Multimode- und Singlemode-Technik im Vergleich

Der vermeintliche Trend zum Single-Dasein

1. Februar 2013, 7:00 Uhr | Carsten Fehr, Marketing-Manager bei Draka/Prysmian Group (jos)

"Da nehm ich doch gleich Singlemode!" Diese Aussage von LWL-Netz-Betreibern ist zwar oft nachvollziehbar, birgt jedoch nach wie vor technischen und ökonomischen Diskussionsstoff. Nur wenn das Gesamtbudget tatsächlich keine Rolle spielt, ist ein nüchternes Abwägen überflüssig.Mit der Verabschiedung von IEEE802.3ba 40GBit-Ethernet im Sommer 2010 wurde eine Netzwerktechnik zum Standard, über die die Netzwerkszene bis heute kontrovers diskutiert. Den Stoff dazu liefert insbesondere die Einführung der auf acht oder 20 Multimode-Fasern basierenden Paralleloptik mit vier beziehungsweise zehn parallel geführten 10-GBit/s-Kanälen. Anhängern der klassischen Zweifasertopologie mag es als gangbarer Ausweg erscheinen, mit 40GBase-LR4 eine Netzwerkoption basierend auf zwei Singlemode-Fasern realisieren zu können, auch wenn man die damit darstellbare Link-Distanz von zehn Kilometern gar nicht benötigt. Darüber, ob der so skizzierte Weg zu 40GbE technisch machbar und generell als Migrationsstrategie zu empfehlen ist, sollten Interessenten mit großer Vorsicht nachdenken, wie die nachfolgende Betrachtung auf Systemkostenebene ergibt.   Zwei Arten Lichtwellenleiter Als 1970 der erste Lichtwellenleiter erschien, war dessen optische Dämpfung von 20 dB/km noch weit von dem heute üblichen niedrigen Niveau entfernt. Besonders die optischen Resonanzen der OH-Moleküle im Glas ließen das Wellenlängenfenster um 850 nm günstig erscheinen, was ihm den Namen "erstes optisches Fenster" eintrug. Prozessverbesserungen erschlossen später weitere Wellenlängen, von denen das so genannte zweite optische Fenster um 1.310 nm größte Bedeutung erlangt hat. Diese Entwicklung ist auch heute noch nicht zum Stillstand gekommen. Als die Hersteller in den 1980er-Jahren erste kommerzielle Übertragungsstrecken realisierten, waren zwei Probleme dominant: Die Einkopplung einer genügend großen Lichtleistung und die Bandbreitenbegrenzung durch Dispersion. Ein LWL mit großem Licht führenden Kern transportiert Lichtleistung in einer Vielzahl von Moden, was die Leistungseinkopplung und auch die Verbindungstechnik erheblich erleichtert. Die Synchronisation dieser vielen Moden durch ein Gradientenindexprofil, das die Modendispersion minimiert, ist jedoch begrenzt. Weitere Dispersionsreduktion gelingt nur durch Beschränkung auf Einmodenbetrieb, was mit sehr kleinen Kernabmessungen von unter 10 µm einhergeht, was wiederum die Lichteinkopplung erschwert. Dieser Zielkonflikt hat recht bald zu einer Segmentierung in den Anwendungen geführt, in denen Einmodenfasern (Singlemode, SM) ihre Domäne im Weitverkehr hatten, während Mehrmodenfasern (Multimode, MM) auf der Kurzstrecke punkten konnten, wo die teurere Verbindungstechnik für SM-LWL unnötig war und preiswerte LED-Sender die Systemkosten niedrig hielten. Mit der Einführung von 1 Gigabit Ethernet betraten 1998 die VCSEL-Laser die Ethernet-Bühne, die bei 850 nm technisch gut beherrschbar sind, bei längeren Wellenlängen jedoch bis heute ein Forschungsobjekt darstellen. Diese Segmentierung wurde deutlich, als die Delegierten im Jahr 2002 mit OM3 eine Norm für die erste MM-Faser schufen, die speziell für VCSEL-Betrieb im 850-nm-Fenster optimiert war. Für den 10GbE-Anwender stellt der Einsatz von 850-nm-Systemen eine signifikante Einsparoption dar, denn die Kosten eines einzigen vollständigen SM-Links einschließlich der Transceiver beiderseits der passiven Übertragungsstrecke können die MM-Variante leicht um einen dreistelligen Euro-Betrag über-treffen.   Kostenvergleich auf Systemebene Heute steht dem Anwender eine Vielzahl von Optionen für den Netzbetrieb zur Auswahl. Technisch ist die Kompatibilität weitestgehend durch die standardisierten Transceiver-Gehäuse gesichert, die den vollständigen PMD (Physical Layer Media Dependent) im Sinn der Ethernet-Norm enthalten. Auf jedem Ethernet-Geschwindigkeitsniveau lässt sich abhängig von der Übertragungsdistanz die jeweils kostengünstigste Transceiver-Variante durch Plug and Play in Betrieb nehmen. Das Bild auf Seite 54 zeigt eine Übersicht der PMDs und der erzielbaren Reichweiten. Um die Kosten dieser Varianten zu analysieren, ist an dieser Stelle eine strenge Statistik verzichtbar, denn bereits eine schnelle Preisrecherche "per Google" zeichnet ein eindeutiges Bild. Der Preis eines Transceivers steigt ganz erheblich mit der Reichweite des jeweiligen PMD-Standards. Natürlich gibt es stets preiswerte Noname-Produkte und kostspielige Markenprodukte, aber ein fairer Vergleich erfordert eine Betrachtung innerhalb desselben Systemlieferanten. Dies sei auch unter praktischen Aspekten empfohlen, denn viele Switches fragen per Software die Herkunft des Transceivers ab und verweigern zuweilen die Zusammenarbeit. Für welche Systemmarke man sich auch entscheidet, das Ergebnis ist stets: SM-Transceiver (10GBase-LR) kosten zwischen 25 Prozent und 130 Prozent mehr als MM-Transceiver der gleichen Datenrate, der Preisunterschied zwei solcher Transceiver liegt bei mindestens 600 Euro und damit beim Fünffachen der Kosten der gesamten passiven Verkabelung (ein Link), und die etwas günstigere SM-Faser erfordert etwas teurere Komponenten, während bei MM-Fasern die Verhältnisse umgekehrt liegen. Die Teilsummen aus Kabeln, Komponenten und Installation liegen auf fast identischem Niveau und immer unter zehn Prozent der Kosten der kompletten Übertragungsstrecke einschließlich der Transceiver. Für den langfristigen Betrieb der Verkabelung ist sinnvollerweise ein Medium einzusetzen, das möglichst flexibel die wechselnden Systeme mit immer schnelleren Transceivern unterstützt, aber auch den Weiterbetrieb eingeführter Systeme erlaubt - also rückwärtskompatibel ist. Dies hat Relevanz für alle Anwender, die in ihrem Netz auch noch 1GBase-SX und 100Base-FX betreiben, die beide nicht auf SM-Fasern arbeiten können. Andernfalls kann man beim System-Upgrade nicht nur einzelne Strecken aufrüsten, sondern muss das gesamte aktive Netz revidieren.   Lösungsalternativen für zukünftigen Netzausbau Es gibt bereits Anwender, deren Planungshorizont bis 40GbE und darüber hinaus reicht. Es handelt sich bei den weitaus meisten Anwendungen um Backbone-Installationen von Switch zu Switch. Dort war in vielen Fällen bereits OM3 mit zwei Fasern pro Strecke vorhanden. Auf solchen Backbones bringt die Einführung von 40GbE keine höhere Datendichte, da nach wie vor auf zwei Fasern 10 GBit/s laufen. An dieser Stelle ist durch eine Neubeschaltung die vorhandene Infrastruktur weiter verwendbar. Unübersehbar ist jedoch der Nachverkabelungsbedarf, der mindestens in OM4-Qualität erfolgen sollte. Diese Lösung erfordert etwa die gleichen Kosten für die passive Erweiterung mit SM-Fasern, bietet jedoch eine weitere Upgrade-Option, die bereits im Bild unten aufgeführt ist: 100GBase-SR4 mit 4×25GBit/s auf acht MM-Fasern, über die derzeit die Experten der IEEE 802.3 beraten. Einmal so installiert, lässt sich ein System tatsächlich durch Austausch der Transceiver auf 100GbE aufrüsten. Auf dieser Netzebene ist OM4 als flexible und gleichzeitig kostengünstigste Verkabelungslösung zu empfehlen. Als Teil einer eigenständig geplanten Verkabelungsstrategie bietet OM4 die Möglichkeit der Reduzierung und somit eine Vereinfachung der Kabelwege, ohne die Universalität des Netzes zu kompromittieren. Mit dem nächsten Technikschritt in Richtung 100GbE ergeben sich auch neue Beurteilungskriterien für MM-Fasern. In der heutigen 10G-pro-Faserpaar-Technik lag der Fokus auf der effektiven modalen Bandbreite (EMB - nachgewiesen durch ein entsprechendes DMD-Profil oder die EMBc-Methode). Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass praktisch alle VCSEL-Laser ein charakteristisches Modenspektrum aufweisen, bei dem Moden höherer Ordnung, die ebenfalls in Fasermoden höherer Ordnung koppeln, bei geringeren Wellenlängen liegen. Damit erlangt die chromatische Dispersion der MM-Faser eine neue Bedeutung. Anders als bisher vermutet, hat das ideale DMD-Profil einer MM-Faser mit Laserspezifikation nicht den perfekten Gleichlauf anzustreben, sondern muss die Schräglage der VCSEL-Laser kompensieren und deswegen ein leicht gekipptes "Tilted DMD"-Profil aufweisen. Eine solche OM4+-Faser ist kommerziell verfügbar und kann als so genannte Engineered Solution mit zu selektierenden Transceivern Reichweiten von bis zu 200 Meter bei 40/100GbE realisieren.   Fazit Wem die Kosten seines Netzwerks nicht gleichgültig sind, der hat für LAN- und DC-Backbones keine Alternative zu MM-Fasern. Zwar schrumpft die Reichweite der MM-Faser bei höheren Datenraten und lässt bei großen Reichweiten nur den Ausweg zur SM-Lösung. Dies zum Anlass zu nehmen, das gesamte LWL-Netz flächendeckend mit SM-Technik auszustatten, wäre jedoch ein teurer Irrweg. Dass moderne 40GbE-Transceiver die Grenzen der MM-Technik verringern, hat auch etwas Versöhnliches, denn die Designer haben Priorität auf kostengünstige Systeme gelegt, die eine rasche Marktpenetration und damit verbunden schnelle Preisdegression ermöglichen.   Zusammenwirken nötig Dies hilft dem Anwender, der in seinem Netz auch heute schon MM-Fasern zusammen mit SM-Fasern und künftig sogar Kupferdatenkabel für 40GbE betreibt, und zwar abhängig von der jeweiligen Streckenlänge. Es gibt wie immer nicht die eine ideale Netzwerktechnik, sondern ein Zusammenwirken verschiedenen Techniken bildet das Optimum.

Reichweiten verschiedener Ethernet-Verkabelungsarten.
LANline.

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