Fallstudiensammlung für das Enterprise 2.0

Best Practices beim Social-Software-Einsatz

1. April 2010, 3:00 Uhr | Dr. Wilhelm Greiner

Unter www.e20cases.org an den Start gegangen ist kürzlich eine Sammlung von Fallstudien für den Einsatz von Social Software im Unternehmen - auch Enterprise 2.0 genannt, daher der Name der Site. LANline sprach mit einem der Initiatoren dieses Fallstudiennetzwerks, mit Prof. Michael Koch von der Fakultät für Informatik der Hochschule der Bundeswehr in München, über Einsatzfälle, Best Practices, Mitarbeitermotivation, den Nutzen externer Social Networks und Richtlinien.

LANline: Herr Prof. Koch, mit e20cases.org wurde kürzlich eine Plattform für die
Sammlung von Enterprise-2.0-Fallstudien geschaffen. Was gab den Anlass dafür?

Koch: Enterprise 2.0 ist ein relativ neues Phänomen, mit dem die Theoretiker wie
auch die Praktiker in Unternehmen noch Probleme haben. Häufig fehlen gute Beispiele dafür, wie man
Enterprise 2.0 adäquat umsetzen kann. Denn bei der Einführung von Social Software im Unternehmen
geht es nicht nur um den Kauf einer Software, sondern um ein komplexes Projekt, das die
Umgestaltung von Unternehmensstrukturen sowie Motivationsmaßnahmen umfasst. Deshalb lohnt sich
hier, Theoretikern und Praktikern Fallbeispiele an die Hand zu geben, die nicht von
Herstellerinteressen geprägt, sondern von Wissenschaftlern so objektiv wie möglich beschrieben
sind.

LANline: Wer steht hinter dem Projekt?

Koch: Hinter dem Fallstudiennetzwerk stehen vier Hochschulen aus Deutschland,
Österreich und der Schweiz: die Universität St. Gallen, die TU Graz, die European Business School
und die Universität der Bundeswehr München. Wir haben die Fallstudien bewusst deutschsprachig
gehalten.

LANline: Für welche Zielsetzungen kommt Social Software in Unternehmen besonders
wirkungsvoll zum Einsatz?

Koch: Generalisierend kann man sagen: im Wissens-Management. Dieses Thema bewegt
die Unternehmen schon seit Jahrzehnten. Bisher wurde viel Wissen in Datenbanken gesteckt. Social
Software setzt nun genau da an, den Fokus auf die beteiligten Menschen zu richten, sie in die
Wissens-Management-Prozesse einzubeziehen und Kontakte zwischen Menschen zu erleichtern. Das kann
über ein Wiki erfolgen, über Blogs oder über ein Intranet-2.0-Projekt.

LANline: Bedeutet dies, dass die Anbieter von DMS-Lösungen
(Document-Management-System) für Enterprise-2.0-Vorhaben besonders gute Karten haben?

Koch: Die DMS-Anbieter haben eine gute Ausgangsposition, aber meist nutzen sie
diese nicht. Viele Anbieter ergänzen ihre Werkzeuge zwar um Social-Software-Funktionalität, tun
dies aber meist nur halbherzig und ohne einen klare Umorientierung von der dokumentenzentrierten
Sichtweise hin zur personenzentrierten Sichtweise. Deshalb sehen wir vielfach neuere Anbieter wie
Jive oder Atlassian neben DMS-Lösungen. Sogar die Solu­tion-Partner der großen Anbieter wie
IBM/Lotus oder Microsoft tun sich oft schwer, das Thema Social Software beim Kunden richtig "
rüberzubringen".

LANline: Was würden Sie zusammenfassend bei der Social-Software-Einführung im
Unternehmen als Best-Practice-Vorgehen bezeichnen?

Koch: Zunächst sollte man möglichst unbefangen die richtigen Stakeholder an Bord
holen. Denn erfolgreiche Projekte werden häufig von außerhalb der IT angestoßen oder getrieben, zum
Beispiel von der Internen Kommunikation oder von der Personalabteilung zu Zwecken der
Weiterbildung. Die IT sollte deren Anforderungen erfahren und das Commitment der Beteiligten
einholen. Die Erfahrung zeigt, dass durchaus auch IT-getriebene Projekte funktionieren, aber nur,
wenn sie die übrigen Stakeholder mit einbeziehen. Auf jeden Fall benötigt man besonders in der
Anfangsphase Mitarbeiter, die das Projekt mit hoher Motivation vorantreiben.

LANline: Welche Maßnahmen sind besonders geeignet, die Akzeptanz und Motivation
der Mitarbeiter für Social Software zu fördern?

Koch: Man kann und sollte die Menschen nicht zwingen, bei einer
Social-Software-Lösung mitzumachen. Deshalb muss man vor allem den Nutzen für jeden einzelnen
Mitarbeiter im Auge behalten. Jeder Mensch hat einen kleinen Egoisten in sich und engagiert sich
nur, wenn es ihm etwas bringt. Das heißt, man sollte einen konkreten Nutzen realisieren und diesen
vor allem auch sichtbar machen und kommunizieren. So sollten zum Beispiel die Dokumentation und die
Schulungen nicht nur beschreiben, wie man ein Dokument hochlädt, sondern auch, warum man das
Dokument hochladen sollte, welchen Mehrwert man erhält. Die Mitarbeiter sollte man möglichst früh
einbeziehen, und auch ein bisschen Werbung im Sinne viralen Marketings kann nicht schaden. Neben
dem Nutzen für die Anwender steht aber natürlich der Nutzen für das Unternehmen: Hier hat es noch
nie geschadet, über Ziele und KPIs (Key Performance Indicators) nachzudenken.

LANline: Verbreitet findet man die Maxime "Wissen ist Macht". Wie motiviert man
Mitarbeiter, die ihr Expertenwissen als Karrierevorteil betrachten, ihr Wissen per Blog oder Wiki
in einem firmeninternen Social Network mit anderen zu teilen?

Koch: Die meisten Unternehmen haben sich hier bereits sehr stark weiterentwickelt
und sind heute schon viel kollaborativer, als es nach außen den Anschein hat. Häufig fehlen
tatsächlich nur noch die Hilfsmittel, um die freien Informationsflüsse zu ermöglichen. Darin liegt
heute der Hauptbeitrag von Social Software. Viele Unternehmen brauchen kein grundlegendes Umdenken
mehr, sondern nur noch Tools zur Umsetzung.

LANline: Wie wichtig ist eine intuitive grafische Aufbereitung und die
Benutzerfreundlichkeit von Social Software im Vergleich zum reinen Gehalt an gebotenen
Informationen und Funktionen?

Koch: Sehr wichtig für den Erfolg von Social Software ist es, dass das Verhältnis
zwischen Aufwand und Nutzen für jeden einzelnen Benutzer möglichst positiv ausfällt, also der
Aufwand für den Benutzer möglichst gering bleibt. Das Interface sollte dafür gewissen bekannten
Metaphern folgen. Was bekannt und intuitiv ist, ist hier aber auf jeden Fall noch Gegenstand der
Forschung. Insbesondere bei Einbeziehung neuer Ein- und Ausgabegeräte wie großer Wandbildschirme
oder Pads haben sich hier noch keine klaren Foki herausgebildet.

LANline: Wie misst man den Erfolg eines firmeninternen
Social-Software-Projekts?

Koch: Das ist ein sehr weites Feld. Es gibt mehrere Hundert Kennzahlen, die man
verwenden könnte. Man sollte das meiner Meinung nach pragmatisch angehen, denn für den finanziellen
Erfolg eines Wissens-Management-Vorhabens reicht es mitunter schon, zwei Mitarbeiter zum
produktiven Austausch zusammenzubringen. In die Kommunikation eines Social-Software-Projekts sollte
deshalb auch die anekdotische Erfolgsbeschreibung mit einfließen. Das macht auch den Endanwendern
den Nutzen der Software leichter zugänglich.

LANline: Unternehmen sehen sich rechtlich genötigt, Richtlinien für den Umgang mit
Social Software zu veröffentlichen – wobei Vorschriften aber die Motivation dämpfen können. Was
betrachten Sie hier als Best Practice?

Koch: Ein Unternehmen braucht auf jeden Fall Social-Software-Richtlinien! Denn
diese können auch erst einmal zur Nutzung motivieren, indem sie Unsicherheiten abbauen. Als Best
Practice würde ich es erachten, die wichtigsten zehn Punkte in jeweils einem Satz ausformuliert zu
kommunizieren. Die Richtlinien in den Unternehmen sind teils zu umfangreich.

LANline: Manche Berater empfehlen, solche Richtlinien auf zwei Punkte zu
reduzieren: 1. Nennen Sie Ihren Namen und Ihre Unternehmenszugehörigkeit. 2. Posten Sie nichts, was
Ihrem Ruf oder der Reputation Ihres Unternehmens schaden könnte. Ist das zu spartanisch
formuliert?

Koch: Die Richtlinien sollten zugleich aufzeigen, was man positiv mit Social
Software erreichen kann. Die beiden zitierten Sätze sind zwar kurz und knackig, sie geben aber
keine Anregung für den Umgang mit Social Software.

LANline: Wann ist die Nutzung öffentlicher Social Networks sinnvoll?

Koch: Sinnvoll ist das immer dann, wenn es darum geht, sich mit Externen
auszutauschen. Es gibt zahlreiche Mittelständler, die ihre Kontakte mit Lieferanten und Kunden
recht gut in Xing und Linkedin verwalten. Die Plattformen ermöglichen einen regen Infoaustausch,
was sonst nur über Newsletter funktionieren würde. Hier gibt es einen fließenden Übergang zu
Marketing-Communities.

LANline: Was sind die größten Fehler, die bei der Einführung von Social Software
gemacht werden?

Koch: Hier gilt das zu Best Practices Gesagte im Umkehrschluss: Ein
Social-Software-Projekt ausschließlich der IT zu übergeben wäre ebenso falsch wie der Ansatz, die
IT ganz außen vor zu lassen. Im Übrigen braucht man ein klares Ziel und darf die Motivation derer,
die etwas zum Social Network beitragen sollen, nicht aus den Augen verlieren.

LANline: Herr Professor Koch, vielen Dank für das Gespräch.


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