitstheater" (Bruce Schneier)
ist überdies teuer und mutet den Reisenden enorme Einbrüche in die Privatsphäre zu.

Im Landrücken-Tunnel dagegen hätte selbst eine einfache Kamera jene Schafherde erkannt, die im
April dort einen ICE in voller Fahrt zum Entgleisen brachte. Vielleicht hätte sogar ein billiger
Bewegungsmelder als Anomaliedetektor gereicht. In einem Hochgeschwindigkeitstunnel nämlich darf
sich einfach gar nichts bewegen, wenn gerade kein Zug durchfährt, gleich ob Schaf, Wolf, Tourist
oder Terrorist. Und Konflikte mit der Privatsphäre von Menschen hätte es dort bestimmt nicht
geben.

Aber in den ICE-Tunneln dieser Strecke gibt es, wie mir die Deutsche Bahn bestätigt hat, keine
Kameras und keine Sensoren. Dabei weiß man doch seit Eschede genau, wie gefährlich eine
ICE-Entgleisung ist, und man kennt das Risiko, das Tiere auf Gleisen mit sich bringen. Wenn es sich
rechnet, Bahnhöfe und Kaufhäuser mit unzähligen Dome-Kameras zuzupflastern – wie wenig würde wohl
eine Videoüberwachung neuralgischer Streckenpunkte eine moderne ICE-Trasse verteuern, zumal sich
die Technik nur bei Bewegungen aktivieren müsste?

Wenn Sie demnächst entscheiden müssen, ob Sie teure Künstliche-Intelligenz-Technik gegen
nebulöse Cybercrime-Gefahren anschaffen sollen oder doch lieber endlich das Backup-System ausbauen,
fahren Sie zur nächsten CeBIT wie die LANline-Redaktion mit der Bahn. Von Würzburg aus. Das hilft
bei der richtigen Wahl.

P.S.: Dieses LANline Spezial steht ab dem 12. Juni 2008 unter
www.lanline.de/eBook/Spezial2/ als E-Book zum Download zur Verfügung.


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