Am Forschungszentrum CERN in Genf ist in den letzten sechs Jahren das größte Glasfasernetzwerk der Welt entstanden. Zahlreiche anwendungsspezifische Fiber-Optic-Spezialanfertigungen tragen zur korrekten Funktion des Teilchenbeschleunigers und zur Auswertung der gewonnenen Daten bei. Beim größten Physikexperiment in der Geschichte der Menschheit sollen bis zu 1 TByte Daten pro Sekunde übertragen werden.
Das CERN-Labor in Genf, 1954 als europäisches Gemeinschaftsunternehmen gegründet, ist heute das
größte Teilchenphysikforschungszentrum der Welt. Wissenschaftler wollen hier mithilfe eines
gigantischen Teilchenbeschleunigers erforschen, woraus Materie besteht und durch welche Kräfte sie
zusammengehalten wird. Der Large Hadron Collider (LHC) hat einen Umfang von knapp
27 Kilometern. Darin beschleunigen Protonen und geladene Atomkerne mithilfe von 1.300
supraleitenden Elektromagneten auf nahezu Lichtgeschwindigkeit und stoßen zusammen.
Die LHC-Labore ATLAS, CMS, ALICE und LHCb sowie vier andere "Experimente", an denen allesamt
internationale Teams arbeiten, befinden sich an der Oberfläche des Komplexes, sieben in Frankreich
und eines in der Schweiz. 100 Meter tiefer, in den Kavernen entlang des unterirdischen
LHC-Beschleunigerrings, sind die Detektoren installiert, mit denen sie die Teilchen sichtbar machen
und ihre Eigenschaften und Reaktionen untersuchen wollen.
Seit November 2009 injizieren die Forscher im Beschleuniger wieder Strahlen (Beams), die eine
Energie von bis zu 7 Teravolt (TeV) erreichen sollen. Bei dieser Energie kommt es zu den
Teilchenkollisionen, von denen sich die Physiker neue Einblicke in die Entstehung des Universums
versprechen. "Wir haben für den LHC in den letzten sieben Jahren ein Kommunikationsnetzwerk
aufgebaut, das rund 2.000 Kilometer Glasfaserkabel umfasst", so Luit Koert de Jonge, der für das
CERN-Netzwerk zuständig war. "Insgesamt sind etwa 20.000 Strecken mit rund 25 Millionen Metern
Fasern entstanden. Das ist soviel wie in einer Großstadt."
Die LHC-Experimente und das Netz
Das redundant aufgebaute Netz dient in erster Linie dazu, die Teilchenbeschleunigung zu
synchronisieren und die Messwerte in Echtzeit zu übertragen. "Das Beam-Instrumentation-System
verfügt über ein separates Netz. Etwa alle 50 Meter im Tunnel gibt es einen Beobachtungspunkt, um
die Position der Teilchen im LHC genau bestimmen zu können. Rund 5.000 Geräte rund um den
Beschleuniger schicken etwa 600 verschiedene Signale zur Oberfläche und in den Hauptkontrollraum",
erklärt de Jonge. Damit keine Laufzeitprobleme auftreten, weisen die Glasfaserverbindungen
außerordentlich gute Dämpfungseigenschaften auf und genügen sehr engen Längentoleranzen. Um eine
Beam-Synchronisation im Bereich von 10 Pikosekunden zu erreichen, kommen außerdem elektronische
Hilfsmittel wie Phasenregelschleifen – Phase-Locked Loops – zum Einsatz, mit denen man in den
optischen Übertragungsmedien stabile Frequenzen erreicht.
Zu den zentralen Anwendungen des Glasfasernetzwerks gehören weiterhin das CERN-interne
GbE-Netzwerk und die der Experimente. Außerdem sind zahlreiche Steuerungs- und Sicherheitssysteme
integriert. Die Core-Switches und Router des technischen Netzwerks befinden sich in Kontrollräumen
an der Oberfläche, die Edge-Geräte in den Technikräumen rund um den LHC.
Für die Suche nach geeigneten Systempartnern und den Abschluss der Verträge hat sich Luit Kort
de Jonges Team zwei Jahre Zeit gelassen. "Die Spezifikationen waren einfach unglaublich hoch, und
ständig tauchten neue, noch strengere Anforderungen auf", berichtet der Projektleiter. "Ein
wichtiges Auswahlkriterium war, dass wir für das technische Netzwerk ein Rohrsystem haben wollten,
in das man sehr dünne Glasfasern einblasen kann und das einfache Erweiterungen und Faser-Updates
ermöglicht." Nach umfangreichen Marktstudien fiel die Entscheidung im Jahr 2003 auf die
niederländische Firma Draka Comteq Telecom, die für den LHC ein entsprechendes
Mikrorohrglasfasersystem entwickelt hatte.
Der Auftrag für die Endfertigung (Terminierung) der Fasern – der größte Kostenpunkt des
Glasfasernetzwerks – ging an die deutsche Firma TDE. Dieser Auftrag umfasst nahezu die komplette
LWL-Anschlusstechnik mit dem gesamten Spektrum der am Markt befindlichen Steckverbinder vom E2000
über MPO bis zum Linsenstecker.
Zahlreiche Spezialanfertigungen
Bei der Auswahl der optischen Fasern hat sich de Jonges Team weitestgehend auf zwei Typen
beschränkt: G.651 50/125µm Multimode-Gradientenindexfasern für die Oberflächenverkabelung und
G.652.B 9/125µm Singlemode-Fasern. Im Tunnel kamen ausschließlich letztere zum Einsatz, da
Singlemode-Fasern keine Dotierstoffe enthalten und unter Strahleneinfluss nicht so schnell
verdunkeln. Außerdem handelt es sich größtenteils um Spezialausführungen mit einem 14-fach
verbesserten Temperaturkoeffizienten.
Laut de Jonge war es von vornherein klar, dass es im Tunnel Gamma- und Neutronenstrahlen geben
würde, die die Dämpfung in den Kabeln erhöht. Draka entwickelte deshalb in Kooperation mit dem
japanischen Glasfaserspezialisten Fujikura strahlungsbeständige Fasern und Kabel. Diese testeten
die Experten – zusammen mit dem Mikrorohrsystem – im französischen Kernforschungszentrum in Saclay
mit Erfolg.
Um bei der Faserterminierung optimale Einfüge- und Rückflussdämpfungswerte zu erhalten, hat TDE
nach eigenen Angaben erheblich in neue Techniken investiert und neue Fertigungsprozesse entwickelt.
Zum Beispiel wurden alle Singlemode-Fasern mit E2000/APC-Anschlüssen mit 8-Grad-Schrägschliff
abgeschlossen. "Das war damals beim CERN eine neue Technik. TDE hat Poliermaschinen, einen
Laser-Cleaver und mehrere Interferometer angeschafft, Know-how aufgebaut, viele Messungen
durchgeführt und uns stets ein Produkt geliefert, das unseren strengen Spezifikationen hinsichtlich
der Schliffgeometrien entspricht – erst mit 2,5-mm-Ferrulen, später dann sogar mit den
empfindlichen 1,25-mm-Ferrulen", berichtet de Jonge.
MPO für High-Density-Anforderungen
Für den LHC hat TDE in den vergangenen Jahren – teils unter großem zeitlichen Druck – zahlreiche
weitere Spezialanfertigungen entwickelt. "Im Vertrag mit standen bald rund 60 verschiedene
Patch-Kabeltypen. Heute gibt es am CERN rund 500 verschiedene Modelle", so de Jonge weiter. "Allein
für die Experimente mussten wir uns viele spezielle optische Installationen ausdenken. Das
ALICE-Experiment benötigte zum Beispiel sehr komplexe Installationen in High-Density. Dort haben
wir uns für den MPO entschieden – damals ebenfalls eine neue Technik."
Speziell für dieses Projekt hat TDE die MPO-Technik in Single- und Multimode in der eigenen
Fertigung getoolt. "Für diese Kabel haben wir spezielle Polierprozesse entwickelt, einen hoch
präzisen Kleberoboter angeschafft und mit Kleberdosierungen und Produktionstemperaturen
experimentiert, um bei der Faserkonfektionierung die geeigneten Produkte – heute Teil eines
hauseigenen Systems – liefern zu können", erklärt Geschäftsführer André Engel. "Damit es bei den
Glasfaser-Trunk-Kabeln keine Signallaufzeitdifferenzen gibt, bestanden außerdem sehr enge
Toleranzen, was die Längen der Einzelkabel betrifft." Für ALICE entstanden unter anderem zehn
48-faserige, 96,27 Meter lange, mit MPO-Steckern vorkonfektionierte Trunk-Kabel, die
Längendifferenzen von nur wenigen Zentimetern aufweisen. Insgesamt sind am CERN mehr als 4.000
MPO-Konfektionen in Single- und Multimode verbaut.
Mikrorohre und -kabel
Im Laufe der Jahre haben die Installateure am Forschungszentrum über 2.000 Kilometer metallfreie
Mikrorohre mit einem Durchmesser von sieben bis zehn Millimetern in größere Schutzrohre
eingeblasen. Diese nehmen ihrerseits vielfaserige Minikabel auf. "Mit einem Superjet-Gerät konnten
die Installateure bis zu zehn Mikrorohre gleichzeitig einblasen", so de Jonge. Für die Minikabel
setzte die Lausanner Firma einen Microjet ein. Mit kaskadierten Geräten konnten sie Einblasstrecken
von bis zu 3,4 Kilometern realisieren. "Im Gegensatz zu fix installierten Kabeln bietet dieses
System neben dem optimalen Blitzschutz gleich mehrere Vorteile: Pay-as-you-grow, Abzweigungen ohne
Spleißen und ein einfaches Ersetzen beschädigter oder älterer Kabel", erklärt der
Projektleiter.
In den Schächten zwischen dem LHC und der Oberfläche verlaufen die Kabel in
High-Density-Polyethylen-Rohren parallel zu den Stromkabeln. Zum Teil handelt es sich dabei um
spezifizierte Loose-Tube-Kabel mit bis zu 216 Fasern, zum Teil um bis 72-faserige Minikabel in
Mikrorohren. Für das unterirdische LHC-Kommunikations- und Maschinensteuerungsnetzwerk setzt CERN
flammwidrige Schutzrohre ein. Rund um den Beschleuniger sind je sieben 7-mm-Mikrorohre in vier
parallele 25-mm-Nylonrohre eingeblasen, die sich durch den gesamten Tunnel ziehen. So konnte alle
350 Meter eine Abzweigung und alle 50 Meter ein Auslass geschaffen werden, von dem aus sich je ein
Paar der Beam-Positionskontrollen mit sechs bis acht Singlemode-Fasern anfahren lässt.
Faser-Monitoring
Um die hohen Anforderungen an eine störungsfreie Übertragung erfüllen zu können, ist weiterhin
ein permanentes Faser-Monitoring notwendig. Das Genfer CERN-Labor benutzt dafür eine automatisierte
optische Zeitbereichsreflektometrie (Optical-Time-Domain-Reflectometry, OTDR), bei der die
Glasfaser selbst als Messsensor fungiert. Wenn physikalische Messgrößen wie Temperatur, Druck- und
Zugkräfte auf die Glasfaser einwirken, ändern sich die Eigenschaften der Lichtleitungen in der
Faser lokal. Anhand der zunehmenden Streuung, die mit einer höheren Dämpfung einhergeht, lässt sich
der Ort der äußeren Einwirkung ausmachen und der Lichtwellenleiter rechtzeitig – in
Strahlungsbereichen etwa alle drei bis fünf Jahre – und innerhalb weniger Stunden ersetzen.