Siemon eröffnet Europa-Niederlassung in Tschechien

Bahn frei für Kategorie 7

18. Januar 2007, 23:00 Uhr | Stefan Mutschler

Viele Jahre schon plädieren vornehmlich Kabelhersteller aus dem deutschsprachigen Raum für geschirmte Kabel der Kategorie 7, Klasse F. Den langfristig denkenden Qualitätsliebhabern haben jedoch bislang gern die weltweiten Branchengrößen in die Suppe gespuckt: Sie hielten lange das Kategorie-5-Fähnchen hoch - für 10-Gigabit-Anwendungen kamen sie mit Spezialformen von Kategorie-6/Klasse E. Für Neuverkabelungen empfehlen nun auch die eingefleischten UTP-Verfechter mehr und mehr geschirmtes Kategorie-7-Material. Siemon geht sogar noch einen Schritt weiter. Anlässlich der Werkseinweihung in Brno erläuterte das Management, warum "Cablesharing" künftig auch in der Datenwelt ein wichtiger Faktor werden wird.

Die Fakten sprechen für sich: 10GbE ist bereits heute Realität. Folglich muss ein auf zehn bis
15 Jahre kalkuliertes Verkabelungssystem nicht nur mit 10GbE umgehen können, sondern auch noch Raum
für künftige Entwicklungen bieten. Während die Standards für ein 10GbE-geeignetes
Kategorie-6/Klasse-E-System (die "Augmented"-Version 6A/EA mit Erweiterungen in den Spezifikationen
für Frequenzen bis 500 MHz) erst frühestens Mitte 2007 unter Dach und Fach sein sollen, sind die
Standards bei Kategorie 7/Klasse F bereits seit 1999 festgezurrt und praxiserprobt. Die
Spezifikationen für Kabel und Stecker decken dabei Frequenzen bis 600 MHz – in der derzeit
entwickelten 7A/FA-Version sogar bis 1000 MHz ab. Experten gehen davon aus, dass damit auch noch
die nächste Generation der Netzwerktechnik – sei es nun 40 oder 100GbE – sicher funktionieren wird.
Wenn es um Investitionssicherheit geht, wird die Luft für die Kategorie-7-Konkurrenten also
inzwischen sehr dünn. Deutlich wird auch, dass die Daseinsberechtigung für Kategorie 6 bei
genauerem Hinsehen ziemlich fragwürdig erscheint. "Möglicherweise ereilt Kategorie 6 ein ähnliches
Schicksal wie Kategorie 4", spekuliert bereits Keith Aston, Managing Director für Siemon EMEA
(Europe, Middle East, Africa). "Die reale Entwicklung in den Netzwerken hat die Bemühungen um eine
praxisgerechte Kabel- und Steckerspezifikation hier bereits überholt." Genau das war auch bei
Kategorie 4 passiert, das praktisch bedeutungslos blieb.

Siemon gehört zu den Verkabelungsvollsortimentern mit Produkten sowohl auf Kupfer- (geschirmt
und ungeschirmt) als auch Glasfaserbasis. Ihr derzeitiger Chef John Siemon repräsentiert die vierte
Generation des in Privatbesitz befindlichen Familienunternehmens, das 2006 sein 100-jähriges
Jubiläum in der Kommunikationsbranche feiert (Gründung war 1903). Auf diesem Sektor hält Siemon
derzeit etwa 400 aktive Patente. Den Drang, die Grenzen der Heimat USA zu sprengen, entwickelte das
Unternehmen erst relativ spät. So starteten die Europa-Aktivitäten im Jahr 2001, die deutsche
Niederlassung in Frankfurt wurde 2002 gegründet. Inzwischen umspannt das Netz der Büros,
Niederlassungen und Partner nicht nur Europa, sondern fast alle Industrieregionen rund um den
Globus.

Einen neuen Meilenstein in der Marktpräsenz soll das neue Werksgelände im tschechischen Brno
(Brünn) setzen, das Ende Oktober offiziell eröffnet wurde. Die dort errichtete Fabrikhalle fungiert
nun als zent-raler Lager- Logistik- und Distributionsknotenpunkt für Europa, den Nahen Osten und
Afrika (EMEA). Darüber hinaus gibt es auf dem 1900 Quadratmeter umfassenden Gelände
Assemblierungsstrassen, wo Kabel nach den Wünschen der Kunden zusammengebaut und konfektioniert
werden, außerdem Büros für Ingenieure und Management.

Eine Frage der Effizienz: Cablesharing

John Siemon und einige der technischen Siemon-Manager aus Europa nutzten die Einweihung, um ihre
Sicht des Kabelmarkts und seine Entwicklung über die nächsten Jahre zu erläutern. Im Rahmen des
klaren Kategorie-7-Bekenntnisses kam dabei auch ein bislang in der Datenwelt eher wenig beachtetes,
teilweise sogar regelrecht verpöntes Thema zur Sprache: Cablesharing. Dabei geht es um die Technik,
mehrere Anwendungen parallel über unterschiedliche Paare einer Twisted-Pair-Verkabelung laufen zu
lassen. In Anbetracht der Tatsache, dass heute gemäß internationaler Normen jeder Arbeitsplatz über
mindestens zwei Datenanschlüsse verfügt – in Deutschland sind es sogar oft vier – verspricht
Cablesharing drastische Kosteneinsparungen. Auch die meist separaten Telefonanschlüsse lassen sich
hier integrieren. Die meisten der an einem typischen Arbeitsplatz genutzten Dienste kommen mit
einem (analoge Telefonie, CATV) oder zwei (VoIP, Video over IP, 100Base-T) Adernpaaren aus, bei
konventionellen Verkabelungen werden aber pro Dienst üblicherweise vier Adernpaare zur Verfügung
gestellt. Im Extremfall lassen sich beispielsweise in einem Callcenter vier analoge Anschlüsse
durch einen einzigen "shared" Anschluss abbilden. "Bei herkömmlichen Verkabelungen bleiben in der
Regel außer bei Gigabit-Ethernet mindestens zwei Paare ungenutzt", so Peter Breuer, bei Siemon als
Regional Director für den Bereich Central und Osteuropa verantwortlich. "Auch können bei
hochwertigen Kategorie-7/Klasse-F-Verkabelungen CATV und CCTV Anwendungen, die normalerweise über
Koax-Kabel laufen, mithilfe von Video-Baluns über ein Adernpaar realisiert werden."

Kabel-Sharing war in der Vergangenheit bis zur Anpassung der Klasse F, S/STP Verkabelung bei den
maßgeblichen Standardisierungsorganisationen wie der ISO wenig populär. Dies lag daran, dass die
Auswirkungen des Übersprechens (Crosstalk) bei UTP- und F/UTP-Systemen bei mehreren Anwendungen in
einem Kabel schwer voraussehbar waren. Erst mit den S/STP-Verkabelungen, die über einzeln
geschirmte Adernpaare verfügen, ließ sich garantieren, dass mehrere Anwendungen über eine
Klasse-F-Verbindung ohne Störung funktionieren.

Die Anforderungen für Klasse F wurden bereits im ISO/IEC Standard 11801 im Jahr 1999
veröffentlicht. Klasse-F-Verkabelungen basieren auf einem paarweise geschirmten Kategorie-7-Kabel
und entsprechenden Anschlusskomponenten, die eine Bandbreite von bis zu 600 MHz realisieren. Die
bevorzugte Anschlusskomponente für Kabel-Sharing ist nicht RJ45, sondern ein spezielles, aus
mehreren Kammern aufgebautes Interface (IEC 61073-3-104). Das Steckergesicht erlaubt durch die
einzelnen Kammern eine Nutzung von ein-, zwei- und vierpaarigen Anschlüssen. Auf der Gegenseite
kann die Adaption mit entsprechenden RJ11- oder RJ45-Steckern durchgeführt werden.

Anschlusshardware einsparen

Die gleichen Interface-Normen sollen auch für die neue Klasse FA gelten, die bis 1000 MHz
spezifiziert ist. Auf diesen Verbindungen sollen dann auch CATV-Anwendungen mit einer Bandbreite
von bis zu 862 MHz ohne Probleme unterstützt werden. "Der Einsatz von Cablesharing bietet eine
extrem große Flexibilität und unterstützt eine große Anzahl von Konfigurationen", so Breuer. "
Bereits ein Anschluss kann heute die Anforderungen der meisten Endanwender abdecken. Bei Verwendung
von Cablesharing in Call- und Fax-Centern lassen sich bis zu zehn Prozent Material- und bis zu 38
Prozent Anschlusshardware einsparen. In anderen Umgebungen wie Klassenräumen, Trainingszentren, im
Gesundheitswesen und bei Überwachungseinrichtungen liegt das Einsparungspotenzial sogar noch höher."
Während der Verkabelungsmarkt weltweit derzeit jährlich um lediglich zwei Prozent wächst (in
vielen Regionen sind sogar rückläufige Umsatzzahlen zu beobachten), verweist Siemon auf ein seit
mehreren Jahren stabiles Wachstum von jeweils über 50 Prozent. Absolute Zahlen waren nicht zu
bekommen – Folge der US-Regularien für privat geführte Unternehmen. Sahnestückchen der
Kupferverkabelung ist "Tera". Das Kategorie-7/Klasse F-Netzwerkverkabelungssystem eignet sich für
10GbE und unterstützt Cablesharing. Im Sommer dieses Jahres wurde es in den USA als "Tempest/Emsec"
-tauglich zertifiziert. Dies ist ein von der US-Regierung entwickelter Sicherheitsstandard, der
garantieren soll, dass geheime Daten (etwa der Heimatschutzorganisation und des Militärs) vor dem
Abhören geschützt sind. Mit den in Richtung 7A/Klasse FA weiterentwickelten Tera-Systemen will
Siemon auch in den kommenden Jahren ein hohes Wachstum sichern.


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