Dabei ignoriert Oettinger, dass fast genauso viele Internet-Nutzer auf die Links bei Content-Aggregatoren klicken, um sich den Artikel auf der Original-Website durchzulesen, nämlich 45 Prozent. Folgt man seiner Argumentation, wäre kein Leistungsschutzrecht notwendig, wenn sich alle User zu den kompletten Beiträgen durchklicken. Das Problem: Dann würden Google und Co. zwar den Medienseiten keine Leser wegnehmen, ihr Geschäftsmodell aber weiter auf deren Inhalten aufbauen, was viele Verleger stört. Dabei haben die Internet-Nutzer eigentlich nur ihr Verhalten aus der Offline-Welt, in der man am Zeitungskiosk seinen Blick über die verschiedenen Blätter und Schlagzeilen streifen lässt, ins Internet übertragen. Niemand würde auf die Idee kommen, dass Besitzer eines Kiosks an Verlage zahlen müssen, weil nicht alle Besucher etwas kaufen.
Auf einer Veranstaltung der EU-Kommission darauf angesprochen, dass viele Online-Medien einen großen Teil ihrer Besucher über Suchmaschinen bekommen, zweifelte Oettinger an, dass die Redaktionen (beziehungsweise deren Chefredakteure) überhaupt die Zahlen kennen würden – das sei gar nicht ihr Job, sondern der der Verleger. Und hier stehen viele auf Seiten des EU-Kommissars, der sie bereits im September aufforderte, ihre Online-Redaktionen auf Linie zu bringen. Natürlich nicht durch Zensur, sondern durch Überzeugung und Argumente. Beim DJV, dem Deutschen Journalisten-Verband, fragte man sich anschließend, »ob Oettinger sich eigentlich als Print-Lobbyist oder als Digitalkommissar versteht«.
So sehr Oettinger und viele Verleger auch für das Leistungsschutzrecht trommeln, so unklar ist derzeit noch, ob es überhaupt nennenswerte Summen in die Verlagskassen spülen kann. In Deutschland, wo im Sommer 2013 eine entsprechende Regelung eingeführt wurde, sammelte die zuständige VG Media in knapp drei Jahren nur gut 700.000 Euro ein – und das bei 330 Rechteinhabern, die sie vertritt. Allerdings tat sie sich auch schwer, überhaupt Lizenzverträge mit Internet-Anbietern auszuhandeln. Google und andere Web-Portale verzichteten lieber darauf, die Inhalte der betreffenden Verlage anzuzeigen.
Dies habe zu erheblichen Traffic-Verlusten geführt und die Refinanzierbarkeit der Angebote gefährdet, heißt es in einer Stellungnahme der VG Media gegenüber der EU-Kommission zum europaweiten Leistungsschutzrecht. Einen besseren Beweis, wie wichtig Suchmaschinen, Content-Aggregatoren und soziale Netzwerke für Inhalte-Anbieter sind, kann es eigentlich nicht geben. Die betroffenen Verlage räumten Google damals jedenfalls ziemlich schnell eine »Gratiseinwilligung« ein, um eine Wiederaufnahme ihrer Inhalte zu erreichen.