Stippvisite bei Huawei in Shenzhen

Forcierter Expansionskurs

26. Februar 2010, 8:00 Uhr | Stefan Mutschler/jos

Dubai war gestern. Wer heute auf Wachstum setzt (außer dem in Beton in den Himmel), der muss nach China. In der Tat wachsen Städte und Technologiekonzerne zumindest in den Sonderwirtschaftszonen so schnell, dass das Emirat dagegen ziemlich blass aussieht. Und dabei machen die Chinesen vieles cleverer als die Scheichs: Trotz allen Wachstums bleiben sie besonnen und schätzen im Großen und Ganzen mehr die Zweckmäßigkeit denn aberwitzige Sensationsprojekte. Schnelles, aber dennoch bodenständiges Wachstum gilt auch als grundlegende Herausforderung vieler chinesischer High-Tech-Unternehmen. Ein Beispiel ist der Telekommunikations-(TK)Konzern Huawei, der innerhalb von 20 Jahren auf mehr als 90.000 Mitarbeiter angewachsen ist.

Wer heute nach Shenzhen reist, kommt in eine 13-Millionen-Metropole, vollgestopft mit obskuren Wolkenkratzern, großzügigen und sehr gepflegten Parks, bunten Geschäften und Business aller Art sowie natürlich den obligatorischen gleichförmigen Wohnsilos, die in oft kilometerlangen Reihen die riesige Masse an Menschen beherbergen. „In China gibt es alles, was es sonst auf der Welt auch gibt …“, so Bing Hao, deutsche Pressevertreterin von Huawei. Interessant der Nachsatz: „ … und außerdem Vieles, was es sonst nirgends auf der Welt gibt.“ Genau das beginnt einem zu dämmern, wenn man Straßenzug um Straßenzug durchkreuzt. Kaum zu glauben, dass Shenzhen vor 30 Jahren noch ein kleines Fischerdorf gewesen sein soll – völlig unscheinbar im Schatten der etwa 50 Kilometer entfernten Weltstadt Hongkong, die heute mit „lediglich“ 8 Millionen Einwohnern zum Vorort des einstigen Fischerdorfs mutiert ist. Dennoch sind Hongkong und Shenzhen zwei völlig verschiedene Welten, was der chinesische Staat durch eine Grenze, ähnlich dicht wie die, die einmal Ost- und Westdeutschland getrennt hat, zweifelsfrei klar macht.

Wachstumsmotor von Shenzhen ist in erster Linie die High-Tech-Industrie – und hier vor allem die Telekommunikation. In der chinesischen Sonderwirtschaftszone haben sich zahlreiche Firmen angesiedelt, darunter beispielsweise ZTE, Neo und auch Huawei. Oft sind die Firmennamen nur einschlägigen Experten bekannt – auch den Namen Huawei dürften hierzulande nur Menschen gehört haben, die eng mit der TK-Industrie verflochten sind. In den rund 20 Jahren seiner Existenz hat Huawei ein ähnlich explosives Wachstum hingelegt wie die Stadt, in der das Unternehmen gegründet würde. Mehr als 90.000 Beschäftigte zählt der „Newcomer“ bis dato – und täglich werden es mehr. Die in das Huawei-Gelände integrierte „Huawei-City“ (Appartements, Ladengeschäfte und Freizeitanlagen) für alleinstehende Mitarbeiter platzt längst aus allen Nähten. Immerhin gut 20.000 Angestellte und Arbeiter beschäftigt Huawei auch außerhalb Chinas. Seine Umsätze generiert das Unternehmen im umgekehrten Verhältnis – nur etwa 25 Prozent innerhalb Chinas, den Rest außerhalb. Insgesamt waren es 2008 23,3 Milliarden Dollar.

Den größten Umsatz macht Huawei mit Equipment und Services für TK- und Mobilfunk-Provider (Radio-Access- und Kernnetzwerke), ein kleiner Teil sind Netzwerkprodukte für FTTX, xDSL, Wi-Fi, WDM/OTN, PTN sowie Router und LAN-Switches. In vielen Ländern (in Deutschland bislang nur marginal) bieten die Chinesen darüber hinaus auch Kommunikationsgeräte für Endbenutzer in Haushalten und Unternehmen. Im Wesentlichen sind das Kommunikationsadapter (Datenkarten, USB-Dongles und Einbaumodule), um Laptops oder PCs fit für Funktechnologien wie UMTS/HSPA , Wimax und LTE (Long Term Evolution – die Nachfolgetechnologie von UMTS) zu machen. Nach eigenen Angaben hat Huawei bereits über 60 Millionen mobile Breitbandgeräte in mehr als 133 Ländern verkauft.

Mit seinen Femtozellen (DSL- oder Kabel-Router, die UMTS/HSPA innerhalb von Gebäuden/Wohnungen bereitstellen) hat das Unternehmen (ebenso wie die anderen Hersteller auf diesem Gebiet, darunter etwa Alcatel-Lucent, NEC und Siemens) mangels breitem Femto-Roll-out der Provider bislang nur Erfahrungen in Versuchsnetzen sammeln können. In diesem Jahr soll sich das allerdings ändern – auch in Deutschland: So will beispielsweise T-Mobile in den nächsten sechs Monaten umfangreiche Interoperabilitätstests mit den Femto-Produkten von Uniquisys und eben Huawei durchführen. Beide Hersteller bekennen sich zur neuen, vom 3GPP (Third Generation Partnership Project), dem Broadband-Forum und dem Femto-Forum gemeinsam definierten Femto-Standardschnittstelle Iuh, mit der eine solche Zusammenarbeit problemlos möglich sein soll.

Konkret behandelt der Standard die Bereiche Netzwerkarchitektur, Funk- und Interferenzaspekte, Femtozellen-Management und -Versorgung sowie Sicherheit. Dank Iuh soll die Femtotechnik endlich massenmarkttauglich werden. „Seit Huawei 2005 die Femtozellenforschung begann, hat sich das Unternehmen mit dem weltweiten Aufbau von Femtozellenwirkbetriebs- und Versuchsnetzen zu einem führenden Anbieter von Ende-zu-Ende-Lösungen entwickelt“, so Wan Biao, Chef der Huawei Wireless Product Line. „2010 wird für Femto der Massenmarkt entstehen. Dabei wird sich Huawei gemeinsam mit den Netzbetreibern und anderen Herstellern auf die Standardisierung und Ausgereiftheit der Branche konzentrieren.“

Außerhalb Chinas noch weitgehend unbekannt sind die Video-Conferencing-Lösungen (von Desktop- bis hochwertigen Telepresence-Systemen in Stile Ciscos) von Huawei. Mit diesen, ebenso wie mit einer Reihe neuer Android- und Windows-Mobile-Smartphones, will Huawei in diesem Jahr in die Offensive gehen und so einerseits neue Märkte erschließen, andererseits auch das eigene Branding stärken. Erst im Sommer 2009 hatte Huawei seine ersten beiden Mobiltelefone mit Touch-Screen vorgestellt. Auf dem in Kürze startenden Mobile World Congress in Barcelona sollen die Neuheiten für den globalen Markt folgen.

Eines der größten Wachstumssegmente bei Huawei sind Services – und das bereits aktuell im globalen Maßstab. In Europa etwa machten Netzwerktechnologie-, -Roll-out- und -Integrations-Services sowie Kunden-Support-, Managed- und Learning-Services 2008 fast ein Drittel des gesamten Umsatzes in dieser Region aus.

Chinas langer Arm nach Europa

Es sind keinesfalls nur Einzelprojekte wie das der Femtozellen, über die Huawei seinen Fuß im europäischen und deutschen Markt hat. Vielmehr mischen die Chinesen heute fast immer und überall mit, wenn Hochtechnologie im Bereich Telekommunikation gefragt ist. Bei Telefónica O2 Germany beispielsweise hat das Unternehmen vor wenigen Monaten das bisher umfangreichste Netzwerk-Upgrade in Deutschland bei laufendem Betrieb durchgeführt. Aktuell erweitern die Chinesen das Netzwerk von O2 um weitere 3.000 Basisstationen. Der Netzbetreiber setzt Huaweis Single-RAN-(Radio Access Node)Lösung in einem konvergierten GSM/UMTS-Netzwerk in Süddeutschland ein. Das Netz deckt Städte wie München und Stuttgart ab. Für Netcologne in Köln baute Huawei das erste CDMA-Netzwerk Deutschlands. Mit dem Datennetzwerk „Mobile Speednet“ will Netcologne seinen Kunden, zunächst insbesondere Studenten der Universität und FH Köln, mobile Datendienste anbieten.

Zusammen mit T-Mobile Austria schloss Huawei vergangenen Oktober die ersten Tests eines selbstorganisierenden LTE-Netzwerks (SON) in Innsbruck ab. Die LTE-SON-Lösung soll ein hohes Niveau an Netzwerk-Konnektivität und Optimierung der Leistung im gesamten Netzwerk sicherstellen und so mit den Änderungen der Netzwerktopologie Schritt halten können. Kurz vor Weihnachten meldete die norwegische Teliaonera die Inbetriebnahme des ersten kommerziellen LTE-Services in Oslo. Das neue 4G-Netzwerk soll Download-Raten von bis zu 100 MBit/s bieten. Wichtigste Anwendungen sind mobile Breitband-Dienste wie HD (High Definition)-Videokonferenzen und HD-Video auf mobilen Endgeräten. Die passenden Videoangebote liefert Teliaonera gleich mit.

Huawei und die Übernahme von 3Com durch HP

3Com und Huawei hatten in Gestalt von H3C eine mehrjährige gemeinsame Vergangenheit: Von 2003 bis 2007 war die chinesische 3Com-Tochter im Besitz eines Joint Ventures, für das Huawei 2007 das Vorkaufsrecht ablehnte. „Wir hätten H3C 2007 zu hundert Prozent übernehmen können“, so Eric Ho, CTO Marketing bei Huawei in Shenzhen. „Wir entschieden, dass H3C langfristig nicht in unser Engagement passt, daher haben wir 3Com die Übernahme des Gemeinschaftsunternehmens angeboten.“

Möglicherweise steckten jedoch ganz andere strategische Absichten hinter dieser Entscheidung, immerhin bemühte sich Huawei zusammen mit einem weiteren Investor 2008 sehr engagiert um die Übernahme der kompletten 3Com. Angeblich war der Deal schon von beiden Unternehmen sowie von den 3Com-Aktionären abgesegnet – bevor das amerikanische Verteidigungsministerium beim Abschluss einen Strich durch die Rechnung machte. Dieses hatte Berichten zufolge Bedenken, dass mit der 3Com-Tochter Tippingpoint, wichtiger Lieferant von Sicherheitstechnik an das US-Militär, geheimnisrelevante Informationen an Huawei wandern könnten. Das Unternehmen aus Shenzhen, dessen Name im Chinesischen etwa „Stolz Chinas“ bedeutet, soll seinerseits wiederum wichtiger Lieferant für das chinesische Militär sein.

Zur vergangenen November angekündigten Übernahme von 3Com durch HP (Preis: 3,1 Milliarden Dollar) wollte Ho keine Kommentare abgeben. „Für uns ist die Sache gegessen – und HP hat sicher sehr gute Gründe für diesen Schritt“. Diese liegen den Analysten zufolge neben einer kleinen Revanche im Kampf gegen Cisco (die ihrerseits Mitte letzten Jahres in das Server- und damit angestammtes HP-Geschäft eingestiegen sind) in einer Festigung der Position 2 im Netzwerkmarkt (hinter Cisco), in der Ergänzung des Portfolios im Netzwerk- und Security-Sektor und im chinesischen Markt. Im Netzwerksegment riss zuletzt die Übernahme von Foundry durch Brocade eine große Lücke in HPs Portfolio an Highend-Switches. Diese hatte HP zwar unter eigenem Namen vermarktet, aber von Foundry bezogen. Ob 3Com diese Lücke füllen kann, ist zu bezweifeln – zumindest gilt 3Com im Segment der Highend-Switches nicht unbedingt als Spitzenreiter. Die Spekulation, mit H3C einen Fuß in den chinesischen Markt zu bekommen, sehen die Analysten eher skeptisch.


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