Der Diesel ist gar nicht Schuld an den schlechten Luftwerten in deutschen Städten! Jetzt kann man Stuttgart sogar zum Luftkurort erklären.
Der Streit um innerstädtische Fahrverbote für Dieselfahrzeuge hat sich vergangene Woche im wahrsten Sinne des Wortes in Luft aufgelöst. Wie man jetzt überraschend festgestellt hat, sind Diesel-Pkw gar nicht schuld an der Stickstoff- und Feinstaubbelastung in unseren Städten. Man hat nämlich schlicht die Luftmessstationen falsch postiert. Sie sind viel zu nah am Straßenrand aufgestellt worden, blöderweise zu einer Zeit, als es keine SUVs gab. Nun stehen sie also auf Auspuff-Augenhöhe dieser Boliden und messen – wen wundert es – völlig überzogene Werte. Niemand hat diesem Schachverhalt je Aufmerksamkeit geschenkt.
Man misst also dort, wo höchstens eine äußerst kleine Minderheit im Stadtverkehr betroffen ist: Liegeradfahrer. Da die ohnehin nur den Verkehrsfluss behindern, braucht man auf diese Querulanten nun auch keine Rücksicht zu nehmen. Sie sind dem mächtigen Verband der Autoindustrie (VAD) eh ein Dorn im Auge.
Die hitzige, ideologisch geführte Diskussion um innerstädtische Fahrverbote dürfte der neue CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer alsbald zum Verstummen bringen. Erst recht stoppen wird er die Forderungen nach Umrüstung älterer Diesel. Die Logik dieser neuen Sichtweise entnehmen wir dem Handbuch für Lobbyisten, Kapitel Krisenkommunikation. Dort lesen wir, wie man ein Problem solange dreht und wendet, bis es sich pulverisiert und andere Schuldige gefunden sind. »Paralyse durch Analyse« heißt der kommunikative Fachbegriff.
Wie geht es nun weiter mit Dieselgate? Nachdem die Messstationen abmontiert und neben Mobilfunkmasten auf Wolkenkratzern postiert wurden, fällt die Technologiefolgeabschätzung von Dieselmotoren überaus positiv aus. Scheuers erste Amtshandlung: Persilscheine für alle Diesel. Sogar Dieselrösser von Fendt aus den 30er-Jahren dürfen in Stuttgart fahren.
Apropos Stuttgart. Die Landeshauptstadt liegt bekanntermaßen im Talkessel, wo man bei Inversionslage die Hand vor Augen kaum sieht. Das hindert Scheuer nicht daran, Stuttgart bald zum Luftkurort zu erheben, zum neuen Davos des Schwabenlands. Eingebettet zwischen Wäldchen und Weinhängen lässt sich im Schlossgarten prima kuren. Nur Liege-radfahrer brechen gelegentlich bewusstlos am Straßenrand zusammen. Wahrscheinlich sind zu hohe Bordsteine daran schuld.