Normgerecht und Platz sparend vernetzen

Gemeinsame Kabelnutzung

22. November 2006, 23:00 Uhr | Peter Breuer ist Regional Director Central EMEA bei Siemon in Frankfurt.

Bei der gemeinsamen Nutzung von Kabeln (Cable Sharing) geht es darum, die verschiedenen Adernpaare eines Twisted-Pair-Kupferkabels für verschiedene Applikationen zu verwenden. Ein gängiges Beispiel hierfür ist die Übertragung von zwölf 10BaseT-Kanälen über ein Kabel mit 25 Adernpaaren und die Verwendung von Verzweigern zum Separieren der Sprach- und Fax-Leitungen, die hinter der Dose zu einem Kanal vereint werden.

Auch wenn das Konzept des Cable-Sharings von den Telekommunikationsfachleuten zweifelsfrei
akzeptiert wird, entwickelt es sich erst jetzt zu einer allgemein anerkannten Möglichkeit, die
Kosten zu senken, das Kabelmanagement zu vereinfachen und in kommerziell genutzten Gebäuden mehrere
Applikationen auf einem Übertragungsmedium zu bündeln. Die wachsende Akzeptanz vollständig
abgeschirmter Kabelsysteme (Kategorie 7 beziehungsweise Klasse F) hat sich als ein vorrangiger
Beweggrund dafür erwiesen, dass Cable-Sharing-Techniken in den Designs der IT-Infrastrukturdesigner
und -Berater immer mehr Berücksichtigung finden.

Die Telekommunikationsstandards von TIA und ISO (siehe Kasten auf Seite 94) spezifizieren
allgemeine Topologien und Minimalempfehlungen, um die Voraussetzungen für ein weltweit
einheitliches Design von Kabelsystemen zu schaffen. In vielen kommerziellen Umgebungen liegen
Mindestanforderungen der Standards, dass an jedem Arbeitsplatz zwei Telekommunikationssteckdosen
vorzusehen sind, als Grundmerkmal für die Infrastruktur eines Gebäudes zugrunde. Es gibt jedoch
Endanwender wie zum Beispiel Callcenter, Faxzentralen, Unterrichtsräume, Schulungszentren und
Überwachungseinrichtungen, bei denen an jedem Arbeitsplatz deutlich mehr als zwei Applikationen
laufen. In Intensivstationen von Kliniken können durchaus 15 Applikationen je Arbeitsbereich
vorhanden sein. Dies sind beispielsweise zwei Sprachkanäle, vier klinikinterne
Ethernet-Datenkanäle, zwei Ethernet-Kanäle für die ICU-Patientenüberwachung, eine Ethernet-Leitung
für den Patientennotruf, ein zusätzlicher Ethernet-Kanal für nichtklinische Applikationen, zwei
Kanäle für die Patientenunterhaltung und weitere Steckdosen für "Family-Zone"-Aktivitäten.

Wie Tabelle 1 auf Seite 93 zeigt, unterstützen diese dicht bestückten Arbeitsbereiche neben
einem High-Speed-Datendienst in der Regel mehrere Low-Speed-Applikationen. Cable-Sharing-Strategien
sind für Bereiche dieser Art von besonderem Vorteil, denn durch die geringere Kabelanzahl
vereinfacht sich das Kabelmanagement. Außerdem vermeidet man die Verschwendung und die unnötigen
Kosten, die entstehen, wenn jeder Applikation ein Kanal mit vier Adernpaaren fest zugewiesen wird
und dadurch zwangsläufig Paare ungenutzt bleiben.

Kabelfernsehen und Industriefernsehen

Weitere Vorteile in Sachen Kosten und Kabelmanagement lassen sich erzielen, wenn Dienste wie
etwa Kabelfernsehen (CATV) oder Industriefernsehen (CCTV), die in der Regel per Koaxialkabel
übertragen werden, sowie Intercom-Anlagen, die normalerweise mit 18-AWG-Kupferleitungen arbeiten,
mithilfe kostengünstiger Bauteile (zum Beispiel Video-Baluns) in das Telekommunikationsnetzwerk
eingebunden sind.

Einige Designer und Berater zögern noch, die gemeinsame Kabelnutzung zu spezifizieren, da sie
unsicher sind, wie diese Verfahrensweise von den Standards akzeptiert wird. Sowohl TIA als auch ISO
erkennen das Cable-Sharing jedoch an und bieten entsprechende Richtlinien an. So beschreibt Anhang
B des Standards ANSI/TIA/EIA-568-B.1 die Übertragungsleistung verschiedener Arten von
Applikationen, die sich aufgrund des internen Nebensprechens von Kabelsystemen auf der Basis
ungeschirmter Twisted-Pair-Leitungen nicht gegenseitig stören.

Zusätzlich sind Beispiele für Applikationen angegeben, die auf Kabeln mit mehreren Adernpaaren
koexistieren können. Dem Standard ist außerdem zu entnehmen, dass gestützt auf Informationen zur
Übertragungsart einer Applikation (burst, kontinuierlich, synchronisiert oder zufällig) sowie zum
internen Störaufkommen der jeweiligen Verkabelung darüber entschieden werden kann, ob mehrere
Applikationen oder mehrere Instanzen einer Applikation auf demselben Kanal koexistieren können.

Der ISO/IEC-Standard 11801:2002 (2. Ausgabe) geht in dieser Hinsicht noch weiter. Neben
Überlegungen zum Nebensprechen tauchen Richtlinien zum Minimieren von Inkompatibilitäten bei der
gemeinsamen Nutzung von Kabelmänteln auf. Der ISO/IEC-Standard 15018 empfiehlt zusätzlich das
Cable-Sharing für Wohngebäude, in denen der Platz in den Kabelkanälen knapp ist. Branchenverbände
wie BICSI und Bauvorschriften wie der NEC in den USA akzeptieren das Cable-Sharing. Insgesamt
lassen alle Telekommunikationsstandards das Cable-Sharing zu und geben Implementierungsrichtlinien
auf der Basis des Potenzials für gegenseitige Störungen von Applikationen infolge des internen
Nebensprechens im Kabelkanal.

Das Cable-Sharing brachte es erst dann zu nennenswerter Verbreitung, nachdem vollständig
geschirmte Kabelsysteme der Klasse F von der ISO standardisiert waren. Der Grund dafür ist, dass
die Anwender durch das interne (Nah- und Fern-)Nebenspechen in UTP- und F/UTP-Kabeln (Twisted-Pair
mit Folienhülle) nur schwierig vorhersagen konnten, ob mehrere Applikationen in einem Kabel
koexistieren konnten.

Wie den Bildern 1 und 2 zu entnehmen ist, erscheinen 23,4 Prozent des von einer Applikation
ausgesendeten Signals bei 100 MHz in Kategorie-5e/Klasse-D-Kabelsystemen als PSNEXT oder PSFEXT.
Die Situation bessert sich bei Kategorie-6A/Klasse-EA-Systemen, bei denen es nur noch 11,4 Prozent
sind. Dennoch ist auch damit nicht sichergestellt, dass sämtliche Applikationen bei gemeinsamer
Nutzung einer Kabelumhüllung einwandfrei arbeiten. Anders ist es bei Kabelsystemen der Klasse F:
Hier treten bei 100 MHz nur noch 1,6 Prozent der Signalstärke einer Applikation als PSNEXT oder
PSFEXT auf. Der Anwender hat somit die Gewähr, dass die einzelnen Leiterpaare gegeneinander so gut
gegen Störungen isoliert sind, dass auf einem Klasse-F-Kanal mit vier Adernpaaren mehrere
Applikationen oder mehrere Instanzen einer Applikation laufen können.

Die Anforderungen an Klasse-F-Kabel erschienen zunächst in der 1999 veröffentlichten ersten
Ausgabe des ISO/IEC-Standards 11801. Klasse-F-Verkabelungen bestehen aus vollständig geschirmten
Kategorie-7-Komponenten und sind über eine Bandbreite von 1 bis 600 MHz charakterisiert. Die
bevorzugte Verbindungshardware für Cable-Sharing-Implementierungen ist das in IEC 61073-3-104
beschriebene und in Bild 3 abgebildete nicht RJ-konforme Interface.

Der Grund dafür ist, dass die in isolierte Quadranten gegliederte Konstruktion dieses
Steckverbinders mit nicht RJ-konformen Steckern für ein oder zwei Leiterpaare einen einfachen
Zugang zu einem oder zwei Paaren ermöglicht.

Hybridkabel können am anderen Ende mit einem entsprechenden RJ-45- oder RJ-11-Ethernet-Stecker
versehen sein, wie Bild 4 zeigt. Die Anforderungen an Verkabelungen der Klasse FA werden derzeit
von der ISO ausgearbeitet und unter Verwendung des gleichen nicht RJ-konformen Steckverbinders an
einem verbesserten Kategorie-7A-Kabel über eine Bandbreite von 1 bis 1.000 MHz charakterisiert. Die
Klasse FA ist der geeignete Verkabelungstyp für sämtliche CATV-Kanäle (bis 862 MHz).

Auch wenn die Verfahrensweisen beim Cable-Sharing äußerst flexibel sind und eine breite Palette
von Konfigurationen unterstützen, lassen sich doch zwei Grundkonfigurationen ausmachen, die den
Anforderungen der meisten Endanwender gerecht werden.

Analoges Telefon und Internet

In Callcentern und Faxzentralen sind die Agenten in der Regel in Arbeitsgruppen organisiert und
mit einem analogen Telefon und einer Internetanbindung ausgestattet. Im vorliegenden Beispiel wäre
für das Cable-Sharing die Empfehlung zu geben, jeder (aus vier Agenten bestehenden) Arbeitsgruppe
einen MuTOA-Anschluss (Multi-user Telecommunications Outlet Assembly) mit einer
Klasse-F-Steckbuchse und vier Kategorie-6A-Buchsen zuzuweisen.

Der Klasse-F-Kanal stellt der Gruppe vier analoge Telefonleitungen zur Verfügung (Bild 5). Durch
Cable-Sharing in Callcentern und Faxzentralen können die Endanwender Kostensenkungen von typisch
mehr als zehn Prozent im Bereich des Materials, eine 28-prozentige Verringerung der Steckdosenzahl
und ein weniger komplexes Kabelmanagement erzielen. In vielen Multi-Applikations-Umgebungen wie
etwa in Unterrichtsräumen, im Gesundheitswesen sowie in Überwachungseinrichtungen unterstützen die
Anschlüsse an den Arbeitsbereichen eine Unmenge von Diensten wie zum Beispiel VoIP (Voice over IP),
CATV, CCTV, Internet, Überwachungskameras, Intercom und schnelle Datenleitungen.

Problem: viele Anschlüsse am Arbeitsplatz

Wollte man jede Applikation mit einem eigenen Kabel unterstützen, müssten pro Arbeitsplatz nicht
weniger als neun Dosen zum Einsatz kommen. Als effizienter für Multi-Applikationsanwendungen dieser
Art erweist sich dagegen das Cable-Sharing, bei dem jeder Arbeitsbereich die neun Dienste über zwei
Klasse-F-Kanäle und einen Kategorie-6A-Kanal unterstützt. Die beiden Klasse-F-Kanäle unterstützen
dabei die in Bild 6 gezeigten Dienste. Mit dieser Implementierung kommt der Endanwender auf eine
Senkung der Materialkosten um 20 Prozent, während sich die Zahl der Dosen um 57 Prozent reduziert
und die Komplexität des Kabelmanagements ebenfalls abnimmt.

Nicht zuletzt profitiert der Endanwender von der Konsolidierung der bisherigen Koaxialkabel
(CATV und CCTV) und Kupferkabel (Intercom) zu einem gemeinsamen Kommunikationsnetzwerk mit dem
zusätzlichen Vorteil, dass sich das Infrastrukturmanagement vereinfacht und die Komplexität
zurückgeht.

Entscheidend ist, dass beim Design von Cable-Sharing-Lösungen von vornherein berücksichtigt
wird, welche Applikationen unterstützt werden sollen und welche Lebensdauer das verwendete
Equipment haben wird. Es ist ein günstiger Umstand, dass die Lebenszyklen von Callcentern und den
meisten Videoapplikationen länger sind als die von den TIA- und ISO-Standards normalerweise für
Datenapplikationen spezifizierte Lebensdauer von zehn Jahren. Trotz der zahlreichen Vorteile, auf
die die Verfechter der Cable-Sharing-Strategien hoffen, darf nicht in Vergessenheit geraten, dass
diese Techniken die Fähigkeit der Kabelinfrastruktur einschränken können, künftige Applikationen
und Upgrades zu unterstützen.

Dose mit vier Adernpaaren einplanen

Für alle Cable-Sharing-Implementierungen gilt daher die Empfehlung, zusätzlich zu den gemeinsam
genutzten Klasse-F-Steckdosen mindestens eine Dose mit vier Adernpaaren gemäß Kategorie 6A oder
höher vorzusehen – unter anderem, um sich die Möglichkeit für eine künftige Aufrüstung auf höhere
Geschwindigkeit offen zu halten.

Die Prognosen für die vorgestellte Technik scheinen durchweg günstig, sodass sich ein positives
abschließendes Gesamtbild ergibt: Die Nachfrage der Endanwender nach Unterstützung für einen
dichten Bestand an Low-Speed-Applikationen wächst, denn immer mehr Equipment unterstützt das
IP-Protokoll, die Ethernet-Kommunikation und den Betrieb an Twisted-Pair-Kabeln (siehe auch Artikel
auf Seite 79).

Unterstützung auch für Low-Speed-Applikationen gefragt

Glücklicherweise verfügen die Klasse-F- und Klasse-FA-Verkabelungen über eine interne
Abschirmung, sodass die von den Standards abgesegneten Cable-Sharing-Konzepte unterstützt werden.
Als Folge davon ist es möglich, die Kosten zu senken, das Kabelmanagement zu vereinfachen und
mehrere Applikationen auf Twisted-Pair-Übertragungsmedien zu konsolidieren.

Peter Breuer//jos


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