Eine aktuelle Umfrage bei deutschen Fertigungsunternehmen zeigt, dass sich gut die Hälfte der Firmen schon einmal mit Industrie 4.0 beschäftigt hat. Die Umsetzung des Konzepts steckt noch in den Kinderschuhen, doch erste Anwendungs-fälle wie die vorausschauende Wartung von Anlagen auf Basis von Echtzeitdaten sind bereits im Einsatz.Industrie 4.0, auch als vierte industrielle Revolution bezeichnet, überträgt die Prinzipien des Internets der Dinge auf das verarbeitende Gewerbe. Das Konzept soll das Zusammenwachsen der physischen Welt mit der virtuellen in der Fertigung vorantreiben. Die Grundlage dafür bilden Objekte (zum Beispiel Maschinen oder Anlagen), die eingebettete Systeme und Sensoren - so genannte Cyber Physical Systems (CPS) - umfassen und kommunikationsfähig sind. Durch Vernetzung können diese Objekte Informationen untereinander und mit Softwareplattformen austauschen. Die Verfügbarkeit dieser Informationen in Echtzeit stellt die Basis für Analysen über Firmengrenzen hinaus dar, erläutert das Marktforschungsinstitut IDC. Diese Informationen bilden die Grundlage für dynamische, echtzeitoptimierte Wertschöpfungsnetzwerke. Damit ließe sich beispielsweise die Fertigung individueller Produkte nach den Prinzipien und zu Kosten der Serienherstellung durchsetzen. Auch neue Service-basierende Geschäftsmodelle werden möglich. IDC hat im Juni 2014 eine Befragung unter 211 Fach- und Führungskräften aus deutschen Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes mit mehr als 100 Mitarbeitern durchgeführt. Ziel war es, ein besseres Verständnis über die Wahrnehmung von Industrie 4.0, bestehende Umsetzungspläne sowie mit dem Konzept verbundene Chancen und Herausforderungen zu erhalten. "Damit Unternehmen mit der Umsetzung von Industrie 4.0-Projekten beginnen, muss das Konzept die Bewältigung zentraler Herausforderungen unterstützen", betont Mark Alexander Schulte, Consultant und Projektleiter bei IDC. Zu den wichtigsten Herausforderungen an die Fertigung und das Engineering in den kommenden zwei Jahren zählen die meisten befragten Unternehmen Einsparungen von Produktionskosten, eine stärkere Automatisierung von Fertigungsprozessen, das Management einer steigenden Produktkomplexität und die schnelle Reaktion auf neue Anforderungen. Dies seien letztendlich auch zentrale Ziele der vierten industriellen Revolution, so der Marktforscher. Allerdings zeigt die Befragung, dass die öffentliche Diskussion bislang noch nicht alle Unternehmen erreicht hat, denn nur 57 Prozent aller Studienteilnehmer kennen den Begriff "Industrie 4.0". Andererseits ist das Ergebnis auch stark von der Hierarchieebene der Befragten abhängig. Ein Großteil der Führungskräfte setzt sich derzeit sporadisch oder sogar intensiv mit den Chancen und Risiken des Konzepts auseinander - eine wichtige Grundlage für die Verwirklichung von Industrie 4.0, denn die leitenden Angestellten prägen die zukünftige Strategie eines Unternehmens und treffen Entscheidungen über Investitionen in neue Technik. Hersteller von Maschinen und Anlagen setzen sich deutlich häufiger und intensiver mit dem Thema auseinander als Produktionsunternehmen. "Die Anlagenbauer sehen Chancen, mit Sensorik und intelligenten Systemen ihr eigenes Produkt- und Service-Geschäft auszubauen, aber auch die eigenen Prozesse zu optimieren", so die Begründung von Schulte. Dazu passt auch, dass 27 Prozent der Hersteller, aber nur neun Prozent der Betreiber in Industrie 4.0 einen umfassenden Ansatz sehen, der die gesamte Wertschöpfungskette von der Idee bis zum Recycling verändern wird. Predictive Maintenance und Ausfallsicherheit mit CPS Erste Schritte zur vernetzten Fertigung und zu einem durchgängigen Engineering sind bereits getan: Etwa ein Drittel der Betriebe, denen das Konzept bekannt ist, setzen heute Maschinen und Anlagen mit eingebetteten, vernetzten Systemen (CPS) ein. Beispiele dafür sind moderne Produktionssysteme (Industrieroboter), dezentrale Anlagen (Windkraftanlagen) oder Transporttechniken, die bei etwa einem Viertel der befragten Betriebe - häufig mittels RFID - Informationen übertragen können. Auch CPS-Plattformen, die die Daten der vernetzten Objekte sammeln, aufbereiten und analysieren, sind in einigen Unternehmen vorhanden. Die Plattformen, häufig noch in Pilot- oder Testprojekten im Einsatz, dienen primär dem Monitoring mittels Echtzeitdaten (36 Prozent) oder der Gewährleistung der Ausfallsicherheit (36 Prozent). An der vorausschauenden Instandhaltung (Predictive Maintenance) werden das Prinzip und der Nutzen von Industrie 4.0 besonders deutlich, meint der IDC-Analyst. Die Lösungen stellen kein neues Konzept dar, sondern bieten zusätzliche Möglichkeiten infolge der Erfassung von Echtzeitdaten, erklärt er weiter. Die Basis bilden mit Sensoren und vernetzten Embedded-Systemen ausgestattete Anlagen. Die Sensoren erfassen den Verschleiß kritischer Bauteile einer Maschine und übertragen die Informationen an eine Softwareplattform. Diese analysiert die Echtzeitdaten und optimiert den Wartungsplan für die Service-Techniker. Bei einem Viertel der Maschinenbetreiber ist Predictive Maintenance mittels Echtzeitdaten im Piloteinsatz. Weitere 25 Prozent planen dies für das nächste Jahr. Auch die Hersteller von Anlagen, Maschinen und Geräten wollen ihr Angebot für die vorausschauende Wartung massiv ausbauen, so das Ergebnis der Befragung. Die Gründe: bessere Produktionsplanung, eine längere Laufzeit der Maschinen und die Vermeidung von ungeplanten Stillständen. Maschinenbauer sehen zudem neue Geschäftschancen im Service-Bereich, denn jedes vierte Fertigungsunternehmen will die Instandhaltung und den Betrieb von Maschinen künftig stärker auslagern. Dieser Trend wird neben den bekannten Faktoren wie Kostendruck oder die Forderung nach mehr Flexibilität auch durch die technische Weiterentwicklung gefördert, so die Marktforscher. Durch den Einsatz von vernetzten CPS sind Abnahmen vor Ort seltener nötig. Das Monitoring, die Steuerung und die Wartung der Anlagen vereinfachen sich für Service-Anbieter durch die Übertragung von Maschinendaten. Des Weiteren ist das Product-Lifecycle-Management (PLM) für knapp 60 Porzent der befragten Unternehmen ein wichtiger Bestandteil bei der Verwirklichung von Industrie 4.0. PLM umfasst sämtliche Aktivitäten entlang des Lebenszyklus eines Produkts. Dabei geht es darum, alle Daten während des gesamten Lebenszyklus zu sammeln - vom Engineering, über die Produktionsplanung, Fertigung und bis zur Entsorgung. Auch dazu bedarf es dem IDC-Marktforscher zufolge keiner neuen Ansätze, sondern einer Ergänzung der Datenbasis um Maschinendaten. Größte Hürde Sicherheit Das Thema Sicherheit spielt wie bei allen neuen Konzepten auch im Kontext von Industrie 4.0 eine wichtige Rolle und gilt als eine zentrale Herausforderung. Die Risiken entstehen dadurch, dass viele bestehende Systeme in der Fertigung in Hinblick auf Sicherheitsvorkehrung nicht auf Netzwerkverbindungen ausgelegt sind. In der Vergangenheit waren es geschlossene Produktionssysteme, die nicht mit einem Firmennetzwerk oder mit dem Internet verbunden sind. Im Rahmen von Industrie 4.0 rückt der Datenaustausch jedoch zunehmend in den Fokus. Die Fach- und Führungskräfte sehen insbesondere drei Risiken durch Online IT-Systeme in der Fertigung: den Diebstahl geistigen Eigentums wie Produktskizzen oder 3D-Muster, durch einen Hacker-Angriff initiierte Störungen in der Produktion sowie eine unbemerkte Manipulation von Maschinen in einem Fertigungsverfahren. Die IDC-Marktforscher empfehlen daher den Sicherheitsanbietern, Security-Konzepte und -standards zu entwickeln und zu etablieren und sich dabei vor allem auf den Datenaustausch zu konzentrieren. Sicherheitsbedenken stellen nicht die einzige Hürde für die Realisierung von Industrie 4.0 dar. Ebenso gravierend schlägt die Finanzierung der Umsetzung zu Buche. Des Weiteren nennen die Befragten das Aufbrechen etablierter Strukturen und Abläufe sowie noch nicht ausgereifte Techniken. Dennoch ist die Mehrheit der Unternehmen der Meinung, dass sich Industrie 4.0 durchsetzen wird und kein reines Hype-Thema ist. Über 80 Prozent glaubt an die Verwirklichung der vierten industriellen Revolution in den kommenden zehn Jahren. "Dies ist eine optimistische Auffassung", so Schulte. "Bei einer vollumfänglichen Realisierung geht es schließlich nicht nur um die eigene Fabrik, sondern um die Entwicklung unternehmensübergreifender intelligenter Wertschöpfungsketten, und dies wird unserer Einschätzung nach länger dauern."
Die Autorin auf LANline.de: sfranke