Artec Technologies

Zwischen Datenschutz und öffentlicher Sicherheit

1. Juli 2025, 15:00 Uhr | Diana Künstler
© artec technologies / Adobe Stock

Verlässliche Überwachung, DSGVO-konform und einsatzspezifisch anpassbar: Artec Technologies entwickelt KI-gestützte Videosysteme für Sicherheitsbehörden. Doch der rechtliche Rahmen bremst oft – und mit ihm die digitale Souveränität made in Germany.

Was 2000 als Spezialist für digitale Videorekorder begann, ist heute ein hochspezialisierter börsennotierter Anbieter für adaptive, behördentaugliche Videosysteme. Die Artec Technologies AG mit Sitz in Diepholz (Eigenschreibweise „artec technologies“) entwickelt unter dem Markennamen „Multieye“ adaptive Systeme, die klassische Videoüberwachung um KI-gestützte Analyse und manipulationssichere Beweissicherung erweitern.

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Thomas Hoffmann, artec technologies
Thomas Hoffmann, CEO von Artec Technologies: „Unsere Software funktioniert wie ein intelligenter Videorekorder mit juristischem Feingefühl.“
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Die Entscheidung für den Kapitalmarkt war dabei von Beginn an strategisch motiviert: „Als Innovationsunternehmen im Bereich der Softwareentwicklung, wo man mit immateriellen Werten arbeitet, bekommt man von Banken kaum Finanzierung“, erklärt CEO Thomas Hoffmann im Gespräch mit connect professional. Der Börsengang im Jahr 2006 bot Artec die Möglichkeit, technologische Entwicklungen auf eigene Rechnung umzusetzen; auch unter dem Risiko, dass nicht jede Idee sofort marktfähig ist. „Die Grundlage unseres Tuns ist – salopp gesagt – der Videorekorder“, bringt Hoffmann die technologische Evolution auf den Punkt. „Früher konnte man einfach aufnehmen und abspielen. Heute analysieren wir in Echtzeit.“

Ausgehend von dieser Basis entwickelte Artec eine flexible Architektur, die heutigen Anforderungen im behördlichen Einsatz gerecht wird, bis hin zu vernetzten mobilen Systemen für Ermittlungsarbeit oder Objektschutz. Für solche Einsatzszenarien ist „Multieye BOS“ konzipiert, das unter anderem bei der Bundespolizei, in Landeskriminalämtern und Polizeidienststellen im europäischen Ausland verwendet wird. COO Arne Scissek beschreibt Multieye BOS als Plattform, die mobile Videorekorder, LTE-Übertragung, zentrale Konfigurationsserver und sichere Abfragestationen miteinander verbindet. Der Vorteil: „Unsere Kunden stellen sich jeden Einsatz individuell zusammen. Dabei unterstützt unser System die Benutzerführung, Rechtemanagement, Dokumentation und richterlich geforderte Einschränkungen von Anfang an.“ Das unterscheidet Artec von marktüblichen Lösungen, die meist für statische Szenarien wie Shopping-Malls oder Großveranstaltungen konzipiert sind. Während Behördenkunden direkt betreut werden, setzt Artec im zivilen Bereich auf ein Partnernetzwerk aus Systemintegratoren, Installateuren und Generalunternehmern. „Im Industriebereich betreuen wir die Spezialfälle. Ansonsten läuft der Kontakt zum Endkunden über unser qualifiziertes Partnernetzwerk“, erläutert Scissek. So bleibt der Fokus klar auf der Softwareentwicklung und systemischen Integration, nicht auf der physischen Umsetzung vor Ort.

„Multieye Next“ bildet ergänzend Artecs zentrale Videomanagement-Plattform für mittlere bis große Anlagen. Das System nutzt neuronale Netze zur Detektion von Objekten, Ereignissen oder Verhaltensmustern – skalierbar, flexibel und unter Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Vorgaben. Die Herausforderung dabei: Gerade zu Beginn einer behördlichen Fahndung sind die vorhandenen Hinweise oft noch widersprüchlich und irreführend, die Parameter für eine rein KI-gestützte Suche noch nicht ausreichend für ein klares Suchbild. . „Wenn ich nicht weiß, suche ich eine Person, einen Radfahrer, einen Autofahrer? Suche ich drei Personen? [...] Die Menge an Suchparametern für die KI, wenn ich noch kein klares Suchbild habe, ist dann oft schwierig“, führt Scissek aus. Genau für diese Fälle kombiniert Artec maschinelle Mustererkennung mit nutzergeführter Analyse.

Datenschutz statt Datenflut

Trotz aller technischen Möglichkeiten bewegt sich Artec in einem engen rechtlichen Rahmen. Und das bewusst. Denn das Unternehmen setzt konsequent auf Datenschutzkonformität, lokale Datenhoheit und dezidierte Rechtevergabe. Selbst für eigene Mitarbeiter gelten strenge Zugriffskontrollen: „Das Vier-Augen-Prinzip ist Standard. Kein Administrator kann allein auf sensible Videodaten zugreifen“, betont Scissek. Gerade im sicherheitsrelevanten Umfeld, wie etwa bei der Bundespolizei oder Landeskriminalämtern, sei dieses Vertrauen unerlässlich. Zwar dürften diese Kunden öffentlich genannt werden, konkrete Szenarien aber bleiben bewusst vage, insbesondere wenn es um Einsätze mit erhöhter Geheimhaltung geht.

Besonders hervorgehoben wird von Artec im Gespräch mit connect professional die Möglichkeit, Zugriffsrechte dynamisch zu steuern – etwa wenn Einsatzlagen einen Wechsel der Zuständigkeit erfordern. „Bei Bundesligaspielen etwa geht die Datenhoheit während des Spiels an die Polizei über und danach zurück an den Stadionbetreiber. Eine Dynamik, die in internationalen Standardlösungen oft nicht vorgesehen ist“, erläutert Scissek. Generell seien die Anforderungen an Datenschutz und Rechtevergabe in Deutschland im internationalen Vergleich außergewöhnlich hoch und oft schwer vermittelbar: „Wenn wir beispielsweise mit einem US-amerikanischen Polizisten darüber sprechen, müssen wir das sehr genau erklären, weil das Datenschutzverständnis in den USA schon rein rechtlich ein völlig anderes ist“, so der Artec-COO.

Die Systeme von Artec sind modular aufgebaut, hardwareunabhängig einsetzbar und lassen sich plattformübergreifend integrieren. Damit erfülle man nicht nur technische, sondern auch ethische und juristische Anforderungen. Auch im Fall von hochsensiblen Einsatzorten, etwa Privatwohnungen, werden technische Schutzmaßnahmen eingebaut. So müsse nachvollziehbar dokumentiert werden, „wer hat die Kamera ausgeschaltet? Aus welchem Grund ist diese ausgeschaltet worden? Wann startet die Aufnahme wieder?“ Das Ziel sei stets, die Integrität des Beweisbandes zu sichern, bei gleichzeitiger Einhaltung persönlicher Rechte.

Mehr als Video: Mit Xentaurix gegen Desinformation

Neben dem Multieye-Portfolio betreibt Artec mit „Xentaurix“ ein zweites Produktfeld, das sich der Auswertung audiovisueller Medieninhalte widmet. Anders als Multieye verarbeitet Xentaurix keine Kamerabilder, sondern TV- und Social-Media-Streams, und bietet Analyse-Tools zur Erkennung von manipulierten Inhalten. Das Ziel: Desinformation frühzeitig identifizieren und nachvollziehbar machen. „Wir kombinieren klassische Videotechnologie mit Medienanalyse. Das macht uns einzigartig“, sagt Hoffmann. Derzeit sind es vor allem Landesmedienanstalten, aber auch internationale Medienhäuser, die Xentaurix nutzen – etwa um sogenannte rundfunkähnliche Angebote auf Plattformen wie YouTube oder Twitch zu überwachen. Die Anwendung reicht bis hin zur Unterstützung bei der Aufdeckung von Fake News oder Deepfakes: ein wachsendes Bedrohungsszenario auch für die staatliche Resilienz.

Damit verbindet Artec zwei sicherheitskritische Domänen: klassische Videotechnologie für die physische Sicherheit und medienanalytische Tools zur Erkennung digitaler Manipulation. Diese Kombination sei in dieser Form bislang einzigartig, insbesondere in deutscher Fertigung und mit klaren Governance-Vorgaben. Für diese Funktionen erhielt Artec sogar eine Forschungszulage. Ziel sei es, Manipulationen „auf Audio-Basis“ zu erkennen.

Der Mittelstand im Bieterkorsett

Arne Scissek, artec technologies
Arne Scissek, COO von Artec Technologies: „Technologisch sind wir längst weiter als der rechtliche Rahmen es zulässt. Das ist letztlich eine politische Entscheidung.“
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Trotz technologischer Reife und hoher Nachfrage sieht sich Artec mit strukturellen Marktbarrieren konfrontiert; insbesondere im öffentlichen Beschaffungswesen. Behörden erwarten oft voll funktionsfähige Prototypen, bevor überhaupt ein Auftrag vergeben wird. Für mittelständische Anbieter wie Artec bedeutet das: enorme Vorleistung auf eigenes Risiko. „Bei einer großen Ausschreibung 2018 stand unser Unternehmen am Limit. Hätten wir den Zuschlag nicht bekommen, hätte das massive Folgen gehabt“, erinnert sich Scissek. In solchen Momenten entscheide nicht Innovationskraft, sondern Durchhaltevermögen. Und obwohl Behörden die Bedeutung digitaler Souveränität betonen, fehle es oft an Verständnis für die speziellen Herausforderungen mittelständischer Unternehmen. „Wer deutsche Technologie will, sollte den Entwicklungsweg dann auch konsequent begleiten“, gibt Hoffmann zu bedenken. Dabei wäre gerade im Behördenumfeld eine agile Zusammenarbeit gefragt – beispielsweise im Rahmen von Public-Private-Partnerships. Arne Scissek plädiert für mehr Vertrauen: „Digitale Souveränität lässt sich nicht zum Nulltarif einkaufen“, so der Artec-COO. Was es stattdessen brauche, sei eine gemeinsame Verantwortung: „Wir entwickeln das Produkt gemeinsam – wir haben Expertise hier im Haus.“ Eine solche Kooperation würde Risiken auf mehrere Schultern verteilen und die Markteinführung gezielter Lösungen beschleunigen.

Auch beim Thema Künstliche Intelligenz sieht sich der Diepholzer Mittelständler weniger durch Technik als durch Regulierung gebremst. Während die hauseigene Software bereits Kennzeichen- und Gesichtserkennung, Bewegungsanalyse und Mustererkennung leisten könnte, ist der Einsatz im polizeilichen Umfeld rechtlich eingeschränkt. Viele Behörden setzten weiterhin auf manuelle Sichtung, aus Mangel an rechtlicher Klarheit oder gesellschaftlicher Akzeptanz. „Die Systeme wären bereit. Aber oft dürfen sie noch nicht das, was sie könnten. Wie sie zukünftig eingesetzt werden sollen, ist letztlich eine politische Entscheidung“, so Scissek.

Zwischen Anspruch und Realität

Artec Technologies steht exemplarisch für viele hochspezialisierte Mittelständler, die in sicherheitskritischen Bereichen Lösungen entwickeln, die mit internationalen Systemen nicht nur mithalten können, sondern sie an vielen Stellen übertreffen. Die Software ist flexibel, modular, datenschutzkonform, technisch ausgereift und an den Einsatzalltag deutscher Behörden angepasst.

Woran es mitunter zu mangeln scheint, ist somit nicht die technologische Fähigkeit, sondern ein Umfeld, das diese Fähigkeit anerkennt und systematisch fördert. Denn auch das beste System nützt wenig, wenn Ausschreibungen Innovationsbereitschaft verhindern. Wer digitale Souveränität ernst meint, sollte den Mittelstand nicht nur einladen, sondern einbinden: mit realistischen Anforderungen, partnerschaftlicher Entwicklung und einem Vergabewesen, das nicht nur kurzfristige Produktreife bewertet, sondern langfristige Innovationsfähigkeit.


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