Biegeunempflindliche Fasern versprechen niedrige Verluste auch bei kleinsten Biegeradien von wenigen Millimetern. So lassen sich Dämpfungserhöhungen vermeiden. Aber diese Eigenschaften müssen durch Kompromisse im Faserdesign erkauft werden. Es gilt, alle Aspekte zu beleuchten und genau abzuwägen, ob die Vorteile bei biegeunempfindlichen Multimode-Fasern die Nachteile überwiegen.
Lichtwellenleiter kommen schon längst nicht nur in Weitverkehrsstrecken mit sehr hohen
Datenraten und Entfernungen von mehreren hundert Kilometern zum Einsatz. Bei Einmodenfasern für den
Zugangsbereich ist seit ein paar Jahren ein Trend zu biegeunempfindlichen Fasern zu beobachten, mit
denen auch noch Verlegungen auf engstem Raum, über zum Teil sehr scharfe Ecken herum und sogar eine
(vielleicht nicht unbedingt empfehlenswerte) Befestigung mittels Heftklammern möglich sind.
Ähnliche Ansätze sieht man nun auch bei Multimodenfasern (MMF), die ihrerseits sehr enge
Biegeradien garantieren sollen, und zwar ohne eine signifikante Dämpfungserhöhung. Allerdings sind
bei MMF einige zusätzliche Dinge zu beachten, beispielsweise die Leistungsverteilung bei der
Einkopplung in die Faser, sodass man oft einen Kompromiss bezüglich weiterer Eigenschaften wie
Bandbreite und Steckerdämpfung eingehen muss.
Während man die Übertragungseigenschaften von Einmodenfasern direkt messen kann, hängen diese
bei MMF nämlich davon ab, welche Moden abgeregt sind und wie viel Leistung sie führen. Die Moden
sind im Allgemeinen unterschiedlich schnell, was zu einer begrenzten Bandbreite führt, zum anderen
erfahren sie unterschiedlich große Verluste entlang der Faser oder an Steckern und Spleißen, sodass
die Auswirkung von Verbindungsstellen je nach Leistungsverteilung auch unterschiedlich stark sein
kann.
Zudem liegt der Einsatzbereich von MMF oft gar nicht in der Gebäudeverkabelung, sondern eher in
Rechenzentren, Vermittungsstellen und anderen technischen Einrichtungen mit einem hohen Bedarf an
hochbitratigen Kurzstreckenverbindungen. Dort spielt die Installation in engen Schächten und um
scharfe Ecken kaum eine Rolle, sodass sich die Frage stellt, welchen Nutzen biegeunempfindliche MMF
in der Realität wirklich haben und ob dieser die einzugehenden Kompromisse aufwiegt.
Biegeverluste entstehen dadurch, dass in Biegungen ursprünglich geführte Moden Leistung an nicht
geführte Strahlungsmoden abgeben. Es entsteht im Allgemeinen eine Umverteilung von Leistung von
niedrigen Moden, die die Leistung eher im Zentrum der Faser um die Faserachse herum konzentrieren,
hin zu höheren Moden, die eine breitere Feldverteilung aufweisen und die Leistung eher am Kernrand
führen, oder sogar zu noch höheren Moden, die gar nicht mehr richtig geführt werden und ihre
Leistung langsam abstrahlen. Zudem sind in einer gebogenen Faser alle Moden verlustbehaftet. Dies
lässt sich bildlich damit erklären, dass die äußeren Felder einen längeren Weg zurücklegen müssen
und somit weiter außen immer schneller sein müssen.
Ab dem Radius, für den die Ausbreitungsgeschwindigkeit die Lichtgeschwindigkeit überschreiten
würde, wird die Leistung wie bei einer Antenne abgestrahlt. Für geringere Biegeverluste muss das
Licht also stärker innerhalb der Faser geführt sein und die Felder nach außen schnell abklingen.
Dies lässt sich in der Regel nur durch einen möglichst großen Brechzahlunterschied zwischen Kern-
und Mantelbereich realisieren. Da genau diese Brechzahldifferenz auch die numerische Apertur der
Faser definiert, ist diese bei biegeunempfindlichen Fasern meist etwas erhöht.
Um den Standard für die numerische Apertur einzuhalten, weisen biegeunempfindliche Fasern oft
zusätzlich Grabenstrukturen – also Bereiche mit lokal abgesenktem Brechungsindex – direkt am
Kernrand auf. Diese Bereiche wirken lokal wie ein Stufenprofil und sorgen dafür, dass dort mehr
Moden geführt werden können. Den schematischen Aufbau solcher Brechzahlprofile zeigt das Bild
oben.
Das graduell abfallende Brechzahlprofil einer normalen MMF sorgt dafür, dass die
ausbreitungsfähigen Moden ungefähr die gleichen Laufzeiten aufweisen. Gleichzeitig bewirkt es, dass
im Zentrum der Faser nahe der Achse mehr Leistung geführt werden kann und diese zum Rand hin immer
mehr abnimmt. Dies ist bei biegeunempfindlichen MMF anders. Durch die Grabenstrukturen am Rand des
Kerns können sich dort mehr Moden ausbreiten, sodass sich das Verhältnis der ausbreitungsfähigen
Moden mehr zu den höheren Moden hin verschiebt. Da das Brechzahlprofil zum Rand des Kerns hin immer
steiler wird und sich somit die Brechzahl zum Rand hin immer schneller verringert, sind die
Laufzeiten der höheren Moden schwerer zu kontrollieren.
Der zum Rand hin zunehmende Einfluss des Mantels verstärkt diesen Effekt noch. Aus diesem Grunde
gilt die Forderung, dass bei der Einkopplung ein Großteil der Leistung eher in die inneren Bereiche
der Faser gekoppelt wird und nur ein gewisser Anteil der Leistung in den höheren Mode eingeht. Für
die Beurteilung der Bandbreite der Faser geht man zudem davon aus, dass die höchsten Moden mit viel
Leistung nahe des Mantelbereichs so viel Dämpfung erfahren, dass sie recht schnell abklingen und
die Bandbreite nicht negativ beeinflussen können.
Bei der Fertigung wird natürlich die Bandbreite der Faser unter kontrollierter Einkopplung oder
Leistungsverteilung gemessen, sodass die vorgegebene Bandbreite zunächst gewährleistet ist. Bei
Biegungen, für die die Faser ausgelegt ist, tauschen die Moden Leistung untereinander aus, sodass
man nach der Biegung mehr Leistung in den hohen und höchsten Moden der Faser messen kann und die
ursprünglichen Annahmen über die Leistungsverteilung nicht automatisch noch erfüllt sein müssen.
Bei klassischen MMF entsteht zwar zunächst derselbe Effekt. Da die Biegung jedoch dazu führt, dass
die höheren Moden stark gedämpft sind und zu einem Biegeverlust führen, kann man eher schmalere
Leistungsverteilung messen. Die Leistungsverteilung erfüllt weiterhin die Vorgaben.
Aus den obigen Ausführen lässt sich schließen, dass biegeunempfindliche MMF zwar zu kaum einer
Dämpfungserhöhung führen, dafür aber tendenziell breitere Leistungsverteilungen aufweisen und auch
noch die höchsten Moden angeregt sind. Dies kann dazu führen, dass die Faser nach der Biegung so
ungünstig angeregt ist, dass ihre Bandbreite stark abnimmt, sogar deutlich unter den unter
Standardbedingungen gemessenen Wert. Da gerade die höchsten Moden oft die stärksten
Laufzeitstörungen aufweisen, ist dieser Fall gar nicht so ungewöhnlich. Man muss also unter
Umständen abwägen, ob die Dämpfungserhöhung oder eine Bandbreitenverringerung schwerer wiegen.