Reden wir über "Social Intelligence?. Der Ausdruck klingt erst mal nach IQ und EQ - logische Intelligenz, emotionale Intelligenz, soziale Intelligenz. Aber: falsch geraten, Sie fallen runter auf 500 Euro!
"Social? meint nicht "sozial? im Sinne von "karitativ?, sondern schlicht das Online-Miteinander
von Web-Nutzern: "Social? wie in "Social Network?, "Social Media?, "Social Software?, "Social (hier
ein beliebiges Wort einfügen, muss aber englisch klingen)?. Und "Intelligence? bedeutet hier auch
nicht "Intelligenz?, sondern "Datensammlung?: CIA statt IQ. (Der US-Geheimdienst heißt schließlich
nicht "Central Intelligence Agency?, weil die Leute dort so wahnsinnig intelligent sind, sondern
weil sie Daten jagen und sammeln.)
Und wieso muss uns das interessieren? Weil Social Intelligence der wirtschaftliche Motor im
weltweiten Web ist, insbesondere in seiner heutigen, "Web 2.0? oder auch "Mitmach-Web? genannten
Social-Dingsbums-Ausprägung: Jene Firmen machen im Web 2.0 so richtig Reibach, denen es gelingt,
das Verhalten, die Beziehungen und die Beiträge von Benutzern einer Online-Community von vorn bis
hinten zu überwachen und auszuwerten. Beispiele gefällig? Social Intelligence ist das Kerngeschäft
von Google wie auch von Amazon. (?Benutzer, die beim CIA arbeiten, haben sich auch für folgende
Abhörgeräte interessiert??)
Insbesondere Google – de facto die SIA (Social Intelligence Agency) des Web-2.0-Zeitalters –
steht deshalb immer wieder im Kreuzfeuer der Datenschützer und kritischer Journalisten. So hat
kürzlich der Spiegel (Ausgabe vom 11.1.10, S. 58ff) in einem ausführlichen, gründlichen Artikel
namens "Ende der Privatheit? Selbiges beklagt: "Die eifrigsten Nutzer der (Google-)Dienste geben
ihr halbes Leben preis?, warnen die Spiegel-Autoren. "Jede Website, die sie besuchen, jede Werbung,
auf die sie klicken, verrät etwas über sie.? Der Spiegel fordert ein Recht auf Privatsphäre: "
Kontrolle über das, was publik wird und was nicht?.
Nostalgisch reminiszierend heißt es dann: "Früher war das leicht. Da war – außer auf dem Dorf –
zunächst mal alles privat?; lediglich "hie und da? habe man selbst etwas öffentlich gemacht. Im Web
sei dieses Prinzip nun auf den Kopf gestellt: "Alles ist publik, es sei denn, man macht sich die
Mühe, es zu verbergen.?
"Früher?? Wann genau? 1984? Damals, als man sich noch nicht ums Internet sorgte (das noch in den
Kinderschuhen steckte), sondern gegen die Volkszählung, Videokameras an Bahnhöfen und die
Speicherung von Telefonverbindungsdaten protestierte? Ja, was waren das glückliche Zeiten, als
Orwells Big Brother noch ein klares Feindbild lieferte?
Bei uns in Bayern – ich geb?s zu, ich bin ein Münchner Eingeborener – ist das nostalgisch
verklärte Früher aber nicht das herrlich anonyme Großstadtleben der 1980er-Jahre: Der gemeine
wertkonservative Bayer (CSU-Wähler, katholisch, auf dem Land lebend und vor allem nicht zugereist)
schwärmt in solchen Fällen vielmehr vom ausgehenden 19. Jahrhundert, von der "guten alten Zeit?,
als das Tempo noch gemächlich, Bayern noch Monarchie und überhaupt die Welt noch in Ordnung war.
Nicht München 1984, sondern Miesbach 1884.
Der entscheidende Punkt ist deshalb der vom Spiegel verschämt eingeschobene Zusatz "außer auf
dem Dorf?: Damals auf?m Dorf, zu Zeiten von Ludwig dem II. (Gott hab ihn selig), da war das Ende
der Privatheit sehr schnell erreicht: Dank neugieriger Nachbarn, Klatsch und Tratsch wusste man
alles übereinander. Sich entziehen? Ja mei, ? schwierig.
Google, Amazon und Co. transportieren genau diese oft nostalgisch verklärte Dorfgemeinschaft ins
Web. Drum heißt?s ja auch "Global Village? und nicht "Global Metropolis?. Und wie sich "damals? die
Leute nicht aussuchen konnten, in welchem Dorf sie aufwuchsen, ebenso wenig kann sich der heutige
Web-Nutzer das globale Dorf aussuchen. Eben weil?s global ist: Es gibt nur das eine.
Und auf dem Land war?s schon immer so: Wer Privatheit wollte, musste sie sich selbst
verschaffen. Das wusste auch Benjamin Franklin, einer der führenden Intellektuellen der
US-Gründerzeit, der als Autor und Verleger in einer damals noch stark ländlich geprägten Welt
lebte, in der man manuelle Arbeit schätzte und das Lesen (außer das der Bibel) oft suspekt fand.
Was also machte Franklin? Er schob tagsüber immer mal wieder eine Schubkarre übern Hof, damit es
für die Nachbarn so aussah, als arbeite er hart – und abends zog er dann die Vorhänge zu, um
heimlich bei Kerzenschein an seinen Texten und Almanachen zu schreiben.
Umständlich, zugegeben, aber effektiv. Deshalb: Schubkarre her, Vorhänge zu! Wer im globalen
Dorf neugierige Nachbarn abwehren will, muss selber verschleiern, verheimlichen und vertuschen. Das
nimmt einem niemand ab – da hilft kein Jammern über das Idyll von Anno 1984.
PS: Benutzer, die blickdichte Vorhänge gekauft haben, interessierten sich auch für folgende
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LANline/
Dr. Wilhelm Greiner