Was ist Cloud Computing, und was bedeutet diese Technik für den professionellen IT-Einsatz? Wer könnte besser auf diese und andere Fragen rund um den "wolkigen" Begriff antworten als ein Mann, dessen Position als CTO ihn ausdrücklich dazu verpflichtet, die IT-Trends der Zukunft zu finden. Dr. Joseph Reger stand der LANline in einem exklusiven Interview Rede und Antwort.
LANline: Herr Dr. Reger, wer sich heute mit dem Thema Cloud Computing beschäftigt
und zunächst einmal versucht, diesen Begriff zu verstehen, wird mit unterschiedlichsten Erklärungen
und Behauptungen geradezu überschüttet. Das reicht von "nichts Neues, sondern nur die konsequente
Fortsetzung von Themen wie Software as a Service oder dynamische IT-Infrastrukturen über
IT-Service-Management mit anderen Mitteln bis hin zum umfassenden Ökosystem, mit dem Unternehmen
ihre IT flexibler und agiler gestalten können. Wie würden Sie Cloud Computing beschreiben, welche
dieser vielen Aussagen treffen zu und welche sind falsch?
Dr. Reger: Im Prinzip sind alle diese unterschiedlichen Bezeichnungen richtig –
das ist ja das Problem. Wir beleuchten immer nur verschiedene Aspekte vom Cloud Computing und so
wird das, was ich hier in diesem Gespräch sage, sicher auch nur ein weiterer Betrag zu dieser
Diskussion sein.
Was mir aber dabei missfällt: Cloud Computing wird von vielen Fachleuten immer häufiger ohne
Technikinhalte definiert. Manche werden dabei sogar so dreist zu behaupten, eine Cloud hätte nichts
mit Technik zu tun, sie sei eben nur ein neues Geschäftsmodell.
LANline: Ist Cloud Computing denn kein Geschäftsmodell, sondern nur eine weitere
IT-Technik?
Dr. Reger: Nein, natürlich nicht. Die zweite Hälfte der Aussagen hat ja durchaus
ihre Berechtigung: Es ist ein neues Geschäftsmodell, ein neues Liefermodell von IT-Services und all
das, was Sie in den verschiedensten Definitionen genannt haben. Aber ich wehre mich dagegen, dass
behauptet wird, Cloud Computing sei keine neue Technik.
Natürlich ist es nicht so, dass die eine Technologie existiert, die das Cloud Computing
ermöglich. Aber ohne eine entsprechende Entwicklung in den letzten Jahren wäre das nicht möglich
gewesen. Es sind viele Faktoren bei der Hard- und Software sowie insbesondere im Kommunikations-
und Netzwerkbereich, die dazu beitragen, dass wir im Wesentlichen das erste Mal die gewünschte
Leistung entsprechend vernünftig über die Netze liefern und die Services ebenso vernünftig
miteinander verbinden können.
LANline: Aber warum kommt dieses Modell gerade jetzt so groß heraus, wo es doch
schon zuvor genug Versuche gab, Konzepte wie IT aus der Steckdose und On-Demand-Computing zu
etablieren?
Dr. Reger: Einer der Gründe, warum dies gerade jetzt mit dieser Wucht kommt, ist
sicher die Tatsache, dass wir jetzt die Möglichkeit besitzen, das Ganze mit annehmbarer Güte zu
liefern und bereitzustellen. Ein weiterer Grund, warum das gerade jetzt passiert: Diese ganzen
alten Ideen, On-Demand Computing und IT aus der Steckdose und SaaS beinhalteten auch alle eine
weitere Überlegung. Die Lösungen sollten nicht nur on demand sondern auch sehr viel billiger ist.
Das haben nicht alle Hersteller, oft aus guten Gründen, betont, aber es war immer die Erwartung der
Kunden, dass sie dadurch auch Geld sparen können.
LANline: Und jetzt wird es wirklich kostengünstiger?
Dr. Reger: Ja, denn durch die Standardisierung und Industrialisierung mancher
Rechnerstrukturen ist es heute möglich, praktisch fabrikähnliche IT-Anlagen aufzustellen, die zu
sehr niedrigen Kosten gefahren werden können. Wir genießen die Vorzüge der Massenfertigung und des
Massenbetriebs und kommen damit auch tatsächlich zu besseren Preisen. Als Konsequenz daraus müssen
preislich attraktive Cloud-Angebote auf breiter Basis erscheinen. Dadurch erfolgt dann wieder eine
enorme Konsolidierung der Infrastrukturen.
LANline: Dann werden wir in Zukunft also nur noch Clouds als Massenangebote
verwenden?
Dr. Reger: Nein, das bedeutet es in der Konsequenz sicher nicht. Nicht alle
Cloud-Angebote werden solche Massenangebote sein. Manche können es einfach wegen Themen wie
Datensicherheit und Datenschutz nicht sein. Aber für die IT-Verantwortlichen gilt es abzuwägen: Was
gibt es noch zwischen den beiden Polen "Ich habe meine eigene IT, und ich fahre sie" und "
Irgendjemand hat die Anwendung, und das wird für mich – völlig public – in der Wolke erledigt".
Dazwischen gibt es durchaus auch Schattierungen, die sich jetzt ausbilden. Ein großer Vorteil
von Cloud Computing besteht zweifellos darin, dass die IT so auch in der Lage ist, Teile und
mitunter auch einzelne Geschäftsprozesse herauszuschneiden und als Dienst in die Wolke zu bringen.
Das ist ein großer Unterschied zu allen bisherigen Modellen. Dabei kann es sich ja zunächst um
Teile handeln, die sicherheitstechnisch nicht so bedenklich sind, wie Reisekostenabrechnungen oder
auch ein Teil der IT, den die Firma dann einfach als Prozess beziehen kann.
LANline: Wird dies dann dazu führen, dass wir irgendwann überhaupt keine
klassische IT mehr betreiben werden?
Dr. Reger: Ich schätze, dass in den nächsten drei bis vier Jahren ein deutlicher
Marsch in Richtung Cloud anfängt beziehungsweise weitergeht. Davon werden dann auch verschiedene
Größen von Unternehmen ganz unterschiedlich betroffen sein.
Wenn die Entwicklung allerdings so vorangeht, wie es im Moment scheint, wird es in wenigen
Jahren – wir reden hier von vier bis fünf Jahren – keine vernünftigen Argumente mehr dafür geben,
beispielsweise im Mittelstand eine eigene IT zu betreiben. Bei Großunternehmen wird es
selbstverständlich anders aussehen – je nachdem wie groß sie sind und wie empfindlich ihre Daten
sind. So werden Banken mit ihren Daten nie in eine Public Cloud migrieren. Sie können jedoch eigene
Clouds besitzen und allein durch die Größe auch dort schon von den Skalierungseffekten
profitieren.
Bei aller Begeisterung darf man trotzdem auf keinen Fall davon ausgehen, dass dann alles in der
Cloud ist und eine IT der herkömmlichen Bauart nicht mehr existiert. Ich meine sogar, dass es sich
für einen Anbieter als besondere Stärke herausstellen wird, wenn er die ganze Palette anbieten
kann. Nach dem Motto, wir bieten die Cloud auch in unterschiedlichen Ausprägungen an und zeigen
dabei sogar, wie das ablaufen kann.
LANline: Dies scheint ja auch der Weg zu sein, den man bei Microsoft gehen will.
Der Softwarehersteller bietet ein API für Cloud Computing an, stellt unter dem Namen Azure ein
eigenes Cloud-Modell vor und betont immer wieder, dass es sich bei den aktuellen Anwendungen wie
dem Exchange Server 2010 um hybride Modelle handelt: Der Mail-Server soll sowohl on premise auf dem
Server im eigenen Rechenzentrum als auch mit gleicher Funktionalität in der Cloud laufen
können.
Glauben Sie, dass der Eintritt von Microsoft in dieses Marktsegment den großen Durchbruch für
Cloud-Computing bedeuten kann? Etwa vergleichbar mit der Einführung von Active Directory, das
Microsoft ab dem Jahr 2000 nach und nach in alle Server-Produkte integrierte, und das heute kaum
noch aus einem Rechenzentrum wegzudenken ist?
Dr. Reger: Ich glaube ziemlich sicher, dass es auch hier so kommen wird. Microsoft
war auf keinen Fall ein Pionier bei dieser Technik. Aber Microsoft wird bei diesem Thema ohne
Zweifel marktgestalterisch auftreten. Dies ist deshalb so, weil die Produkte sehr verbreitet und
beliebt sind. Sobald Microsoft sich überwindet und diese Produkte als Cloud-Dienste anbietet, wird
es gerade für einen Mittelständler, der diese Softwarepakete sowieso einsetzt, kaum noch Gründe
geben, nicht mitzuziehen und alles in der Cloud zu machen. Zumal ein solches Angebot dann alle
IT-Bedürfnisse abdecken wird, die er hat. Da sind wir wieder beim Thema: Anwender aus dem
mittelständischen Bereich werden keine eigene IT mehr benötigen.
Microsoft hat vor allen Dingen das nötige Potenzial dazu. Die Firma hat Software für fast alle
Bedürfnisse und das nötige Kapital, um riesige Rechenzentren zu bauen und zu betreiben, was ja auch
bereits geschieht. Das ist alles sehr wichtig für den Markt, und ich glaube, dass Microsoft einer
der großen Cloud-Anbieter werden wird. Zurzeit gehen sie in Redmond allerdings nur sehr bedacht
darauf zu, weil das meiste Geld noch aus Geschäftsfeldern und von Lizenzen stammt, die in der Cloud
keine Bedeutung mehr haben werden.
LANline: Bedeutet dies, Windows wird als Betriebssystem seine Bedeutung
verlieren?
Dr. Reger: Windows als Betriebssystem hat dann nicht mehr die gleiche Bedeutung.
Zwar hat ein Betriebssystem grundsätzlich auch für Cloud-Umgebungen noch eine Bedeutung, wenn es
sehr gut und effizient arbeitet. Denn dann kann der Anbieter daraus Vorteile ziehen und die eigenen
Dienste billiger und attraktiver anbieten. Aber die Zeiten von "alle müssen Windows haben" sind
effektiv vorbei, wenn die Firmen nur noch die Anwendungen aus der Cloud beziehen.
LANline: Herr Dr. Reger, aus Ihren bisherigen Ausführungen wird sehr deutlich,
dass Sie vom Erfolg des Cloud Computing überzeugt sind. Machen wir doch einmal ein
Gedankenexperiment – was passiert in dem Fall, dass Sie mit Ihrer Einschätzung falsch liegen und
Cloud Computing wieder nur ein Hype-Thema ist, das nach einer gewissen Zeit einfach
verschwindet?
Dr. Reger: Ich es halt für unwahrscheinlich, dass Cloud Computing kein Erfolg
wird. Aber selbst wenn dieser unwahrscheinliche Fall eintreten sollte, bin ich sicher nicht nervös.
Denn das, was uns Cloud Computing an Entwicklungen beschert hat, diese ganzen neuen Technologien,
das wird nicht einfach verschwinden. Die Technik wird übernommen und unter anderem Namen integriert
werden – das ist das Schöne an der Entwicklung.
LANline: Herr Dr. Reger, vielen Dank für das Gespräch.