Bereits seit einigen Jahren wagt sich IBM mehr oder weniger engagiert aus dem IT-Haus und knüpft Bande mit "artfremden" Branchen, um die Prozesse dort mittels IT-gestützter Überwachung und Steuerung zu optimieren. In diesem Jahr stand erstmals ein solch rechenzentrumfremdes Thema im Mittelpunkt der Partner- und Kundenkonferenz Pulse in Las Vegas. Zusammen mit Partnern und Kunden baut IBM das intelligente Gebäude der Zukunft.
Nicht Autos sind die größten Energiefresser und CO2-Schleudern, sondern Gebäude. Wie
IBM-Tivoli-Chef Al Zollar auf seiner Keynote zur Eröffnung der diesjährigen Pulse ausführte,
zeichnen Gebäude in den USA für 70 Prozent des Energieverbrauchs und für 38 Prozent des
CO2-Ausstosses verantwortlich. In Ballungszentren wie beispielsweise der Stadt New York stammen 80
Prozent der CO2-Emissionen von Gebäuden. Schuld daran sei in erster Linie das unabhängige und
ineffiziente Management der Versorgungsinfrastrukturen für Wärme, Wasser, Abwasser und
Elektrizität. Die Lösung des Problems soll eine intelligente Koordinationsebene sein, über die alle
Versorgungselemente eines Gebäudes über ein integriertes Service-Management verwaltet und optimiert
werden können. Die intelligente Steuerungsebene soll dabei mit einem dichten Netzwerk von Sensoren
gekoppelt sein, das von Bewegung über Temperatur, Feuchtigkeit, Niederschlag, Vibration bis
Helligkeit und vieles mehr alles misst, was sich physikalisch erfassen lässt. In die Entwicklung
des entsprechenden integrierten Service-Managements habe IBM laut Zollar bislang mehr als sechs
Milliarden Dollar investiert.
Auf der Pulse-Konferenz kündigte IBM zwei Partnerschaften an, über die das Unternehmen sein
integriertes Service-Management auf Basis der Maximo-Software in die Gebäude bringen will. Im Falle
von Johnson Controls wurde eine seit 2007 bestehende Partnerschaft um ein neues Moment erweitert,
die Bande mit Ricoh ist neu. Während es bei der ursprünglichen Partnerschaft mit Johnson Controls
lediglich um die Optimierung von Rechenzentren ging, wollen die Unternehmen jetzt generell für alle
Aspekte gemeinsame Lösungen entwickeln, die den Betrieb von Gebäuden verbessern und den Verbrauch
von Energie und Wasser reduzieren. Schlüsselelemente des gemeinsamen Lösungsangebots sind
Systemintegration, Energie-Management, unternehmensweites Berichtswesen, Flächennutzung und
Asset-Management. Die Partnerschaft mit Ricoh bezieht sich speziell auf ein intelligentes
Print-Monitoring und -Management-System. Kosten, Energieverbrauch und CO2. Emissionen, die aus dem
Einsatz von Druckern resultieren, sollen so erheblich gesenkt werden können.
Als Unterstützung für sein neues Engagement holte sich IBM den ehemaligen US-Vizepräsidenten und
Präsidentschaftskandidaten Al Gore auf die Pulse, der in seiner Gastrede die Bedeutung von
Effizienz beim Umgang mit Energie in den Mittelpunkt stellte. Sie sei die wahrscheinlich "größte
Chance in der Geschichte des Business", und werde nicht nur zu intelligenten Gebäuden, sondern auch
zu intelligenten Autos und Städten führen. Ob damit auch intelligente Menschen entstehen, ließ er
offen.
Wenn IBM sich an das intelligente Management von Gebäuden und Geländen macht, sollte man
eigentlich in erster Linie enge Gespräche und Kooperationen mit wichtigen Playern aus dem
Facility-Management erwarten – immerhin liegt deren Kernkompetenz in genau diesem Anliegen.
Entsprechende Nachfragen bei IBM brachten wie schon im letzten Jahr nichts Konkretes hervor –
allenfalls ein schwammiges "wir bringen sehr wohl regelmäßig einschlägige Unternehmen mit uns und
unseren Partnern an einen Tisch", wie es beispielsweise Alan Ganek, CTO und Vice President Strategy
and Technology bei der IBM Software Group im Gespräch mit LANline formulierte. Namen oder
Ergebnisse dieser erlauchten Runden konnte oder wollte er aber nicht nennen. Immerhin, an
erfolgreichen Praxisbeispielen mit den anderen Partnern geizte IBM in Las Vegas nicht. So
produziert etwa San Francisco dank integriertem Service-Management kaum Abwasser, hält das
Venetian-Hotel in Las Vegas seine elektrischen Anlagen für die Zimmer sowie künstlichen Kanäle und
Himmel in Betrieb, koordiniert die amerikanische 200.000-Einwohner-Stadt Chesapeake ihre gesamten
Versorgungsinfrastrukturen, steuern die Städte Stockholm und Singapur ihr Verkehrssystem – das
Spektrum bereits realisierter Lösungen ist in der Tat sehr umfangreich. In Deutschland sind
entsprechende Beispiele noch spärlich. Eines der wenigen ist ein Pilotprojekt auf der Insel
Bornholm, bei dem ein windkraftbetriebenes Stromnetz für Elektrofahrzeuge aufgebaut werden
soll.
Verbessertes integriertes Service-Management
Ganz vernachlässigen wollte IBM sein "Haupthaus", das IT-Rechenzentrum auf der Pulse dann aber
doch nicht. So gab es am zweiten Tag nähere Details zur integrierten Service-Management-Strategie
für Rechenzentren, die größtmöglichen Nutzen aus der Virtualisierung bringen soll. Hier will sich
IBM einen möglichst großen Teil eines Marktes sichern, dessen Volumen IDC bis zum Jahr 2013 auf 46
Milliarden Dollar anwachsen sieht (kumulierter Umsatz aus allen Geschäften im Zusammenhang mit
Virtualisierungsaufgaben; Quelle: IDC Worldwide Virtualization-Related Ecosystem 2009-2013
Forecast). Die jetzt auffrisierte Strategie berücksichtigt im Rahmen einer umfassenden Sicht auf
das Rechenzentrum inklusive Server, Speicher, Netzwerke, Software und Services Themen wie
Konsolidierung, Management, Automatisierung und Bereitstellung. War IBM in der Vergangenheit nicht
unbedingt für die Offenheit und Neutralität seiner Lösungen bekannt, plädiert IBM nun im Rahmen der
Konsolidierungsphase für Server entschieden für einen herstellerneutralen Hypervisor. Für das
Management der gesamten virtuellen Infrastruktur hat IBM eine neue Version seines Tivoli
Provisioning Manager for Images vorgestellt. Die Software soll IT-Administratoren dabei
unterstützen, alle Applikations- und Server-Images – gleichgültig, ob virtuell oder physisch – über
ein gemeinsames Interface zu verwalten und zu pflegen. Eine Art Autopilot für das Rechenzentrum
soll die Verteilung von Arbeitslasten dynamisch automatisieren – sowohl unter Effizienz- als auch
Security-Gesichtspunkten eine wichtige Funktion. Zudem sollen sich damit auch Applikationen sehr
schnell ausrollen lassen – und zwar in Stunden oder Minuten, wo früher Tage oder Wochen
veranschlagt werden mussten. Unter Optimierung der Bereitstellungsmodelle versteht IBM in erster
Linie die Einbeziehung von Cloud-Netzwerken.
Auch eine IBM-Netzwerk-Partnerschaft bekam während der Pulse eine neue Dimension: So will
Juniper Networks, bislang IBMs Partner für den Aufbau eines globalen Cloud-Netzwerk-Verbunds,
künftig die Tivoli-Netcool-Service-Management-Software von IBM als OEM-Partner lizensieren und in
seine Junos-Space-Applikationsplattform integrieren. Die für das dritte Quartal dieses Jahres
erwartete neue Junos-Space-Fault-Suite soll Unternehmen und Service-Providern eine schlüsselfertige
Lösung an die Hand geben, die auf kostengünstige, skalierbare und nahezu beliebig aufrüstbare Weise
Fehler- und Netzwerk-Management zur Verfügung stellt. Netcool bringt unter anderem zentralisierte
Überwachung und behält Netzwerke im Auge – beides in Echtzeit. Wie üblich gab es zum Konferenzteil
auch wieder eine eigene Halle, in der IBM und seine Partner ihre integrierten Lösungen
präsentierten.
Die Pulse bietet sicher Fachkompetenz und Kontakte mit Spaßfaktor. Eine gehörige Portion Ironie
liegt in der Tatsache, Tausende Menschen zum Ort der weltgrößten Energieverschwendung einfliegen zu
lassen, um dort über die Errungenschaften effizienter Systeme und Gebäude zu erzählen. Aber sehen
wir es einmal positiv: Nirgends sonst lässt sich das Potenzial für Effizienzsteigerungen besser
demonstrieren?