Das Urteil des Verfassungsgerichts zu Onlinedurchsuchungen hat Deutschland vor der Verwirklichung unheimlicher Machtphantasien der Innenminister und Strafverfolger auf Länder- und Bundesebene bewahrt. Damit erschöpft sich die Bedeutung des Richterspruchs aber keineswegs. Viel spannender ist das neue "Grundrecht auf die Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme", das im Zuge der Verhandlung eingeführt wurde. Es betrifft offenbar sowohl die Daten als auch die Technik und hat komplexe gesellschaftliche Implikationen.
Als CSO eines Unternehmens sieht man darin auf den ersten Blick vielleicht keine große Bedeutung
– außer der, dass staatliches Schnüffeln auf Firmenspeichern weiter erschwert wird und dass eine
Verletzung der Informationssicherheit nun leichter als bisher als Grundrechtsverletzung
interpretiert werden kann.
Interessant ist aber durchaus, wie es in Zukunft um den Zugriff der Unternehmen auf die
Mitarbeiter-PCs steht. Bei Rechnern, die dem Unternehmen gehören, bleibt es natürlich bei der
Möglichkeit, sie als Firmeneigentum restriktiv zu verwalten. Diese Praxis wird allerdings stärker
als bisher Kritik heraufbeschwören, denn Computer sind nun höchstrichterlich als Mittel der
individuellen Entfaltung qualifiziert. Als Werkzeuge, wenn man sie überhaupt noch so nennen darf,
rücken sie in die Reihe der persönlichen Notiz- und Skizzenbücher. Auf derartige Arbeitsmittel von
Mitarbeitern konnte ein Unternehmen noch nie zugreifen, ohne das Vertrauensverhältnis zu seinen
Arbeitskräften grundlegend zu zerstören. Da half es auch nichts, wenn das Papier dem Arbeitgeber
gehörte: Es ist einfach unfair, ins Unreine geschriebene Gedanken bereits zu kontrollieren. Schön
wäre es, wenn das Urteil hier einen Einfluss auf die Sicherheitsrichtlinien der Firmen für den
Umgang mit PCs haben würde: Mehr Respekt für die informationelle Selbstbestimmung der Mitarbeiter
könnte so manches Unternehmen gut vertragen.
Erst recht wirkt sich das Urteil aber wahrscheinlich auf Firmen aus, die im großen Maßstab fest
angestellte Mitarbeiter durch Freelancer ersetzen. Diese Unternehmen müssen nun endgültig jeden
Gedanken an einen Zugriff auf die Geräte ihrer Vertragspartner aufgeben, denn gegen Grundrechte
helfen nicht einmal Knebelverträge. Man darf also folgern: Es stehen Investitionen in flexible
Remote-Access-Lösungen an, die auch mit Privatrechnern im Netz zurechtkommen. Die Technik muss sich
mehr denn je den Endanwendern anpassen. Und das ist auch gut so!