Public Sector

Eine App für (fast) alles

11. Juli 2024, 14:00 Uhr | Diana Künstler
© Kobil Gruppe

Auch wenn die digitale Verwaltung hierzulande mit dem Onlinezugangsänderungsgesetz zuletzt Auftrieb erhalten hat, läuft diese nach wie vor schleppend voran. Dabei zeigt „OneApp4All“, dass es auch anders geht. Als erste deutsche Stadt setzt Worms auf die SuperApp der Kobil Gruppe.

Ismet Koyun, Kobil
Ismet Koyun, CEO und Gründer der Kobil Gruppe: „Ich plane mit unserer SuperApp die digitale Revolution. Ich möchte jede Stadt und jede Region mit der SuperApp digitalisieren. Wenn alle mitmachen, könnte ich Deutschland innerhalb eines Jahres digitalisieren.“
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Die Digitalisierung in Staat und Verwaltung ist ein Mammutprojekt, für das hierzulande ein langer Atem benötigt wird. Ein unnötig langer Atem, meint Ismet Koyun. Ginge es nach dem CEO und Gründer der Kobil Gruppe, hätte Deutschland bereits innerhalb eines Jahres eine SuperApp am Laufen. Eine Aussage, die Koyun nicht leichtfertig trifft. Dafür hat er in der Branche schon zu viel erlebt (s. auch Teil 2 mit Informationen zu Koyuns Vita): 1978 zog Koyun mit 18 Jahren allein von der Türkei nach Deutschland, um in Worms Informatik zu studieren. 1986 gründete er die IT-Firma Kobil, wo bereits früh PCs mit hochsicherer Zusatzverschlüsselung der Festplatten gebaut wurden. Koyun gehörte zu den Ersten, die die Bedeutung von Datensicherheit bei Internet-Transaktionen erkannten. 1995 gewann er einen Großauftrag der Deutschen Telekom zur bundesweiten Einführung von Chipkartenlesegeräten. 2001 lieferte Kobil das erste Klasse-3-Chipkarten-Lesegerät aus, das vom Zentralen Kreditausschuss (ZKA) zugelassen war. Mittlerweile stammen circa 85 Prozent aller TAN-Generatoren für das Online-Banking in Deutschland und etwa 80 Prozent in der Türkei von Kobil.

Die jüngste Entwicklung des Unternehmens – und damit schließt sich der Kreis zur Gegenwart – ist „Kobil myCity“. Mit der „weltweit ersten OneApp4All“, wie es Koyun ausdrückt, sollen sich die kommunale Verwaltungsdienstleistungen, das gesellschaftliche Leben einer Stadt und regionale sowie überregionale gewerbliche Angebote umfassend und unkompliziert digitalisieren lassen.

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Eine sichere App für alle Belange des Alltags

OneApp4All
„myCity Worms – OneApp4All“ lässt sich kostenlos aus dem Apple App Store oder Google Play Store herunterladen. Kommunale Services und weitere Dienstleistungen sind als Mini-Apps in die SuperApp integriert – darunter Verwaltungs- und Bankendienste. Teilnehmende Unternehmen und Einrichtungen können von Kobil vorintegrierte Mini-Apps, etwa für die Zahlungsabwicklung, digitale Identitätsverifizierung oder Web-Shops, verwenden. Oder sie programmieren ihre Apps selbst. Zudem stellt „myCity Worms“ sichere Chat-Kanäle bereit.
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Die OneApp4All – made in Germany – sei Koyun zufolge weltweit einzigartig und bereits seit 2021 erfolgreich in Istanbul im Einsatz. Circa fünf Millionen Nutzer greifen regelmäßig darauf zu. Als erste deutsche Stadt, die die SuperApp im Einsatz hat, folgt nun aktuell Worms. Seit März ist man dabei, das Projekt für die rheinland-pfälzische Stadt zu realisieren. Mitte August soll der offizielle Startschuss erfolgen.

Das Besondere an der App ist, dass in ihr viele Anwendungen zusammenlaufen sollen, die nicht nur an Behördengänge geknüpft sind: Chat, Verwaltungsservices, Online-Shopping, Essen bestellen, Taxis rufen, Restaurants reservieren, Zahlungen erledigen, Wertanlagen verwalten und vieles mehr. Im Fokus stehe höchste Sicherheit für die Benutzer. Dies sei die Kernkompetenz von Kobil, betont Ismet Koyun. Anders als asiatische Pendants wie WeChat entspreche OneApp4All allerhöchsten Sicherheits- und Datenschutzstandards. Zahlungen erfolgten sicher und geschützt. Die Kommunikation ist verschlüsselt. Jeder Nutzer habe eine eigene, sichere digitale Identität. Die SuperApp sei zudem vollständig DSGVO-konform und erfülle alle OZG 2.0-Anforderungen. Sie berücksichtige unter anderem die DeutschlandID und sogar – mit Blick auf den E-Health-Sektor – die Gematik. Mit ihrer Hilfe sollen sich gesetzeskonforme digitale Verträge abschließen lassen. Wer eine Ware gekauft hat, die nicht in Ordnung ist, könne den Shop zur Verantwortung ziehen. Das bedeutet: Sicherheit und Verbindlichkeit für alle Geschäfte, die über die Plattform abgewickelt werden.

„Wir erheben keine Nutzerdaten und haben keinen Zugang zu Vorlieben, finanzieller Lage oder Aufenthaltsorten der Nutzer“, so Koyun weiter und ergänzt: „Ich plane mit unserer SuperApp die digitale Revolution. Ich möchte jede Stadt und jede Region mit der SuperApp digitalisieren. Wenn alle mitmachen, könnte ich Deutschland innerhalb eines Jahres digitalisieren.“

„Gewaltfreie“ Digitalisierung

Leichter gesagt als getan, sollte man meinen. Schließlich kommt es nicht von ungefähr, dass sich Deutschland bisher in Sachen E-Government im internationalen Vergleich nur im Mittelfeld bewegt. Dies liegt Studien zufolge unter anderem an einer zögerlichen und uneinheitlichen Umsetzung. So war schon bei Inkrafttreten des Onlinezugangsgesetzes (OZG) im Jahr 2017 klar, dass die Verwaltung Ende 2022 nicht „fertig digitalisiert“ sein wird, sondern die Verwaltungsdigitalisierung eine Daueraufgabe darstellt. Nun gab es zuletzt wieder Bewegung in die Richtung, denn am 12. Juni 2024 konnten sich Bund und Ländern zum OZG-Änderungsgesetz (OZG 2.0) einigen. Das Gesetz wird voraussichtlich im Juli 2024 in Kraft treten (s. auch Infokasten unten).

Für Ismet Koyun liegt einer der Gründe für Deutschlands digitales Hinterherhinken darin, dass man „kein Gesicht zeige“, wie er es ausdrückt. „In Deutschland hat man es als kleines, mittleres Unternehmen schwer, etwas zu bewegen. Im Grunde haben wir in der IT-Branche nur eine einzige Firma, die es zu etwas gebracht hat: SAP“, so sein Urteil. Die Amerikaner hätten mehr aus ihrem Potenzial gemacht und auch mehr investiert wie die Beispiele WhatsApp, Microsoft, TikTok, Instagram und Co. zeigen würden. Deutschland und seine IT-Firmen hingegen würden sich nicht klar zur Digitalisierung positionieren – sowohl auf der internationalen Bühne als auch technologisch gesehen. Ihre Existenzgrundlage stehe damit auf sehr dünnem Eis. „Im Grunde, versucht man lediglich den Tag zu retten. Der eine oder andere versucht, etwas zu bewirken. Aber den großen Druckbruch schafft keiner“, resümiert der Kobil-CEO.

Auf die Frage hin, warum sich andere Länder hingegen – wie beispielsweise Schweden oder Dänemark – in Sachen Digitalisierung der Verwaltung leichter tun würden, sieht Ismet Koyun nicht die Vergleichbarkeit mit Deutschland gegeben: Zum einen seien solche Länder einwohnertechnisch ganz anders aufgestellt, zum anderen lägen auch ganz andere Systeme und Strukturen zugrunde. „Das Problem in Deutschland und in solchen Ländern wie Deutschland ist im Grunde genommen vielmehr das, dass Sie mit Gewalt keine Digitalisierung durchsetzen können – auch nicht per Gesetz“, sagt Koyun. Vielmehr müsse man die Nähe zum Nutzer suchen. „Sie müssen dem User etwas geben, was er jeden Tag benutzen kann.“ So geschehen mit der OneApp4All, die neben Behörden und Institutionen auch Start-ups und Dienstleister zusammenbringe, um für die Nutzer ein breites Feld an Anwendungen zu ermöglichen: vom Stromrechnung bezahlen bis hin zur Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel.

Auch Worms habe von Anfang an kleinere und mittlere Betriebe mit einbeziehen und ihnen bei der Digitalisierung helfen wollen. Das habe schon die Ausschreibung zum Projekt gezeigt, sagt Koyun. Kobil habe daraufhin daran teilgenommen und die Ausschreibung auch für sich entscheiden können – schließlich hätte man mit der SuperApp in Istanbul bereits bewiesen, dass ein solches Mammutprojekt möglich ist. „Allerdings hat das Budget von knapp 80.000 Euro, das der Stadt Worms zur Verfügung gestanden hat, nicht ausgereicht“, gibt Ismet Koyun zu bedenken. Den Unternehmer verbindet viel mit Worms; hier hat er studiert und hier lebt er. Deshalb und weil er von der OneApp4All zutiefst überzeugt ist, hat er sich mit Eigenkapital in das Projekt eingebracht. 500.000 Euro bis maximal 1,5 Million Euro ist er bereit beizusteuern, wenn nötig. „Mein Wunsch ist es, ich bleibe bei 500.000 oder bis maximal eine Million. Mehr wird es nicht hoffentlich“, so Koyun.

Weg frei für das neue OZG 2.0

Deutschland ist im Bereich E-Government im internationalen Vergleich nur Mittelmaß. Dies liegt Studien zufolge1 unter anderem an einer zögerlichen und uneinheitlichen Umsetzung. So war schon bei Inkrafttreten des Onlinezugangsgesetzes (OZG) im Jahr 2017 klar, dass die Verwaltung Ende 2022 nicht „fertig digitalisiert“ sein wird, sondern die Verwaltungsdigitalisierung eine Daueraufgabe darstellt. Nun gab es zuletzt wieder Bewegung in die Richtung, denn am 12. Juni 2024 konnten sich Bund und Ländern zum OZG-Änderungsgesetz2 (OZG 2.0) einigen. Das Gesetz wird voraussichtlich im Juli 2024 in Kraft treten. Neben den nachfolgenden Nutzen für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen geht es dabei vor allem auch um die Vereinheitlichung der Digitalisierung in Deutschland. Konkret bedeutet dies, dass der Bund sich verpflichtet, innerhalb von zwei Jahren bundesweit technische Vorgaben, verbindliche Standards und einheitliche Schnittstellen vorzugeben.

Das zentrale Element des OZG 2.0 ist die sogenannte DeutschlandID. Mit dieser sollen Bürger entweder über ihren Online–Ausweis oder mit dem Elster-Zertifikat ihre Identität bestätigen und online Anträge stellen können. Die Notwendigkeit einer händischen Unterschrift gehört somit der Vergangenheit an. Um die Kommunikation mit den Behörden zu digitalisieren und zu beschleunigen, erhält jeder Büger ein digitales Postfach. Darüber werden in Zukunft auch Bescheide zugestellt, die den persönlichen Besuch beim Amt ersetzen.

Auch Unternehmen profitieren
Unternehmen erhalten ein digitales Organisationskonto, über das digitale Verwaltungsleistungen des Bundes sicher und flexibel nutzbar sein sollen. Ziel ist, nach fünf Jahren unternehmensbezogene Verwaltungsleistungen ausschließlich digital anzubieten. Diese Standards sollen bundesweit und einheitlich gelten.

Hoffnung auf den Vorführeffekt

Der Kobil-Chef investiert jedoch auch nicht ohne Eigennutz. Er sieht das Potenzial und den Vorbildcharakter, den das Pilotprojekt in Worms für ganz Deutschland haben könnte. „Haben wir das einmal in Worms realisiert, ist die Grundlage geschaffen – und dann lässt es sich sehr schnell auch auf andere Städte übertragen und beliebig skalieren“, ist sich Koyun sicher. Ziel sei es dann im nächsten Schritt, eine Betreibergesellschaft zu gründen, die anstelle von Kobil solche Projekte übernehmen könne.

Daneben sei das Ganze dem Kobil-Chef zufolge nicht nur eine Budget- sondern auch eine Know-how-Frage. Der Fachkräftemangel ist allgegenwärtig in der IT-Branche. „Insofern bringen wir nicht nur eine Technologie für die Städte, wir bringen auch die Erfahrung mit, daraus neue Geschäftsmöglichkeiten zu generieren.“ Doch noch sei es nicht so weit: Erst einmal müsse man mit dem Pilotprojekt in Worms demonstrieren, wie sich verschiedene Player einbinden ließen – von der Apotheke um die Ecke über die Pizzeria bis hin zum Arzt. Erst dann könne man über neue Geschäftsmöglichkeiten diskutieren.

1 https://www.bidt.digital/themenmonitor-staat-verwaltung/
2 https://www.digitale-verwaltung.de/Webs/DV/DE/onlinezugangsgesetz/das-gesetz/ozg-aenderungsgesetz/ozg-aenderungsgesetz-node.html
Das OZG 2.0 auf einen Blick: https://www.digitale-verwaltung.de/SharedDocs/downloads/Webs/DV/DE/Kurzmeldungen/2024/ozg_aendg_auf_einen_blick.pdf;jsessionid=C641EDAC3EE0CA2AD447E89173E85099.live871?__blob=publicationFile&v=5
Vita von Ismet Koyun: https://www.wirtschaftsgeschichte-rlp.de/a-z/k/kobil-gmbh.html


  1. Eine App für (fast) alles
  2. Hintergrund: Ismet Koyun, ein Unternehmer mit Händchen für die Datensicherheit

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